Jetzt wird Thüringen eigene Wege gehen“

■  Bundespräsidentin ist Dagmar Schipanski nicht geworden. Als thüringische Wissenschaftsministerin hat sie große Pläne: Die Gedenkstätte Buchenwald und die herausragenden Kultureinrichtungen Weimars sollen eng mit den Unis zusammenarbeiten. Professoren will sie nur auf Zeit berufen

taz: Sie haben am Freitag die Wahl zur „Frau des Jahres“ gewonnen. Haben Sie das als eine Belohnung für Ihre Präsidentschaftskandidatur empfunden?

Dagmar Schipanski: Die Wahl bedeutet für mich eine große Ehre und hohe Anerkennung für das Auftreten während der Präsidentschaftskandidatur. In der Begründung für die Verleihung heißt es: „Sie meint, was sie sagt.“

Die Union hat Ihnen zuerst einen Posten angetragen, der es Ihnen ermöglicht, mit präsidialen Worten kluge Dinge zu sagen, aber wenig zu bewegen ...

... das sehe ich ganz anders. Ich habe in dieser Zeit relativ viel bewegt. Mit der Diskussion über Ost und West. Die Debatte um Werte, die ich angestoßen habe. Oder das Nachdenken über die Veränderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft.

Nun hat Ihnen die gleiche Partei einen Posten ermöglicht, auf dem Sie viel arbeiten müssen – aber genauso wenig bewegen können. Weil Sie in einem Gestrüpp von Kompetenzen und Rahmenrichtlinien gefangen sind.

Ich verstehe so viel vom Innern von Hochschulen und Forschungsinstituten, von Existenzgründung und Technologietransfer, so dass ich Hochschulpolitik wirklich gestalten kann. Ich werde zum Beispiel dem Landtag vorschlagen, die Berufsakademien aus der Erprobungsphase heraus zu nehmen und deren duales Prinzip ordentlich zu installieren: Damit man gleichzeitig studieren und arbeiten kann. Wir werden uns auch Gedanken machen, wie wir das Thema lebenslanges Lernen praktisch umsetzen können.

Sie haben immer wieder davon gesprochen, Thüringen habe ausschließlich Reform-Universitäten. Warum?

Weil die Unis 1990 alle neu gegründet worden sind, mit neuen Fakultäten, neuen Professoren und neuen Studiengängen.

Das heißt doch noch nicht Reform.

Natürlich heißt das Reform. Übrigens auch im Vergleich zu den alten Bundesländern. Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften war doch auch im Westen nicht selbstverständlich. Die Fachbereiche waren dort meist streng voneinander getrennt. Bei uns war das von vorneherein durchlässiger. Wenn Sie sich wissenschaftstheoretische Arbeiten ansehen, werden Sie lesen: Das Neue entsteht zwischen den Disziplinen.

Zeichnet das eine Reform-Uni aus?

Ich habe diesen Begriff auch deshalb bewusst gewählt, weil in der ganzen Bundesrepublik vorwiegend über eine Universität in Thüringen gesprochen wurde: Die „Reform-Universität Erfurt“. Obwohl die erst im Oktober dieses Jahres die ersten Studenten immatrikuliert hat. Wenn nun Herr Rektor Glotz von Erfurt weggeht, werde ich von allen Seiten mit der Befürchtung bedrängt, dass die Universitätslandschaft hier zusammenfällt. Daneben gibt es in Thüringen aber noch andere Unis – die ebenfalls eine gute Lehre machen, die sich auch verändert haben, die man von ihren Studieninhalten und -struktur her ebenso als Reform-Uni bezeichnen kann.

Sind Sie froh, wenn Peter Glotz Erfurt jetzt den Rücken kehrt?

Nein. Ich hätte mich ehrlich gefreut, wenn er seine Sache hier zu Ende gebracht hätte. Und die Universität Erfurt nach der regulären Gründungszeit einem Nachfolger übergeben hätte.

Was sind Ihrer Ansicht nach die Kernbestandteile einer Uni?

Eine Universität muss interdisziplinär arbeiten können. Sie muss so strukturiert sein, dass sie ein gutes, ein breit ausbildendes Grundstudium hat. Darauf müssen bestimmte Fachstudien aufbauen. Und eine Universität muss so erziehen und ausbilden, dass die Studenten ein gutes Methodenwissen haben. Nur so können sie lebenslangem Lernen aufgeschlossen gegenüberstehen. Wenn man Studenten zu viele Details vermittelt, sind sie nicht in der Lage, sich immer wieder auf neue Dinge einzustellen.

Könnten Sie sich vorstellen, den Weg anderer Bundesländer zu gehen: dass die Universitäten und Fachhochschulen in einem gemeinsamen Hochschulrat die Fächerstruktur für das ganze Land abstimmen?

