Kohl kassierte noch zwei Millionen mehr

■ Der Exkanzler nahm mehr verdeckte Parteispenden an, als er zugegeben hatte. Auch die Bundes-CDU verfügte über schwarze Auslandskonten in der Schweiz. Parteichef Schäuble setzt auf den Staatsanwalt

Berlin (taz) – Der frühere CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler Helmut Kohl hat weit mehr schwarze Parteispenden entgegengenommen als bisher bekannt. Nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums teilten Parteichef Wolfgang Schäuble und Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann am Freitag in Bonn mit, Kohl habe nicht nur zwischen 1993 und 1998, sondern auch in den Jahren 1989 bis 1992 rund zwei Millionen Mark in bar und an den Bestimmungen des Parteiengesetzes vorbei entgegengenommen. Ferner steht nun fest, dass auch die Bundes-CDU über schwarze Auslandskonten in der Schweiz verfügte, über die Kohl jedoch nichts gewusst haben will.

Die CDU glaubt, in der Aufklärung ihrer Finanzaffäre einen wesentlichen Schritt weitergekommen zu sein. Dennoch bleiben auch weiterhin viele Fragen offen. Generalsekretärin Angela Merkel sprach davon, dass das „Kartell des Schweigens teilweise durchbrochen“ sei. Und CDU-Chef Wolfgang Schäuble machte deutlich: „Unsere Möglichkeiten, die Widersprüche aufzuklären, sind weitgehend erschöpft.“

Deswegen setzen die Christdemokraten nun massiv auf die Hilfe der Staatsanwaltschaft. Gegen Kohl ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft bereits wegen Untreue und gegen Weyrauch und Terlinden wegen Beihilfe zur Untreue. Die Bonner Justiz hat bereits am Freitag die Protokolle von den Gesprächen mit dem ehemaligen CDU-Finanzberater Horst Weyrauch und dem Ex-Generalbevollmächtigten der CDU-Schatzmeisterei und Kohl-Intimus Uwe Lüthje erhalten. Die Protokolle über die Gespräche mit Helmut Kohl, seinem Vertrauten Hans Terlinden und Ex-Schatzmeister Walther Leisler Kiep werden ebenfalls weitergeleitet.

Mit diesen Namen sind für die neue CDU-Spitze auch die Schuldigen ausgemacht, denen die Partei ihr Dilemma zu verdanken hat. Schäuble und Merkel betonen in erkennbarer Distanz zu Kohl, „dass für die Verletzung des Parteiengesetzes Einzelne verantwortlich sind“. Damit ist Kohl wieder in den Mittelpunkt der Affäre gerückt. Der wegen einer 100.000-Mark-Spende vom Waffenhändler Schreiber ins Zwielicht geratene CDU-Chef Wolfgang Schäuble wurde dagegen erneut vom Präsidium unterstützt, nachdem Weyrauch seine Version bestätigt hatte.

Wie Hausmann unter Berufung auf die Aussage des ehemaligen Generalbevollmächtigten der CDU-Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, mitteilte, unterhielt die CDU bis Anfang der 70er-Jahre ein Schweizer Konto, auf dem Gelder der Spendensammelorganisation „Staatsbürgerliche Vereinigung“ und andere Spenden lagen. Dieses Konto sei in eine Stiftung „Norfolk“ überführt worden, habe lange geruht und sei Ende der 80er-Jahre reaktiviert worden. Schließlich sei eine Summe von fünf oder sechs Millionen Mark in bar nach Deutschland gebracht worden, darunter eine Spende von einer Million Mark eines Siemens-Vorstandsmitglieds. Die Siemens AG bezeichnete dies als unverständlich und kündigte an, „umfassende Klarheit“ schaffen zu wollen.

Die Summe von fünf oder sechs Millionen Mark ist Bestandteil der zehn Millionen Mark, deren Herkunft bislang als ungeklärt galt. Laut Lüthje sind weitere „zwei bis drei Millionen“ Mark von Kohl übergeben worden. Kohl selbst sagte in seiner Vernehmung lediglich, ihm sei am Rande von Veranstaltungen häufig Geld zugesteckt worden. Zudem habe es sich um Kleinspenden in Höhe von manchmal 1.000 oder auch 20.000 Mark gehandelt und nicht um große Zuwendungen. Laut Hausmann hat Kiep eine ganze Reihe der von Lüthje und dem ehemaligen Finanzberater Hort Weyrauch geschilderten Vorgänge als falsch bezeichnet.

Karin Nink, Tina Stadlmayer

Tagesthema Seite 3