„Chance für Konsens nutzen“

Umweltminister Jürgen Trittin glaubt, dass sein Ausstiegskurs auf dem Grünen-Parteitag „mehrheitsfähig“ sein wird – die Strukturreform des Bundesvorstandes dagegen nicht

Interview TINA STADLMAYER und MATTHIAS URBACH

taz: Herr Trittin, fürchten Sie, auf dem Parteitag am Wochenende demontiert zu werden, wenn die Atomkonsensgespräche vorher kein Ergebnis gebracht haben?

Jürgen Trittin: Nein. Ich werde den Delegierten über den Stand der Verhandlungen berichten. Die müssen dann entscheiden, wie es weitergehen soll.

Sind die Konsensgespräche schon gescheitert?

Nein, aber wir erleben, dass die Industrie die Verhandlungen ein ums andere Mal blockiert. Zunächst wegen der Wiederaufarbeitung, dann wegen der gestrichenen Steuerentlastung. Im Sommer hieß es, wir verhandeln erst weiter, wenn wir wissen, was im Dissensfall auf uns zukommt. Darauf hat die Koalition geantwortet: Dann befristen wir die Laufzeit der AKWs einheitlich auf 30 Jahre ab Inbetriebnahme. Seit dem wird erstmals ernsthaft verhandelt. Jetzt erleben wir, dass die Betreiber erneut versuchen, auf Zeit zu spielen – weil sie untereinander uneins sind.

Besteht die Gefahr, dass der Koalitionsbeschluss auf dem Parteitag in Frage gestellt wird?

Ich glaube, dass der von uns verfolgte Ausstiegskurs mehrheitsfähig ist, bis weit in die Reihen derjenigen, die vor kurzem noch einen schnelleren Ausstieg für möglich hielten. Die Delegierten werden aber ein weiteres Verschleppen kaum akzeptieren.

Hatten die Skeptiker Recht, die von vornherein sagten, Konsensgespräche taugen nichts?

Manche Atomkraftgegner innerhalb und außerhalb der Grünen haben die Haltung: Mit der Atomindustrie setzt man sich nicht an einen Tisch. Manchmal glaube ich, ihnen wäre eine Dissenslösung mit längeren Laufzeiten lieber als ein Konsens mit kürzeren Fristen. Ich halte es nicht für klug, die Chancen für einen Konsens ungenutzt zu lassen.

Würden Sie für einen Konsens auch ein paar Jahre Laufzeit drauflegen?

Dazu sehe ich keinen Anlass. Warum soll ich für etwas, was ich im Dissens erreichen kann, im Konsens etwas draufgeben? Die Industrie hat lange Zeit gesagt, wir müssten uns in der Laufzeitfrage bewegen, damit sie uns beim Stopp der Wiederaufarbeitung entgegenkommt. Das könnte sich nun von selbst erledigen: Wenn sich herausstellen sollte, dass die Atomfabrik in Sellafield nicht nur in der Herstellung von MOX-Brennstäben unzuverlässig ist, sondern auch in der Wiederaufarbeitung, dann ist der Weg nach Sellafield versperrt.

Man könnte dann immer noch im französichen La Hague aufarbeiten. Wie lange werden Sie denn den Importstopp gegen Sellafield aufrechterhalten?

Bis zweifelsfrei festeht, dass in Sellafield alle geforderten Sicherheitsstandards eingehalten werden und sämtliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der BNFL als Betreiberin ausgeräumt sind. Nach Lage der Dinge wird das noch eine ganze Weile dauern.

Wenn die Konsensgespräche scheitern, wird in dieser Legislaturperiode kein Reaktor mehr vom Netz gehen. Wie wollen Sie das Ihren Grünen vermitteln?

Wir müssen uns fragen, was gewonnen wäre, wenn wir um eines Symbols willen ein, zwei AKWs ein halbes Jahr früher stilllegen und die anderen dafür wesentlich länger laufen ließen. Ist uns dieser Preis die Symbolik wert? Es soll keiner glauben, mit der Abschaltung einer Anlage ein paar Wochen vor der Wahl würde der Ausstieg unumkehrbar. Ginge die Wahl verloren, wäre die schnell wieder betriebsbereit.

Ein weiteres Thema wird auf dem Parteitag für Streit sorgen: Ist der Vorschlag des Bundesvorstandes zur Strukturreform der Partei mehrheitsfähig?

Ich bin skeptisch, dass dieser Vorschlag die nötige Zweidrittelmehrheit bekommt. Ich rechne damit, dass er durch Änderungsanträge noch abgespeckt wird. Im Übrigen bin ich dafür, diese Frage tiefer zu hängen: Alle Grünen wollen eine Strukturreform – von Fischer bis Simmert.

Sind Sie für den Vorschlag Kerstin Müllers, dass die Trennung von Amt und Mandat für Minister und Vorsitzende der Bundestagsfraktion weiter gelten soll?

Der Parteitag wird einen sinnvollen Kompromiss finden. Dabei wird die Frage der besseren Personalauswahl für den Bundesvorstand eine Rolle spielen.

Welche Strukturreform halten Sie für sinnvoll?

Wir brauchen vor allem einen größeren Vorstand, einen verkleinerten Parteirat und eine andere Finanzverteilung innerhalb der Partei. Der Bundesvorstand muss finanziell so ausgestattet werden, dass er politisch handlungsfähig ist. Die Frage ist, ob die Landesverbände bereit sind, einen größeren Teil der Beiträge an die Bundespartei abzuführen.

Wird es dazu einen Beschluss auf dem Parteitag geben?

Wenn sich da nichts bewegt, würde die Strukturreform zur kurz greifen. Es hat Zeiten gegeben, da wollten einige realpolitische Landesverbände den Bundesvorstand aus politischen Gründen kurz halten. Sie wollten keinen starken Vorstand. Sie hatten ja die Fraktion. Die spannende Frage ist, wie sich diese Landesverbände jetzt verhalten.

Warum ist ein starker Bundesvorstand wichtig?

Weil es das Recht der Parteimitglieder ist, über die Wahl des Vorstands die Politik der Partei zu bestimmen. Wenn der Vorstand zu schwach ist, um eigenständig gegenüber den grünen Bundesministern und der Bundestagsfraktion aufzutreten, dann gibt es ein demokratisches Defizit. Dann ist es auch egal, ob die Vorsitzenden Mandate innehaben oder nicht. Ihr Mandat könnten sie dann sowieso nicht ernsthaft wahrnehmen, weil der Vorstandsjob zu aufreibend ist.

Woran scheiterte die amtierende Sprecherin Gunda Röstel?

Ich sehe nicht, daß Gunda Röstel gescheitert ist. Sie hat unter den schwierigen Bedingungen des Amtes respektable Arbeit geleistet. Wie man sie aus dem Amt gedrängt hat, finde ich ihr gegenüber nicht sonderlich fair.