Entspannung auf Koreanisch heißt Sonnenscheinpolitik

■ Die Touren südkoreanischer Touristen zum nordkoreanischen Kumgang-Berg sind das sichtbarste Ergebnis der Entspannung in dem geteilten Land. 140.000 kamen im ersten Jahr

Bis zum Jahr 2005 hat der Hyundai-Konzern das Exklusivrecht, Südkoreaner zum Kumgang-Berg zu bringen

Berlin (taz) – Seit Montag verhandeln in Berlin der US-Sonderbeauftragte Charles Kartman und Nordkoreas Vizeaußenminister Kim Gye-gwan hinter verschlossenen Türen. Bei den Gesprächen in der US-Botschaft und der nordkoreanischen Vertretung – einer Außenstelle der chinesischen Botschaft – geht es um die Lockerung des US-Embargos und um Pjöngjangs Raketentest-Moratorium. Themen sind auch Besuche nordkoreanischer Diplomaten in den USA, eine Nichtangriffsgarantie der USA, gegenseitige Verbindungsbüros als Vorstufe diplomatischer Beziehungen sowie Lebensmittelhilfen.

Die jetzigen Gespräche setzen die Verhandlungen vom September fort. Damals hatte Nordkorea gegen eine Lockerung der US-Sanktionen auf den Test einer Langstreckenrakete verzichtet, die das Territorium der USA hätte erreichen können. Bereits im Vorjahr hatte Nordkorea eine Rakete über Japan geschossen. Nach Wochen der Konfrontation, die im Juni mit dem Eindringen nordkoreanischer Marineschiffe in vom Süden reklamierte Gewässer und einem Seegefecht begonnen hatte, stehen die Zeichen jetzt auf vorsichtige Entspannung. Washington, Seoul und Tokio wollen ihre Kontakte zum isolierten Nordkorea ausbauen. Japan ließ letzte Woche wieder Charterflüge nach Pjöngjang zu, die nach dem Raketentest 1998 ausgesetzt worden waren. In dieser Woche schaut sich erstmals eine Delegation amerikanischer Geschäftsleute in Nordkorea um. Und Südkoreas Präsident Kim Dae-jung entwarf nach seiner Amtsübernahme im Vorjahr – in Anlehnung an die Entspannungspolitik Willy Brandts – die „Sonnenscheinpolitik“. Damit will er Kooperation, Dialog und Verständigung fördern, ohne Provokationen Nordkoreas zu dulden. Durch die Trennung wirtschaftlicher und politischer Beziehungen soll der bankrotte, aber hochgerüstete Norden geöffnet und so der Frieden stabilisiert werden.

Kim Dae-jung konnte dafür die Unterstützung des aus Nordkorea stammenden 84-jährigen Gründers des Hyundai-Konzerns, Chung Ju-yung, gewinnen. Chung, der als reichster Mann Koreas gilt, schenkte dem Hunger leidenden Norden tausend Rinder, die er persönlich über die sonst verschlossene Grenze brachte. Später machte er mit Nordkoreas Führer Kim Jong-il einen bahnbrechenden Deal: Für 942 Millionen Dollar erhielt Hyundai bis 2005 das Exklusivrecht, Touristen zum Kumgang-Berg zu bringen, der den Koreanern heilig ist. Gestern vor einem Jahr brachte ein Schiff die ersten Touristen aus dem Süden nach Changjon, von wo sie mit Bussen zum Kumgang-Berg gebracht wurden. Seitdem machten 140.000 Menschen die viertägige Reise und zahlten dafür bis zu 2.000 Dollar. Die Touristen wurden zur größten Devisenquelle. Nordkorea verdiente daran bisher 190 Millionen Dollar. Der Hyundai-Konzern, der in dem Berggebiet 83 Millionen Dollar investierte, machte dagegen 153 Millionen Dollar Verlust. Hyundai hofft aber auf schwarze Zahlen in zwei Jahren, wenn jährlich 500.000 Besucher erwartet werden.

Die Touren zum Kumgang-Berg sind das bisher sichtbarste Ergebnis der „Sonnenscheinpolitik“. Zwar haben sich südkoreanische Befürchtungen nicht bestätigt, dass Pjöngjang die Einnahmen in neue Waffen steckt. Doch die Touren brachten auch keine Annäherung der Menschen. Denn die Südkoreaner haben so gut wie keinen Kontakt zu Nordkoreanern. Im Juni wurde eine südkoreanische Hausfrau unter Spionagevorwurf verhaftet, als sie einem nordkoreanischen Reiseführer vom Leben nördlicher Überläufer in Seoul berichtete. Sie wurde zwar nach sechs Tagen wieder freigelassen, aber die Reisen blieben 45 Tage lang ausgesetzt.

Der Hyundai-Konzern plant schon das nächstes Großprojekt im Norden: ein nach dem Vorbild chinesischer Sonderwirtschaftszonen konzipiertes Industriegebiet für 220.000 Beschäftigte, die zu Nordkoreas Niedrigstlöhnen für den Weltmarkt produzieren sollen. Noch sind sich der Konzern und Pjöngjang nicht über den Standort einig.

Die „Sonnenscheinpolitik“ macht's möglich: Seoul genehmigt Nordreisen von Geschäftsleuten, Künstlern und Sportlern jetzt viel freizügiger. Durften von 1989 bis 1998 nur 2.408 Südkoreaner in den Norden reisen, waren es allein im diesem Jahr ohne die Kumgang-Touristen schon 4.217.

Doch ohne Argwohn ist man in Seoul nicht. Die Regierung will deshalb auch die Reichweite ihrer eigenen Raketen ausdehnen. Weil Washington befürchtet, dies könnte Pjöngjang provozieren, verhandelt seit gestern ein US-Diplomat mit der Regierung in Seoul.

Sven Hansen