„Es gibt Schreiber-Briefe an Kohl“

Hans-Christian Ströbele, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre, über neue Schriftstücke und neue Erkenntnisse
Interview KARIN NINK
und TINA STADLMAYER

taz: Herr Ströbele, der Untersuchungsausschuss soll prüfen, ob Entscheidungen der Regierung Kohl von Spendern beeinflusst worden sind. Sehen Sie sich in diesem Verdacht bestätigt?

Ströbele: Ja. Es gibt eine ganze Reihe von neuen Indizien, die den Verdacht erhärtet haben.

Zum Beispiel?

Bisher wurde von den zentralen Figuren Kohl und dem ehemaligen CDU-Schatzmeister Kiep und anderen immer so getan, als hätten sie mit dem Waffenhändler Schreiber nichts zu tun gehabt, ihn gar nicht richtig gekannt. Das ist aber nach den Unterlagen, die wir aus dem Kanzleramt bekommen haben, offenbar nicht richtig. Es gibt zum Beispiel mehrere Briefe von Schreiber an Kohl aus den Jahren 1996 und 1997. Darin setzt sich Schreiber für den ehemaligen kanadischen Premierminister Mulroney ein, der ja in den Verdacht der Bestechlichkeit geraten war. Er bittet Kohl, Mulroney zu unterstützen. (Gegen Mulroney lief ein Ermittlungsverfahren, weil vermutet wurde, dass er sich von Schreiber bestechen ließ. Das Verfahren wurde später eingestellt. Die Red.)

Was bedeuten die jüngst aufgetauchten Briefe von Kiep an Kohl?

Schreiber hat beim Verkauf von Fuchs-Panzern der Firma Thyssen nach Saudi-Arabien eine wichtige Rolle gespielt. Das belegt der Brief von Kiep an Kohl vom April 1993, in dem steht: „Lieber Helmut, Du wirst Dich sicher an die Hilfe und Unterstützung in der Angelegenheit Fuchs-Systeme erinnern, welche an Saudi- Arabien geliefert wurden ... Die Initiative dazu ging von Herrn Schreiber aus ...“

Und?

Eineinhalb Jahre vor dem Brief hatte derselbe Schreiber eine Million Mark an Kiep für die CDU übergeben. Sechs Monate vor der Übergabe war dem Panzergeschäft von der damaligen Regierung zugestimmt worden. Kieps Schreiben von April 1993, in dem er sich für ein neues Panzerprojekt Schreibers in Kanada einsetzt, folgen noch zwei weitere Schreiben von Schreiber und ein weiterer Brief von Kiep an Kohl. Diese Briefe sind nun im Archiv des Kanzleramtes aufgetaucht. Offenbar waren sie falsch einsortiert, sonst wären sie, wie andere brisante Unterlagen auch, vor dem Regierungswechsel vernichtet worden.

Nun hat Kiep aber ausgesagt, daran könne er sich nicht mehr erinnern ...

Das glaube ich ihm nicht. Kohl selbst hat Kieps Briefe abgezeichnet und Verfügungen darauf vermerkt. Dem Briefwechsel folgte dann eine lange Auseinandersetzung, an der das Verteidigungsministerium, Schreiber, Kiep und Kohl beteiligt waren. So was vergisst man nicht. Dieser Waffenhändler hat ganz offensichtlich nicht nur beim Deal mit den Fuchs-Panzern mitgemischt, sondern auch versucht, Kohl für weitere Waffengeschäfte einzuspannen. Und er ist der, der die Million für die CDU übergeben hat und weitere Millionen an CDUler verteilt haben soll. Das kann kein Zufall sein. Das sind starke Indizien für Bestechung.

Haben Sie etwas über die Hintergründe der angeblichen Millionenspenden von Siemens herausbekommen?

Das Kanzleramt unter Kohl ließ 1990 die Firma darüber informieren, dass der Bundesnachrichendienst von Überläufern von ihren gesetzeswidrigen Geschäften mit der DDR erfahren hatte. Das erfüllt möglicherweise den Tatbestand der versuchten Strafvereitelung. Die sture Haltung der CDU gegen einen Atomausstieg könnte mit der gut geschmierten Beziehung zum Atomkonzern Siemens zusammenhängen.

Hat der Ausschuss weitere Anhaltspunkte gefunden?

