Hacker-Anschlag auf russisches Blatt

MOSKAU taz ■ Nein, es war nicht der übliche Albtraum: Kurz vor Torschluss und nichts auf dem Schirm! Am Mittwochnachmittag sahen sich die Redakteure der investigativen Wochenzeitung Nowaja Gaseta erstmals mit dem Ernstfall konfrontiert. Sämtliche Texte der nächsten Nummer waren aus dem System getilgt. Ein technischer Defekt scheint ausgeschlossen. Redakteur Sergej Sokolow vermutet vielmehr Hacker hinter der Löschaktion. Denn die nächste Nummer befasste sich ausführlich mit der Finanzierung der Präsidentschaftswahlkämpfe Boris Jelzins 1996 und seines designierten Nachfolgers Wladimir Putin in diesem Monat: „Die Redakteure schließen nicht aus, dass die kriecherische Entourage der führenden Politiker des Landes bereit ist, auf diese Weise ihre Loyalität zu beweisen“, so die öffentliche Stellungnahme der Zeitung, die damit auf den russischen Geheimdienst FSB, den Ex-KGB, anspielt, dessen Chef Wladimir Putin war, bevor er zum amtierenden Präsidenten ernannt wurde.

Die Nowaja Gaseta war überdies als einzige russische Zeitung den Häuserexplosionen in Moskau und der Provinz nachgestiegen, für die offiziell „tschetschenische Terroristen“ verantwortlich sein sollen und die dem Kreml als Vorwand für einen Krieg gegen die abtrünnige Kaukasusrepublik dienten. In der Provinzstadt Rjasan machte die Gaseta Soldaten ausfindig, die damals ein Lager bewachten, in dem Zuckersäcke aufbewahrt wurden. Auf der Suche nach Zucker für den Tee schnitten sie die Säcke auf und fanden – den Sprengstoff Hexagen, der auch bei den Anschlägen in Moskau benutzt worden war. Tage später ließ der FSB verlautbaren, man habe nur die Wachsamkeit der Bürger schärfen wollen. Mitarbeiter des FSB hätten, so die Nowaja Gaseta, daraufhin den Soldaten „Verrat von Staatsgeheimnissen“ vorgeworfen und ihnen geraten, die Sache möglichst schnell zu vergessen.

Laut dem unabhängigen Nationalen Presseinstitut komme die Methode, Zeitungen durch Computermanipulationen zu behindern, „in der Provinz ziemlich regelmäßig vor“. KHD