Casino, aber nicht Royal

■  In Mike Hodges' Film „Croupier“ ist das Casino ein wenig glamouröser Arbeitsplatz. Für einen Schriftsteller kein Problem: Als Croupier spinnt er seinen eigenen Spielerroman

Es gibt diese wunderbaren Filme, die uns nicht in die Untiefen der Identifikation zwingen. Filme, die wir uns wie Gott anzuschauen glauben: mit dem totalen Überblick und sanfter Verachtung für die törichten Handelnden. Croupier ist so ein Film. Und Jack Manfred ist so ein Handelnder.

Hosenträger, Schlapphut weit in den Nacken geschoben, immer bereit, ein Hemingwayzitat wiederzukäuen – alles gut und schön. Doch es fehlt Jack am Wesentlichen: Der Schriftsteller findet keine Worte. Bei einer Auftragsarbeit kommt er nicht über den Titel hinaus. So treibt ihn die reine Geldnot in einen Job, den sein Vater für ihn arrangiert hat: Croupier. In einem anderen Land, in einem anderen Leben war er schon einmal Jeton-Jongleur. „Ich verachte diesen Job“, sagt Jack, doch es ist wie eine Heimkehr für ihn. Eine Heimkehr in ein Haus mit vielen Regeln – jede dazu geschaffen, einmal durchdekliniert und dann gebrochen zu werden. Davon handelt „Croupier“.

Jack spielt nicht, als Casino-Mitarbeiter ist es ihm verboten. Dennoch ist er Teil des Spiels. Denn fiebrig spinnt er seine Arbeitswelt zum Spielerroman. Immer überzeugt, als kühler Beobachter den Verlauf zu bestimmen, ist er bald nur eine Spielfigur, seine Romanfigur. Jake nennt er sein Alter ego. Und Jack lebt bald den Jake, bricht die Regeln, muß bezahlen, spielt mit hohem Risiko, gewinnt. „Croupier“ ist ein verschachtelter Film. Jacks kühle Off-Stimme wiegt den Zuschauer in der trügerischen Sicherheit, den Überblick zu haben. Doch der simple Plot entpuppt sich als filigranes Konstrukt. Was wird die nächste Regel sein? Wann wird Jack/Jake sie brechen? „So hoffnungslos“, schimpft Jacks Freundin Marion über sein Manuskript, und damit über das Croupierleben, das er führt. Marion braucht eben die romantische Vorstellung vom Schriftsteller Jack, um ihrem eigenen trostlosen Leben Tiefe zu geben. Aber Jack kann nur schreiben, wenn er zu Jake wird, sich dem fatalen Regelwerk des Casinos hingibt.

Mike Hodges inszeniert „Croupier“ als kühlen Spielerfilm ohne Allüren oder Superlative. Das Vorbild zur Filmkulisse, nachgebaut in einem nordrhein-westfälischen Studio, waren durchschnittliche Londoner Casinos. Keine Spieltempel oder -höllen, einfach ganz normale Suchtfluchtpunkte. Der dokumentarische Fernsehspielstil von Hodges' frühen Werken schimmert deutlich durch, nicht zuletzt wegen Jacks emotionslosen Off-Kommentaren. Ganz ähnlich war das in „Rumour“ (1969), einem pessimistischen Krimi um politische Verstrickungen in einem Prostituiertenmord. In „Suspect“ (1968) zeigte er das Puzzlespiel der Fahndung nach einem Sexualmörder, auch das distanziert und zurückgenommen. Hodges' Geschick besteht darin, gleichzeitig Abstand zu halten und Spannung zu erzeugen.

Die American Cinematheque in Los Angeles widmete Hodges diesen März eine große Retrospektive. Noch bis Ende Juni kann man neun seiner Filme im Münchner Filmmuseum sehen. Darunter sind „Suspect“, „Rumour“ und dessen direkter Nachfolger „Get Carter“ (1971) mit Michael Caine, angeblich der beste englische Gangsterfilm. Es finden sich aber auch so verschiedene Stücke wie die Popkomödie „Pulp“ (1972), „Auf den Schwingen des Todes“ (1987) mit Mickey Rourke oder die Comicverfilmung „Flash Gordon“ (1980) – knallbunt, selbstironisch und mit einem herrlichen Glam-Soundtrack von Queen. Gemeinsamkeiten? Methodik und eine dandyhafte Coolness, eine die nicht aus flotten Sprüchen, sondern aus Haltung schöpft. „Croupier“ nach dem Drehbuch von Paul Mayersberg setzt sich da als kluges Alterswerk ab: Schlicht, aber nicht simpel. Kühl, aber nicht desinteressiert. Casino, aber nicht Royal.

Das Casino als Ort der Milieustudie, glitzernd und verspiegelt ohne Fenster oder Uhren – ein zeitloser, schwereloser Raum voll Schicksal und Einsamkeit, kalter Berechnung und verzweifelter Hoffnung. Man merkt, das Casino ist eine Weltmetapher mit weitreichenden Deutungsmöglichkeiten. Sind wir Zuschauer wirklich die göttlichen Beobachter? Jack schreibt dieses Buch „Ich, Croupier“. Dadurch gewinnt er als Croupier die Kontrolle zurück, über die Spieler, die Leser, über uns. Stefan Schmitt ‚/B‘ „Croupier“. Regie: Mike Hodges, Buch: Paul Mayersberg. Mit Clive Owen, Gina McKee u. a. GB/BRD 1998, 90 min. Retrospektive Mike Hodges. Noch bis zum 26. Juni im Münchner Filmmuseum