„Die Religionskriege sind aus“

Renate Künast über ihre Vorstellungen von Pragmatismus und einem zeitgemäßen Parteimanagement der Grünen
Interview TINA STADLMAYER
und HEIDE OESTREICH

taz: Frau Künast, alles was Spaß macht, ist verboten, macht dick oder wird von den Grünen bekämpft. Haben Sie gesagt. Warum sollte man die Grünen dann eigentlich wählen?

Renate Künast: Mit dieser Zuspitzung mahne ich eine Änderung des Erscheinungsbildes der Grünen an. In vielen Bereichen, beim Umweltschutz zum Beispiel, haben wir längst kapiert, dass man nicht nur gesetzliche Limits braucht, sondern auch positive Anreize.

Falsch haben Sie nichts gemacht?

Unser Fehler war, dass wir uns eine Zeit lang nur über den Atomausstieg definiert haben. Dabei haben wir den aktuellen Solarboom ausgelöst!

Warum wirkt die Partei trotzdem so schlaff?

Wir müssen lernen, uns auf Inhalte zu besinnen, und kämpfen. Wir brauchen aber auch offenere Arbeitsformen, damit junge Leute wieder Lust haben, bei uns mitzumachen. Und die Älteren müssen Macht abgeben. Es hat sich viel mehr verändert, als manche wahrnehmen wollen: Heute braucht man keine Tabus mehr zu brechen, sondern muss praktikable Konzepte anbieten.

Dann wird die Jugend zu den Grünen strömen.

Jedenfalls eher als jetzt. Die Jugendlichen sind heute anders als wir: Sie haben kein Feindbild mehr in der älteren Generation. Für die sind wir eine Partei wie alle anderen, mit Strukturen und Ritualen wie den Flügelkämpfen, die sie nicht verstehen. Die Älteren müssen sehen, dass die Zeit der Religionskriege vorbei ist. In der Shell-Studie steht, dass Jugendliche sich heute mit ihren Eltern entwickeln, nicht gegen sie.

Was fangen Sie mit dieser Erkenntnis an?

Da können wir eine alte Stärke der Grünen nutzen, die verloren gegangen ist. Wir müssen wieder offen sein für die Veränderung von außen.

Und wie soll das gehen?

Viele junge Menschen finden zum Beispiel unsere Verkehrspolitik spannend: Bahn und Bus müssen den eindeutigen Vorrang haben. Nicht überall wird das Auto dadurch überflüssig. Deshalb muss das Auto technologisch weiterentwickelt werden. Die Jugendlichen interessieren sich für diese Fragen, wollen aber deswegen nicht die Tiefen der Parteiarbeit, sondern ein bestimmtes Projekt verfolgen. Für die brauchen wir mehr Möglichkeiten, sich bei uns einzumischen.

Warum gelten Sie bei vielen Jugendlichen als Bremser und die FDP als Modernisierer?

Das ist genau die Frage, die ich mir jeden Morgen und jeden Abend stelle. Manchmal denke ich: Die Grünen sind weiblich. Frauen sind scheuer, die Mediengesellschaft zu nutzen und zu sagen: Ich bin gut, mach das mal nach. Sie versuchen durch brillante Facharbeit zu überzeugen. Genauso wie wir Frauen lernen müssen, Erfolge offensiv zu verkaufen, so muss das auch die Grüne Partei angehen.

Wollen Sie die Quote abschaffen und stattdessen Nachhilfekurse für Frauen einrichten, Frau Künast?

Das dürfen Sie nicht miteinander vermischen. Also erstens: Göttin sei dank, ich bin weiblich. Ich hätte nicht anders sozialisiert werden mögen. Der ganze Kampf um Frauenförderung und Quoten war richtig und ist noch nicht zu Ende. Man muss gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordern. Aber gerade die jungen Frauen sehen auch, dass sie nicht nur auf einer Hälfte der Stühle sitzen bleiben können. Es kommt darauf an, richtig mit den Medien umzugehen und das ganze Politik-Instrumentarium zu nutzen. Dazu muss frau sich vernetzen.

Was ist der Unterschied zwischen Frauennetzwerk und Männerklüngel?

Macht wollen heißt nicht Vermännlichung. Wenn Frauen sich einig sind, können sie zum Beispiel die Debattenkultur verändern. Mal sagen: Bestimmte Dinge werden wirklich sofort und nicht nachher am Kneipentisch besprochen. Weil es auch noch Familie und Freunde gibt. Und sie können den Blick dafür schärfen, welche Auswirkungen unsere Arbeitsmarkt- oder Rentenpolitik auf Frauen hat.

Frau Künast, sind Sie durch die Politik härter geworden?

Ja, eine Weile lang schon. Ich wollte mit diesen Instrumenten umgehen können, mich behaupten. Mit den Jahren bin ich sicher geworden und habe viele Dinge ausprobiert. Ich setze jetzt auf übergreifende Netzwerke, also: mit den SPD- und CDU-Frauen Verbindungen herstellen, mit Verbänden zusammenarbeiten.

Worauf muss sich die Partei gefasst machen, wenn Sie gewählt werden?

Auf Teamarbeit. Und: Wir müssen den Aufbau Ost organisieren und die Beteiligung der Jugendlichen, vor allem junger Frauen. Wir sollten uns in den nächsten Monaten inhaltlich konzentrieren: auf Bildung und moderne Technologien einerseits, auf Umweltschutz und Lebensqualität andererseits.

Einerseits pragmatisch sein, andererseits Profil zeigen – wie lösen Sie dieses Problem?

Wenn ich sage, die Religionskriege sind zu Ende, dann heißt das nicht, dass man politische Ziele aufgeben muss. Eine Partei muss, wenn sie an der Regierung beteiligt ist, Profil zeigen, aber auch Kompromisse eingehen. Der dafür notwendige Pragmatismus ist doch nichts Schlechtes, wenn die Richtung der Reformen stimmt!

Wie pragmatisch dürfen die Grünen denn noch werden?

Wir müssen lernen, dass wir nicht jede laufende Entwicklung wie das kleine gallische Dorf verhindern können. Die Grünen in Hannover haben die Bevölkerung gefragt: Wollt ihr die Expo oder nicht? Wir fanden sie unsinnig. Aber siehe da, eine Mehrheit wollte die Expo. Also verkämpfen wir uns da nicht, sondern legen den Schwerpunkt auf die Frage, was die Expo bringen muss: Vom Niedrigenergie-Haus bis zur Zukunft der Arbeit.

Hat dann die Partei mit Ihnen die Führung, nach der sie angeblich schreit?

Wir werden sehen. Der erste Schwung muss in Zukunft, zum Beispiel bei einer Energiekampagne, von der Bundesebene kommen. So wie bei der Debatte um die Abschaffung der Wehrpflicht, da läuft es zur Zeit idealtypisch.

Woran ist der letzte Vorstand gescheitert?

Auch daran, dass da plötzlich Regierungsmitglieder saßen, die schon wegen ihres Amtes mehr Einfluss hatten. Wenn dann die Personen an der Parteispitze weniger eingebunden sind und unzulängliche Arbeitsbedingungen haben, entsteht ein Machtgefälle.

Wie verringern Sie das?

Da muss man jetzt die eigenständige Rolle der Partei entgegenhalten. Weil aber Basisdemokratie viel Zeit braucht, muss das straffer organisiert werden, deshalb ist auch Führung nötig. Wir müssen da eine ganz neue Mischung entwickeln. Eines ist völlig klar: So gehen wir nicht in den nächsten Bundestagswahlkampf.

Sie wollen die Minister einbinden, aber die scheinen darauf nicht sehr erpicht zu sein . . .

Das Ziel muss sein, dass die Minister denken, sie sind out, wenn sie nicht bei dem mitmachen, was die Partei vorhat und will.

Zitate:

ÜBER GRÜNE MINISTER:

„Die Minister müssen denken, sie sind out, wenn sie nicht mitziehen.“

ÜBER GRÜNE DEFIZITE:

„Manchmal denke ich: Die Grünen sind weiblich. Frauen sind scheuer.“

ÜBER DIE „NEUEN“ GRÜNEN:

„Die Älteren müssen Macht abgeben. Wir brauchen offenere Arbeitsformen.“