Ja. Entscheidend war auch die Aussage der ehemaligen Staatssekretärin im Verteidungsministerium. Agnes Hürland-Büning hatte 7,5 Millionen von Thyssen an Honorar erhalten. Ihre Aussage hat Hinweise gegeben, wie illegal Geld zur CDU geflossen sein könnte: Millionenbeträge werden als „Beraterhonorar“ bezahlt. Von dem Geld bleibt bei dem Berater aber nur ein Teil hängen, der Rest wird weitergeleitet. Am besten ins Ausland, wo sich die Spuren verlieren. Das Geld fließt dann weiter an die eigentlich Begünstigten. Im Fall von Hürland-Büning war die Zwischenstation der dubiose deutsche Geschäftsmann Dieter Holzer.

Hat Hürland-Büning das so vor dem Ausschuss gesagt?

Ja. Sie hat dann aber die Aussage dazu verweigert, ob das Geld bei Holzer geblieben ist. Früher hat sie ausgesagt, das Geld sei weitergegeben worden. Holzer ist auch der Agent von Elf Aquitaine, der beim Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie 50 Millionen Mark Provision bekommen haben soll. Wenn er im Fall Hürland-Büning nur Durchlaufposten war, könnte es im Fall von Leuna ähnlich gelaufen sein. Beraterverträge sind ein bekanntes Mittel zur Geldwäsche, weil man nicht kontrollieren kann, was der Berater macht.

Hürland-Büning begründete ihre Aussageverweigerung zu einzelnen Punkten damit, dass sie sich sonst möglicherweise selbst belasten würde – muss daraufhin nicht sofort der Staatsanwalt die Ermittlungen aufnehmen?

Eigentlich ja. Sie setzt sich dem Verdacht der Geldwäsche aus.

Andere wichtige Zeugen, wie der Kohl-Vertraute Hans Terlinden und der ehemalige CDU-Finanzberater Horst Weyrauch, verweigern auch die Aussage. Was tun?

Ich halte es als Strafverteidiger nicht für zulässig, dass Terlinden die Aussage komplett verweigert. Das Gericht sollte das nicht akzeptieren und auf unseren Antrag Beugehaft verhängen. Dann wird er reden.

Wie interpretieren Sie die widersprüchlichen Aussagen der ehemaligen CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister und ihres Vorgängers Leisler Kiep zum Verbleib der 100.000-Mark-Spende von Schreiber an Schäuble?

Kiep hat vor dem Ausschuss wiederholt, dass die Schreiber-Spende nie bei der CDU angekommen sei. Ich gehe davon aus, dass das stimmt. Die Angaben von Schäuble und Baumeister, hinter einer Überweisung von Kieps Konto an die CDU verberge sich diese Spende, scheint nachträglich konstruiert. Anhaltspunkte, dass sich Schäuble persönlich bereichert hat, habe ich nicht. Vielleicht hat er das Geld für den Wahlkampf verwendet.

Und wie erklären Sie die widersprüchlichen Aussagen von Baumeister und Schäuble zu Zeit und Ort der Übergabe?

Frau Baumeister sagt, sie sei am 11. Oktober 1994 bei Schreiber gewesen und habe den Umschlag und den Begleitbrief übernommen. Ich bin überzeugt, dass Frau Baumeisters Version stimmt. Es gibt Zeugen und Belege dafür, zum Beispiel die Eintragungen in Schreibers Terminkalender, der ja bereits vor fünf Jahren beschlagnahmt wurde. Außerdem liegt uns Schreibers Begleitbrief vor, datiert auf den 10. Oktober 1994. Darin steht: „Anbei der Bildband mit den hundert häßlichen Männern.“ Damit sind 100 Tausendmarkscheine gemeint.

Baumeister sagt, sie habe den Umschlag Schäuble gegeben. Der bestreitet, von ihr einen solchen bekommen zu haben. Warum?

Die Erklärung könnte eine Erbfolgeauseinandersetzung im Sommer 1997 sein, mit allen Intrigen, wie man sie aus Shakespeare-Dramen kennt. Bis dahin war Schäuble Kohls Thronfolger. Es könnte Streit der beiden über das System der schwarzen Konten gegeben haben. Baumeister hat berichtet, im September 97 habe sie Kohl von der 100.000-Mark-Spende von Schreiber an Schäuble erzählt. „Der Dicke“ sei daraufhin in das Zimmer von Schäuble gestürmt. Worüber war Kohl so sauer?

