„Schaut auch auf die Türkei“

HamburgerInnen untersuchten Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan – und fanden Resultate deutscher und Hamburger Politik  ■ Von Heike Dierbach

Inge von Alvensleben stockte mehrmals die Stimme, als sie den Vorfall in einem Dorf bei Hagari in Kurdistan schilderte: „Das junge Mädchen mußte auf die Polizeiwache, um ihren von den Sicherheitskräften getöteten Vater zu identifizieren. Die Polizisten warfen sie auf seine Leiche und vergewaltigten sie.“

Die Situation kurdischer Frauen in der Türkei, sexualisierte Folter durch staatliche Sicherheitskräfte und die medizinische Betreuung waren das Thema einer Delegationsreise von vier Hamburger Medizinerinnen nach Istanbul und Diyarbakir vom 5. bis 19. April. Die Schirmherrschaft hatten die GAL-Abgeordneten Heide Simon und Mahmut Erdem übernommen. „Gerade jetzt, wo uns Politik und Medien vorgaukeln, in Jugoslawien würde für die Menschenrechte Krieg geführt“, erläutert Simon, „sagen wir: Dann schaut auch hin, was in der Türkei mit deutscher Unterstützung passiert.“

Über das, was passiert, zu sprechen, ist den betroffenen Frauen fast immer unmöglich, berichtet Delegationsleiterin Hamide Scheer. „Die Frauen fühlen sich schuldig, auch an der Entwürdigung ihrer Familie.“ Ihre Wut richte sich deshalb häufig gegen die eigene Person wie auch gegen Ehemänner und Kinder. Hilfe gibt es derzeit so gut wie keine. Die Grünen erwägen darum, die Einrichtung eines Frauenhauses und von Beratungsstellen für betroffene Frauen zu unterstützen – materiell und politisch, denn „diese Projekte sind dann selbst bedroht“, so Simon.

Die Repression bekamen auch die vier Medizinerinnen und eine weitere Hamburger Delegation aus VertreterInnen von GAL, PDS und Gewerkschaften zu spüren, die am vergangenen Wochenende zur Wahlbeobachtung nach Diyarbakir gereist war. Beide Gruppen wurden am Flughafen der kurdischen Stadt verhört und permanent von Sicherheitskräften begleitet – eine Darstellung, die auf der gestrigen Pressekonferenz der Korrespondent der türkischen Zeitung Hürriyet lautstark bezweifelte: „In der Türkei kann man sich frei bewegen.“

Frei kurdisch sprechen kann man auf jeden Fall nicht, berichtete Christian Arndt, Mitglied der zweiten Delegation. Der Pastor auf St. Pauli wollte in der Türkei unter anderem die inhaftierte Hamburgerin Eva Juhnke im Gefängnis von Batman besuchen, was ihm aber von den Behörden verweigert wurde. Neben seinen Berichten über massive Wahlbehinderung in Kurdistan kritisierte Arndt auch die deutschen Medien: „Die Menschen in Kurdistan verstehen nicht, warum ihre Lage hier so verschwiegen wird.“ Alle kontaktierten Organisationen hätten von der „großen Schuld Europas“ gesprochen und immer wieder „Deutschland als Kriegspartei“ hervorgehoben.

Eine Maßnahme in der von der Delegation erstellten langen Liste der Repressionen in der Türkei ist gar fast original hanseatisch: Das zeitweilige Verbot des in London ansässigen kurdischen Exil-Senders Med-TV. Die Anregung dazu kam nach der Besetzung der Hamburger SPD-Zentrale durch PKK-Sympathisanten Ende Februar vom hiesigen Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD).