Explosivstoff im Äther

Sand oder Öl im Getriebe – hat sich Günter Eich in der Nazi-Zeit der Propaganda gebeugt? Seine frühen Rundfunkjahre geben bis heute Anlass zu Debatten in der Literaturwissenschaft. Ein neues Buch belegt jedoch : Eichs Hörfunkarbeit taugt nicht zur Polemik ■ Von Peter Walther

Eichs Stellung zur „Wirklichkeit“ hat sich stetig verändert. Dies nur als opportunistische Kehrtwenden zu sehen, verkennt den Kontext

„Wir haben keine Zeit mehr, ja zu sagen“, heißt es in der Büchner-Preis-Rede von Günter Eich, in der er sich an seine Schriftstellerkollegen wendet: „Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, als Gegnerschaft und Widerstand, als unbequeme Frage und als Herausforderung der Macht, dann schreiben wir umsonst, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien. Die Chance, in das Nichts der gelenkten Sprache ein Wort zu setzen, wäre vertan.“

Dass diese Aufforderung zur Kritik an der Macht gleichzeitig eine kaum verklausulierte Selbstkritik, gar die „programmatische Ausformulierung einer Revision“ enthält – das ist die These, die Justus Fetscher in einem Beitrag über Eichs Hörspiel „Rebellion in der Goldstadt“ (1940) im jüngsten Heft der Zeitschrift Weimarer Beiträge vertritt.

Worum geht es? Dazu muss man sieben Jahre zurückgehen. 1993 hatte der in Neuseeland lehrende Literaturwissenschaftler und Mitherausgeber der Gesammelten Werke Eichs, Axel Vieregg, in einem Essay dessen Arbeit für den Rundfunk im Dritten Reich im Licht neuer Fakten interpretiert. Damit löste er eine Debatte aus, die durch den Fund des Hörspiels „Rebellion in der Goldstadt“ wenig später neu angefacht wurde. Hatte sich Eich – nach dem Krieg einer der zentralen Autoren der Gruppe 47 und ihr erster Preisträger, unbestritten der bedeutendste deutsche Hörspieldichter und machtkritischer Mentor der 68er-Bewegung – hatte er sich in den Nazi-Jahren zu stark auf die Forderungen der Propaganda eingelassen? Die Tatsache, dass Eich 1933 seine (nie vollzogene) Aufnahme in die Partei beantragte und sich von Aufträgen des Reichsrundfunks finanziell abhängig machte, reizte die FAZ zur Schlagzeile „Strammstehen für Goebbels, Geld und Urlaub“.

Fortan schlugen die Wellen der Empörung hoch, und Gräben taten sich auf selbst zwischen denen, die, um es verkürzt zu sagen, dasselbe wollten, nur mit unterschiedlichen Mitteln – nämlich die Person und das Werk Eichs vor ephemerer Sensationslust bewahren. „Eich wurde zu einem bedeutenden Dichter und Moralisten nicht obwohl, sondern gerade weil er seiner eigenen Fehlbarkeit begegnet war“, lautete die Grundthese von Axel Viereggs Aufsatz. Was nun aber hat Justus Fetscher, sechs Jahre nach der Debatte, Neues zu bieten? Hatte Vieregg versucht, Eichs Arbeit für den Reichsrundfunk und sein moralisches Engagement nach dem Krieg in einen für das Verständnis seines Werks produktiven Zusammenhang zu stellen, geht es Fetscher um Polarisierung: Die Büchner-Preis-Rede von 1959 wird auf der Folie jenes Hörspiels von 1940 gelesen, das Teil einer zentral gelenkten antibritischen Propaganda war. Zwei exponierte Texte aus zwei Lebensphasen herausgegriffen und übereinander geblendet – bei einem solchen Verfahren nimmt die Versuchsanordnung das Ergebnis vorweg: „In seinem zweiten Leben hat Eich versucht, sein erstes durch Pathos und Absage zu überschreiben. Erst durchs Pathos des Mitleids, in dem sich Eich mit dem Leiden der anderen identifizierte. Später durch die Geste der Verweigerung von Publikumserwartungen, klassizistischen Forderungen an Literatur, durch Distanzierung vom bisherigen eigenen Werk.“ Das ganze Nachkriegswerk, über vierzig Hörspiele, die Gedichtbände, die „Maulwürfe“ – alles nur, um von der literarischen Produktion vor 1945 abzulenken? Poesie als Mittel zur persönlichen Ehrenrettung, als aufwendige Konstruktion einer Schneider-Schwerte-Legende? Würde sich hier nicht enttäuschte Liebe in Polemik Luft machen – was wäre dies sonst, mit Verlaub, als eine Froschperspektive auf Literatur?

Fetscher glaubt außerdem, Eichs Anspruch, Stil solle „Explosivstoff, nicht Schlafpulver“ sein, postum als Mär entlarven zu können, indem er eine Kritik des 1951 urgesendeten Hörspiels „Träume“ zitiert. Dort heißt es zustimmend, der Autor würde „unser aller Träume dichten“. Verschwiegen wird, dass die Rezension von Karl Korn sich nicht auf das Hörspiel, sondern auf dessen Abdruck in einem Sammelband drei Jahre nach der Ursendung bezieht. Was der Autor sich 1951 an Hörerreaktionen anhören durfte, klingt beispielsweise so: „Ja. Kann man den Mann nicht einsperren?“ oder „Es ist zum Kotzen! Hängen Sie sich Ihre ganzen Hörspiele an'n Nagel, wissen Sie – schweinemäßig ist das!“ Dies klingt doch etwas anders, als es das vom Autor behauptete „prästabilierte Einverständnis zwischen dem Schriftsteller und seinem Publikum“ vermuten ließe.

Gleichzeitig mit Fetschers Aufsatz ist das Buch von Hans-Ulrich Wagner über Günter Eich und den Rundfunk erschienen, das einen Überblick über das Rundfunkschaffen Eichs seit Anfang der Dreißigerjahre bietet und in einer kommentierten Radiografie mit über 300 Titeln alle ermittelten Rundfunkarbeiten Eichs dokumentiert. Im einleitenden Essayteil, der mit dem Jahr 1953 abschließt, fasst Wagner das Ergebnis seiner Recherchen zusammen und wertet hier zum ersten Mal die Korrespondenz Eichs mit seinem Freund und Kolonne-Mitherausgeber Adolf Artur Kuhnert umfassend aus.

Bereits 1928 wurde Eich von Hermann Kasack dem Rundfunkpublikum vorgestellt, ab 1930 tritt er vors Mikrofon, seit 1932 entstehen erste Arbeiten für den Rundfunk. Die jungen Autoren, die sich Ende der Zwanzigerjahre um die von Kuhnert und Martin Raschke herausgegebene Zeitschrift Kolonne versammelten, trennten in ihrem neoromantischen Dichtungsverständnis zeitlose Poesie von notwendiger Brotarbeit: „Man muss alles bezahlen“, schreibt Eich 1936 an Kuhnert, „Genüsse zuweilen mit Geld und Geld zuweilen mit dem Glück des Schöpferischen.“

Damit ist der Zwiespalt beschrieben, in dem sich Eich schon bald nach Beginn seiner Rundfunklaufbahn befand: Hörspiele und Hörfolgen waren zunächst nicht mehr als Mittel zum Zweck, die Existenz des freien Schriftstellers zu sichern. Aber schnell war aus dieser Betätigung eine finanzielle Abhängigkeit entstanden – ein „Beruf“, der Eich wenig Gelegenheit ließ, seiner „Berufung“ nachzugehen. Erst Mitte der Dreißigerjahre wird Eich dem Hörspiel die Literaturtauglichkeit zugestehen. Etwa 160 Rundfunkarbeiten entstehen bis 1940, darunter die langjährig ausgestrahlte Hörfolge „Königswusterhäuser Landbote“, die Eich gemeinsam mit Raschke verfasste. Die Gemengelage von zivilisationskritischen Einstellungen und neuromantischer Weltsicht dürfte es den Autoren leicht gemacht haben, sich dem Lob des Ländlichen zu verschreiben. Wagners Arbeit, die durch ihre enorme Quellenbasis beeindruckt, geht jede polemische Stoßrichtung ab. Im Vordergrund steht die Information über Inhalt und Umfang der Rundfunkarbeiten Eichs. Der Autor hat nicht nur sämtliche Begleitumstände dokumentiert, unter denen die Zusammenarbeit Eichs mit den verschiedenen Sendern zu Stande gekommen war, sondern auch personelle Kontinuitäten über die „Stunde null“ hinaus kenntlich gemacht. Nur ein Beispiel: Der Inspirator des „Königswusterhäuser Landboten“, Werner Pleister, damals Leiter der literarischen Abteilung am Deutschlandsender, war nachmals erster bundesdeutscher Fernsehintendant.

„Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt“ – das Zitat aus den „Träumen“, von der Studentenbewegung auf ihre Plakate gemalt, konnte Eich späterhin nur noch ironisch kommentieren. Vom „tiefen Ernst“ dieser Phase hat der späte Eich sich schroff distanziert. Die Stellung Eichs zur „Wirklichkeit“, die für ihn erst im Schreiben entsteht, hat sich im Verlauf von Jahrzehnten über verschiedene Etappen hinweg immer wieder geändert. Dass solche Revisionen mit der Einsicht eigenen Fehlverhaltens und eigener Versäumnisse verbunden sind, lässt sich an den Brüchen in Eichs poetischem Werk ablesen. Wer die Biografie des Dichters nur als Kette opportunistischer Kehrtwenden sieht, verkennt diesen Zusammenhang. Eich gehört zu den Autoren, die ihre literarische und menschliche Glaubwürdigkeit nicht in starrer Beharrung auf einmal bezogenen Positionen, sondern in deren zunehmender Radikalisierung bezeugt haben.

Der Autor ist einer der Initiatoren einer Günter-Eich-Ausstellung, die ab dem 22. März in Potsdam zu sehen sein wird.

Justus Fetscher: „Das Empire bläst zum Angriff Saxophon. Text und Kontext von Günter Eichs ,Rebellion in der Goldstadt‘ “. In: Weimarer Beiträge 4 (1999), S. 584-597, 42 DM

Hans-Ulrich Wagner: „Günter Eich und der Rundfunk. Essay und Dokumentation“. Verlag für Berlin-Brandenburg/Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs. Potsdam 1999, 422 S., 68 DM