Ich denke überhaupt nicht daran, in Thüringen neue Räte zu gründen.

Aber Sie wollen mehr Vernetzung?

Darunter verstehe ich zum Beispiel eine Zusammenarbeit der Universität Jena mit außeruniversitären Instituten, aber auch mit der Stiftung Weimarer Klassik, der Verwalterin der herausragenden Kultureinrichtungen Weimars. Für mich wäre es auch vorstellbar, dass Volkhard Knigge, der die Gedenkstätte Buchenwald ganz ausgezeichnet betreut, in Jena Vorlesungen hält. Und umgekehrt können Studenten der Friedrich-Schiller-Universität in Buchenwald ihr Praktikum machen oder Arbeiten anfertigen. Auf einer anderen Ebene möchte ich die Fachhochschulen mit den wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen enger vernetzen.

Was bedeutet es, Fachhochschulen und wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen zusammenzubringen?

Diese Forschungsinstitute gibt es nur in den neuen Bundesländern. Sie sind aus den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Kombinate hervorgegangen. Dort werden Projekte bearbeitet, die unmittelbar in Produkte überführt werden können. Die Fachhochschulen sollen angewandte Forschung betreiben – haben aber keinen „Mittelbau“, also keine wissenschaftlichen Mitarbeiter. Wenn wir diese Kompetenzen verbinden, wird die Attraktivität beider Einrichtungen erhöht.

Die TU Ilmenau, von der Sie kommen, gilt in diversen Rankings als eine der Top-Unis nicht allein in Deutschland, sondern in ganz Europa. Was ist das Besondere dieser kleinen Hochschule in der thüringischen Provinz?

Wir haben 1990 die Studien- und Prüfungsordnungen erarbeitet und neue Studiengänge eingerichtet. Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik sind die Schwerpunkte dieser Uni – in allen verschiedenen Facetten. Wir haben aber begonnen, die Ingenieurswissenschaften, die Informatik und die Wirtschaft in eigenen Studiengängen zu verknüpfen. Jetzt kommen deutschlandweit einmalige Medienausbildungen hinzu. Für die gibt es einen enormen Bedarf. Auch mit der Kombination von Geistes- und die Technikwissenschaften haben wir einen hoch aktuellen Trend aufgenommen: Die Verbindung von Sprache oder grafischer Darstellung und neuen Medien ist etwas, was die Zukunft ganz entscheidend bestimmen wird. Denken Sie nur an Computergrafiker oder an Telekommunikationsmanager, die Computernetze entwerfen und betreuen.

Was ist das spezifische, was man, aus der DDR kommend, zehn Jahre nach der Wende noch in neue Universitäten einbringen kann?

Die Studienordnungen zum Beispiel waren mit bestimmten Sanktionen verbunden. Sie konnten exmatrikuliert werden, wenn Sie dreimal durch eine Prüfung durchgefallen sind. So etwas könnte ich mir wieder vorstellen – auch wenn ich weiß, dass das mit den gesetzlichen Regelungen derzeit nicht machbar ist.

Sie wollen ermöglichen, dass Unis die Studenten rauswerfen können?

Ich reagiere damit auf eine Meldung, nach der sich ein Student nach 22 Semestern wieder ins Studium einklagen konnte. Die Universität hatte ihn exmatrikuliert, weil er noch keinen Abschluss hatte. Solange das möglich ist, können sie sich viel überlegen, wie sie ein Studium beschleunigen wollen. Erfolg werden Sie keinen haben.

Sie könnten ja ab dem 14. Semester Geld verlangen – so wie in Baden-Württemberg?

Dagegen hätte ich nichts. Wenn Langzeitstudenten die Uni zu lange belasten, sollen sie es auch bezahlen.

Und vorher?

Bis zum ersten berufsbefähigenden Abschluss soll Studieren gebührenfrei sein. Ich finde es nach wie vor ein hohes Gut unserer demokratischen Ordnung, dass man unabhängig vom Geldbeutel ein Studium beginnen kann.

Sie haben gesagt, in den Ost-Unis findet eine bessere Lehre statt. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Dass wir die Zeit genutzt haben, die Betreuungsintensität zu erhöhen, etwa durch Tutorien. Und wir haben uns die Hinwendung zum Studenten als wichtige Tugend erhalten. Es ist einfach eine Frage der inneren Einstellung, seine Vorlesung so aufzubereiten, dass sie jemand verstehen kann.

Sie meinen, es gab im Osten eine gründlichere didaktische Aufbereitung von Lehrveranstaltungen?

