Lächeln beim Lesen

Eine Heldin des anmutigen Durchwurstelns – Doja Hackers Debütroman: „Nach Ansicht meiner Schwester“

Das Lächeln beim Lesen: seltene Sache. Häufig kommen vor: eine Sorte „heiterer Roman“, die einen in Verzweiflung stürzt, und gemeinhin als „pfiffig“, „gewitzt“, „hoch komisch“ oder sogar „verschmitzt“ annoncierte Literatur, die einen betteln lässt, es möge bald Schluss sein mit lustig.

Vielleicht hat das Lächeln beim Lesen mit dem Lächeln beim Schreiben zu tun. Wenn auch jede Seite von Doja Hackers Debütroman „Nach Ansicht meiner Schwester“ von konzentrierter Arbeit zeugt – denn so elegant und grazil (ohne je prätentiös zu werden), so schwerelos und richtig ist ein Text nur selten von allein –, so schimmert doch ein Lächeln aus vielen Seiten, ungreifbar wie Alices Katze im Wunderland, aber freundlicher, lebendig und mild.

Dies war die kleine Anbetung vorweg. Wenden wir uns den dürren Fakten zu; es sind wenig genug: Doja Hackers Heldin ist eine Berliner Kulturjournalistin mit der stabilen Bereitschaft, sich in ältere Männer zu verlieben. Aus einer stagnierenden Beziehung zu einem solchen flüchtet sie in die Wohnung ihrer jüngeren Schwester, die eine Buchhandlung betreibt. Die beiden kaufen samstags frisches Gemüse auf dem Markt, trinken zur Wochenendausgabe diverser Zeitungen genussvoll ihren Milchkaffee, rauchen die eine oder andere und nehmen das Leben so leicht, wie es intelligenten und sensiblen jungen Damen möglich ist.

Die Heldin kauft sich einen kleinen Hund. Besuche bei den getrennt lebenden Eltern in Norddeutschland erlauben den Lesern Einblicke in komplizierte bourgeoise Verhältnisse, deren Protagonisten ihnen ans Herz wachsen. Die Heldin verliebt sich erneut, und auch ihre Schwester heilt eine unglückliche Erfahrung durch eine neue Affäre mit gemischten Erfolgsaussichten. Wir folgen den beiden in Berliner Restaurants und Küchen und der Heldin nach Südpolen, wo sie ein Haus und Pferde anschafft und ein Wochenendleben mit ihrem – natürlich älteren – Geliebten führt.

Ein kleiner Autounfall (Verletzungsfolge: mehrfach gebrochener Arm) und das Geburtstagsfest der Heldinnenmutter in Kiel bilden die dramatischen Höhepunkte zum Abschluss dieses Romans.

Das klingt nicht gerade atemberaubend. Wie bei guter Literatur aber immer, kommt es nicht darauf an, was, sondern nur drauf, wie es beschrieben wird. (In der taz führte vor vielen Jahren die Sommerlochserie „Romane der Weltliteratur in einem Satz erzählt“ zur endgültigen Beglaubigung dieser Auffassung.) Dass Hacker klar und witzig von heutigen familiären Konstellationen erzählt, das ewige Thema der Geschwisterliebe und des Aushandelns von Identitäten zwischen gewohnten Zuschreibungen (die eine intellektuell, die andere sensibel, die eine kommt auf Papa, die andere ... und so weiter) und neuen Erfahrungen anschaulich macht – das ist schön, aber gar nicht so wichtig. Das Spezifische an Doja Hackers Erzählweise ist ein in Literatur verwandeltes Lächeln, menschenfreundlich und klug, selbstironisch und dem Leben mit all seinen Schwierigkeiten zugewandt.

„Abends hatten wir sie zusammen“, heißt es von den Handwerkern für ihr polnisches Häuschen, „einen Glaser, einen Maurer, einen Fensterrahmentischler, einen Elektriker, einen auf Holzbänke spezialisierten Zimmermann und einen Teichausheber, sämtlich stockbetrunkene Männer um die Sechzig. Der Glaser kam mit seinem einäugigen Onkel, der sich von ihm nicht trennen mochte.“ Wir sehen die Runde vor uns und wissen: Wenn man dabei nicht lächeln kann, dann muss man weinen und reist wieder ab. Doch Aufgeben ist nicht der Heldin Stil. Sie wirkt verträumt und schusselig, ist aber ein zähes Wesen.

Wer sie ansieht, denkt an: „Schlafdefizit. Dieses Wort begleitete mich wie ein leicht meschuggener Schutzengel. Denn wenn es etwas gab, an dem es mir nicht mangelte, dann war es Schlaf. Dösend gingen mir Dinge durch den Kopf ...“

Sie nervt nicht mit enormer Tüchtigkeit, stilisiert sich aber auch nicht als Verliererin; sie pflegt ein diskretes Dazwischen. „Einmal, bei einer Abendveranstaltung mit gesetztem Essen, fragte mich ein prominenter Essayist ohne jede Vorankündigung und ohne sich bis dahin besonders um mich gekümmert zu haben, einen halb zerkauten Bissen Tafelspitz noch in der Backentasche: Und womit wollen Sie mal groß herauskommen?“

Weder Weltenekel noch Altersmilde, eher anmutiges Durchwursteln prägt die Haltung der Heldin und ihre Wahrnehmungsweise. Obwohl sie wunderbar, prägnant und schlicht erzählen kann, erlaubt sie sich gelegentliche Apercus, die geistvoll sind und unverdreht (nicht nur darin an den tschechischen Meister Hrabal erinnernd).

Wenn die Autorin ihrer Heldin ähnelt, dann weiß man nicht, ob man ihr wünschen soll, ganz groß herauszukommen. Vielleicht hat sie mit diesem Buch ja auch erzählt, was sie erzählen wollte. Das wäre aber sehr schade.

ELKE SCHMITTER

Doja Hacker: „Nach Ansicht meiner Schwester“. Piper Verlag, München 2000, 160 Seiten, 29,80 DM

Zitat:

Der berühmte Essayist fragte, einen halb zerkauten Bissen noch in den Backen: „Und womit wollen Siemal groß rauskommen?“