■ Die Einpflanzung tierischer Organe in Menschen scheint das Organspende-Dilemma zu beenden. Doch die Risiken sind immens
: Haben Sie Schwein?

Ist alles, was die medizinische Rationalität machen kann, auch erträglich?

Alljährlich, pünktlich zum 5. Juni, dem so genannten Tag der Organspende, legt die Deutsche Stiftung Organtransplantation unter dem Motto „Organspende rettet Leben“ ein stellvertretendes statistisches Glaubensbekenntnis der Deutschen ab: Gönnen wir unseren Nächsten, so der Tenor, dass sie uns überleben, oder sind wir ein Völkchen sebstverliebter Egoisten, das all die begehrten und wohlfeilen Fleischteile mit ins Grab nimmt, nur weil es sich zu Lebzeiten den Tod vom Hals halten will?

Alljährlich pünktlich zu diesem Tag herrscht auch beträchtliche Zahlenverwirrung: Während nämlich die einen gutwillig „steigende Spendewilligkeit“ prognostizieren, melden die anderen einen „dramatischen Rückgang der Organspender“. Die mediale Konfusion rührt von der willkürlichen Datenbasis, auf die sich die BerichterstatterInnen beziehen. Potenzielle und tatsächliche Spender, Spendermeldungen, abgelehnte Spenden und real durchgeführte Transplantationen stehen in einer schauerlichen Dramaturgie zur steigenden Zahl derer, die auf ein Spenderorgan warten.

Fakt ist: Anderthalb Jahre nach Verabschiedung des Transplantationsgesetzes (TPG) ist das Misstrauen gegenüber der Organspendepropaganda ungebrochen. Nach wie vor besaßen 1998 nur drei Prozent aller Spender einen Organspenderausweis; die Ablehnung durch Angehörige nimmt zu, und nur im Bereich Lebendspende zeichnet sich eine zunehmende Spendebereitschaft ab, nicht ohne problematische psychologische Konsequenzen für die Betroffenen. Der gesetzliche Druck auf die Krankenhäuser, mehr Spender zu melden, hat zwar Wirkung gezeigt, im Effekt jedoch kaum zu mehr Organspenden geführt.

Vor diesem Hintergrund ist die Suche nach alternativen Organersatztherapien um so hektischer, als damit lukrative Märkte zu erschließen sind. Neben dem engineering tissue, das versucht, im Labor Organe aus Stammzellen zu züchten, ist die Xenotransplantation, das heißt die Übertragung gentechnologisch veränderter tierischer Organe auf den Menschen, eines der lohnendsten Felder der künftigen Transplantationsmedizin.

„Haben Sie Schwein?“, wird man dereinst nicht nur den Metzger, sondern auch den Transplanteur fragen. Ob es das sprichwörtliche Glück ist, das da der eine oder die andere ganz materiell in der Brust oder im Bauch mit sich herumträgt, ist eine völlig andere Frage. Die Versuche mit tierischen Fremdorganen waren vor allem in Großbritannien weit vorangeschritten, als das Inselvolk 1987 plötzlich mit der BSE-Geißel geschlagen wurde und reuig eine Aussetzung der Xeno-Experimente verfügte.

Von der Insel kam dieser Tage die Kunde, dass einige der medizinischen Bedenken, die sich an die Xenotransplantation richten, ganz überflüssig seien. Diese beziehen sich vor allem darauf, dass mit dem Schwein, (nicht nur) bildlich gesprochen, die Schweinepest über die Menschheit kommen könnte. Tierische Viren sind fähig, sich einer menschlichen Umgebung anzupassen und den neuen Wirt zu befallen. Mancher Virus bleibt im Tier bislang auch unerkannt und hat erst mit dem Sprung über die Artengrenze die Chance, sich mörderisch zu entfalten.

Die denkbaren Szenarien sind mit der BSE-Seuche erst harmlos umrissen, denn über so genannte endogene Retroviren ist wenig bekannt, vor allem bei Tieren, denen sozusagen eine „Tarnkappe“ übergestülpt wurde, damit sie vom menschlichen Immunsystem nicht sofort als „artfremd“ abgestoßen werden.

Alles Panikmache unverbesserlicher Kritiker? Khazal Paradis, Chef der britischen Firma Imutran, einer Tochter des Schweizer Biotech-Konzerns Novartis, zeichnet verantwortlich für eine Studie, die zumindest die Gefahr durch Retroviren zu widerlegen scheint. Bei den 83 Männern und 77 Frauen, denen in den letzten 12 Jahren Schweinegewebe, z. B. Haut oder Inselzellen, transplantiert wurden, gab es, so Paradis, keine Anzeichen dafür, dass tierische Viren auf den Menschen „übergesprungen“ sind oder Infektionen zu erwarten sind, selbst bei denjenigen, deren Abwehr durch die Verabreichung von Immunsuppressiva geschwächt ist.

Sicher ist es kein Zufall, dass diese medizinische „Unbedenklichkeitserklärung“ just abgegeben wird, nachdem vor wenigen Monaten der Europarat ein Moratorium gegen klinische Studien zur Xenotransplantation empfahl. Die Empfehlung ist zwar nur bindend für jene Länder, die die Bioethikkonvention unterzeichnet haben, aber dennoch ein wichtiges politisches Diskussionssignal. Darf und will die Gemeinschaft das viel zitierte „Ersatzteillager Tier“ unbedenklich ausbeuten, nachdem durch die gesetzliche Ächtung des Organhandels die menschlichen Organe zumindest deklaratorisch der kommerziellen Nutzung entzogen sind? Ist alles, was die medizinische Rationalität als machbar anbietet, auch ertragbar? Und welche Risiken für die Gemeinschaft sind wir bereit zu übernehmen, um – vielleicht! – ein individuelles Leben zu retten?

BSE zeigt, wie gefährlich die Xenotransplantation werden kann

Die Transplantationsmedizin ist, das hat eine Studie des Freiburger Medizinhistoriker Thomas Schlich aufgedeckt, eine grausige Geschichte der Menschenexperimente. 1905 beispielsweise pflanzte ein französischer Arzt einem Kind Teile einer Kaninchenniere ein, woran es unter schrecklichen Qualen starb. Das vorläufig letzte Opfer dieser unendlichen Reihe war ein Mann, dem in Pittsburgh 1993 eine Pavianleber eingesetzt wurde; er überlebte zwei Monate.

Um Tierorgane für Menschen „kompatibel“ zu machen, müssen die Tiere genetisch manipuliert werden, ansonsten zersetzen sich die Organe. Um Menschen für Tierorgane „kompatibel“ zu machen, müssen die immununterdrückenden Medikamente sehr hoch dosiert werden, was unter anderem ein hohes Krebsrisiko birgt. Computersysteme sind unbegrenzt anpassungsfähig, ohne zu leiden; aber wie viel menschliches und tierisches Leid ist akzeptabel bei dieser nach der Logik eines Maschinenmodells operierenden Vermischung der Arten?

Spanien und Frankreich haben bereits angekündigt, dass für sie der nationale Konkurrenzvorteil wichtiger ist als die Abwägung ethischer Probleme. In der Bundesrepublik wurde die Regelung der Xenotransplantation im TPG schlicht „vergessen“. Es wäre verheerend, die Auseinandersetzung über Risiken der Xenotransplantation medizinischen Experten oder sogenannten Ethikkommissionen zu überlassen; und es kann auch nicht angehen, dass die betroffenen kranken Menschen, die in einer lebensbedrohlichen Lage sind, die Entscheidung für die gesamte Gemeinschaft treffen. Wir brauchen eine breite öffentliche Debatte. Ulrike Baureithel