Wir haben an diese Tradition anknüpfen können. Es gab bei uns viele gute Lehrbücher. Wir besprachen die Vorlesungsinhalte auch mal gemeinsam in der Fakultät. Die Professoren stimmten Vorlesungen und Übungen aufeinander ab.

Wie wollen Sie die Professoren dazu motivieren, das heute wieder so zu machen?

Ich gehe davon aus, dass ein Professor, den ich berufe, die Hinwendung zum Studierenden mitbringt. Wenn er das nicht tut, muss ich nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, wieder ade sagen zu dürfen.

Es wird in Thüringen die Professur auf Zeit geben?

Das gibt es in Thüringen jetzt schon in vielen Fächern.

In der Uni Weimar sitzen heute die Westler auf Lebenszeitstellen, die dort nach der Wende vergeben wurden.

In den ersten Jahren erfolgten Berufungen nach bekanntem Muster. Jetzt wird Thüringen seine eigenen Wege gehen. Bedenken sie aber auch, dass wir mit allen Hochschulen im Wettbewerb stehen, und nur wenige der Berufenden freuen sich über Befristungen.

In Erfurt sind kürzlich japanische Wissenschaftler in Händel mit Rechtsradikalen verwickelt worden. In Weimar haben sich ostdeutsche Schriftsteller handgreiflich gegen Angriffe verteidigen müssen. Was kann, was wird die Wissenschaftsministerin dagegen tun?

Ich bin über diesen Vorfall tief betroffen und habe den Innenminister in der Kabinettssitzung gebeten, auf solche Vorfälle schnell zu reagieren. Ich werde die Betreuungsarbeit für ausländische Studierende intensivieren.

Sie könnten auch darauf hinwirken, dass die Universitäten mehr politische Bildung anbieten.

Das kann und das werde ich tun. Aber damit erreiche ich noch keinen Rechtsradikalen auf der Straße. Worauf ich wirklich Einfluss hätte, haben Sie im Moment noch nicht hinterfragt: Wir haben zum Beispiel einen wunderschönen Begrüßungsabend für die ausländischen Studierenden an der TU in Ilmenau durchgeführt – zu der auch Jugendliche aus der Stadt eingeladen waren. Die ausländischen Studenten werden an der Universität Weimar freundlich von ihren deutschen Kommilitonen begrüßt und bei den Lehrveranstaltungen betreut. Im Sommer wurde in Ilmenau eine internationalen Studentenwoche mit namhaften Referenten und Studenten aus der ganzen Welt veranstaltet. Das Presseecho dazu war leider nur gering. Wenn aber zwei Gastwissenschaftler in Thüringen angepöbelt werden, weiß das gleich die ganze Bundesrepublik. Ich finde, wir dürfen uns auch nicht selbst kaputtreden.

Ist die Universität nicht der Ort, wo staatsbürgerliches Bewusstsein gelehrt wird?

Selbstverständlich. Es gibt an den Thüringer Universitäten ein studium generale, wo wir Vertreter aus allen gesellschaftlichen Bereichen mitheranziehen, Theologen, Wissenschaftler aus den Altbundesländern, mit dem Ziel, gesellschaftliche Probleme zu erörtern.

Wir haben Ihr Plädoyer in der Zeit für Solidarität und Zivilcourage als einen Anstoß an die Geisteswissenschaften gelesen. Sollen Geisteswissenschaftler zu Orientierungswissenschaftlern werden?

Das ist eine interessante Frage, die ich mir noch nicht gestellt habe. Ich zielte in dem Beitrag eher auf die Vermittlung des humanistischen Bildungsideals in Schulen und Hochschulen.

Autoritäre und nationale Symbole scheinen uns im Osten der Republik viel stärker in der Alltagskultur präsent zu sein.

Rechtsextremismus ist im Osten keine Alltagskultur, sondern ein Extremphänomen. Wenn von Menschen hier der Verlust der Alltagskultur der ehemaligen DDR beklagt wird, dann sage ich: Dass es an jedem Einzelnen liegt, was er für richtig und bewahrenswert hält. Solidarität kann auch unter heutigen Bedingungen gelebt werden. Ich bedaure nur, dass man den Jugendlichen, die unter dem Einfluss der FDJ aufgewachsen sind und für die die Partei vorgedacht hat, nach der Wende keine Orientierung geboten hat. Diese Jugendlichen stehen heute im Berufsleben oder sind arbeitslos. Man erreicht sie nicht über die Schulen, sondern meist über die Medien. Journalisten haben hier einen größeren Einfluss auf die Menschen als wir Politiker oder Professoren.

Medien sind keine Bildungseinrichtungen.

Aber sie beeinflussen die Meinungsbildung.

Interview: Fritz von Kling gräff und Christian Füller