Frost statt Frühling in Teheran

Irans Konservative benutzen eine Berliner Konferenz zum Schlag gegen Reformer

BERLIN taz ■ Ein Berliner Ereignis wühlt die iranische Politik auf. Der Wächterrat, höchstes Gremium Irans, rief gestern in Teheran zu einer Demonstration auf, um „Hass und Abscheu“ auszudrücken. Zehntausende Iraner skandierten „Tod den Söldner-Schreibern“, angestachelt von Ajatollah Ali Chamenei, dem geistlichen Oberhaupt Irans. Grund des organisierten Volkszorns ist die Konferenz „Iran nach den Parlamentswahlen“, die vor zwei Wochen von der Heinrich-Böll-Stiftung im Berliner Haus der Kulturen organisiert wurde. Erstmalig waren führende iranische Reformer im Ausland zusammengekommen, um mit der Exil-Opposition zu diskutieren. Dazu kam es nicht, weil einige Teilnehmer das Forum für ihren Radikalprotest gegen die Islamische Republik nutzten und die öffentliche Konferenz sprengten. Die taz berichtete ausführlich.

Nachdem das iranische Fernsehen ausgewählte Bilder der Konferenz gezeigt hatte, auf denen verschwommen eine halb entblößte Frau und ein nackter Demonstrant zu sehen waren, brach in den konservativen Kreisen ein organisierter Sturm der Entrüstung aus. Der Vorfall lieferte einen lang ersehnten Anlass für die Kleriker, zum Generalschlag gegen die Reformer um Präsident Chatami auszuholen. Chatami wird von der Presse unterstützt, deren exponierteste Vertreter auf der Berliner Konferenz so offen wie nie zuvor Reformen in Iran angemahnt hatten. Damit machten sie sich in Chameneis Worten zu „Feinden des Islam.“ Einige von ihnen müssen jetzt vor einem Revolutionsgericht die „anti-islamischen Entgleisungen“ verantworten. Und die in Berlin niedergebrüllten Reformer müssen mit weiteren Angriffen rechnen. Erster Hinweis darauf ist eine vom Wächterrat angeordnete Verschiebung der Nachwahlen. Die Konstituierung des neuen Parlaments könnte sich verzögern. FLORIAN HARMS

kommentar SEITE 11