Sagen Sie es uns.

Vielleicht fühlte er sich von Schäuble reingelegt und hintergangen, weil der die Schreiber-Spende angenommen und ausgegeben hat, ohne ihn – Kohl – darüber zu informieren. Schäuble hat dann versucht, die Sache wieder gutzumachen: Er verlangte von Baumeister eine Bestätigung, dass er das Geld sofort an sie sie weitergegeben habe – mit dem Hinweis, an Schreiber eine Quittung zu geben, also die Spende dem Gesetz gemäß zu behandeln. Bei dieser Version ist er geblieben, um Kohls Vertrauen wiederzugewinnen.

Warum ist die Art der Übergabe für Schäuble so wichtig?

Das muss mit der unmittelbar danach am 16. Oktober stattgefundenen Bundestagswahl zusammenhängen. Das Geld könnte kurzfristig im Wahlkampf eingesetzt worden sein.

Herr Ströbele, ist es in Ordnung, dass sich der Ausschussvorsitzende Volker Neumann (SPD) vor einer Sitzung telefonisch vom Waffenhändler Schreiber Einzelheiten zu diesem Hergang berichten lässt?

Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, aber politisch problematisch. Die Ausschussmitglieder müssen nicht unbefangen sein. Aber: Wenn es sich um ein Gericht handeln würde, wäre der Vorsitzende nicht mehr zu halten. Über Inhalte hätte er besser nicht mit Schreiber am Telefon geredet. Er hätte sich die Aussage schriftlich geben oder einen Aussagetermin vereinbaren sollen.

Was halten Sie von der Art und Weise, wie der Vorsitzende den Untersuchungsausschuss leitet?

Ich bin nicht immer damit einverstanden. Zum Beispiel hat er meine Frage an Schäuble, „Was haben Sie mit Herrn Kohl besprochen?“, nicht zugelassen. Genau diese Information hätte uns weitergebracht. Er hätte Schäuble im Gegenteil darauf hinweisen müssen, dass er diese Frage beantworten muss. Wir haben unterschiedliche Auffassungen davon, wie man Zeugen befragt. Ich versuche mich in die Zeugen und ihre Antworten einzufühlen und bekomme manchmal mehr heraus.

Arbeitet der Ausschuss so effektiv, wie er sollte?

28 Mitglieder, das sind einfach zu viele. Das hält auf. Trotzdem ist der Ausschuss erfolgreicher als sein Ruf. Wir haben wichtige Details erfahren. Am Ende der Legislaturperiode werden wir einige Sachverhalte belegen können. Möglicherweise wird ein weiterer Ausschuss in der nächsten Legislaturperiode eingesetzt werden müssen. Fast jede Woche kommen neue Dinge auf den Tisch, die aufgeklärt werden müssen. Ich bin sicher, dass es auch noch weitere staatsanwaltliche Verfahren geben wird. Auch mit den Falschaussagen, die es in meinen Augen zahlreich gegeben hat, wird sich die Staatsanwaltschaft beschäftigen müssen.

Von welchen Zeugenaussagen erwarten Sie entscheidende Informationen?

Natürlich vom ehemaligen Kanzler Kohl. Aber auch mit Kiep sind wir nicht zu Ende. Er kann unmöglich dabei bleiben, von dem System der schwarzen Konten nicht gewusst zu haben, und alles auf seine Mitarbeiter schieben – von denen der eine schwer krank ist und der andere schweigt. Kiep wird erklären müssen, wofür ihm Schreiber 1991 einen Koffer mit einer Million überreicht hat. Wir werden ihn voraussichtlich vereidigen lassen, um eine wahrheitsgemäße Aussage herbeizuführen. Einen Meineid wird er wohl nicht riskieren. Ein interessanter Zeuge könnte auch der ehemalige Chef der Firma Elf Aquitaine sein. Er hat uns angeboten, auszusagen.

Zitate:ÜBER KIEPS GEDÄCHTNISLÜCKEN„Wir sind mit Kiep nicht zu Ende. Einen Meineid wird er wohl nicht riskieren.“ÜBER NEUMANNS METHODEN„Wenn es sich um ein Gericht handelte, wäre Neumann nicht zu halten.“