„Ich kann Wohlstand schaffen“

Vicente Fox, der Präsidentschaftskandidat der Partei der Nationalen Aktion, über sein Wirtschaftsprogramm, den Chiapas-Konflikt und politische Führer

Interview ANNE HUFFSCHMID

taz: Ihr Wahlslogan ist denkbar eingängig: „Ya!“, es reicht. Ihr Hauptargument ist der Machtwechsel. Reicht das als politisches Programm?

Vicente Fox: Wir haben jetzt 71 Jahre Einparteiendiktatur hinter uns. Im Grunde ist es ein Referendum, bei dem die Mexikaner zwischen zwei Möglichkeiten abstimmen: Weitermachen mit dem alten Regime – oder Machtwechsel.

Ihr Stil wird als populistisch und personenfixiert kritisiert: Worin unterscheiden Sie sich denn von der Institutionell-Revolutionären Partei?

In allem. Die PRI ist keine demokratische Partei, sie ist an der Macht mithilfe von Betrug – wir nicht. Die PRI ist korrupt und mit dem Drogenhandel verbandelt – wir nicht. Die PRI hat die Mexikaner jahrzehntelang in Unwissenheit und Elend gehalten, 40 Millionen leben in Armut. In der Wirtschaftspolitik gibt es nur bei der Sicherung von Stabilität Überschneidungen. Darüber hinaus sind wir an der Entwicklung des Klein- und Mittelgewerbes orientiert, nicht an den Großunternehmen.

Ihre Partei, die PAN, gilt seit je als Mittelstands- und Unternehmerpartei. Man könnte meinen, gerade wirtschaftspolitisch unterscheidet sie sich nicht wesentlich vom marktliberalen Kurs der PRI in den letzten 15 Jahren.

Wir sind für das Modell der Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung, weil es das einzige Modell ist, das Reichtum schafft. Da stimmen wir mit der PRI überein, in Bezug auf Finanzdisziplin, die Autonomie der Zentralbank, die Globalisierung. In Hinblick auf das Wie unterscheiden wir uns: Wir schlagen eher eine Art dritten Weg vor, eine Wirtschaft mit menschlichem Antlitz. Da ähnelt die PAN eher den Christdemokraten.

In Europa stecken die Christdemokraten aber eher in der Krise.

Ich bin einfach ein Bürger mit großer Erfahrung in Betriebsführung, in der Landwirtschaft und der Industrie. Was ich kann, ist Wohlstand schaffen, wie ich als Gouverneur von Guanajuato [Bundesstaat, der seit 1995 von der PAN regiert wird; Anm. d. R.] bewiesen habe. Ich bin in die Politik gegangen, um die PRI aus dem Regierungspalast zu schmeißen. Danach geht es mir darum, die Wirtschaft wachsen zu lassen und die Armut zu bekämpfen. Etiketten wie „sozialdemokratisch“ oder sonst irgendwas interessieren mich nicht.

Die Armut zu bekämpfen, verspricht die PRI seit Jahrzehnten. Und legt immer neue Sozialhilfeprogramme auf. Was wollen Sie anders machen?

Es geht darum, dass auch der Ärmste die Möglichkeit hat, sein Elend zu überwinden. Und zwar auf der Grundlage von Arbeitsplätzen, von Kreditzugang und Finanzierungen für alle, die ein eigenes Geschäft aufmachen wollen. Und mit einer Bildungsrevolution, um jedem Jugendlichen durch ein Stipendium den Zugang zur Universität zu garantieren.

Sie haben behauptet, man könne den Chiapas-Konflikt „in fünfzehn Minuten lösen“. War das ernst gemeint?

Die gegenwärtige Regierung hat sechs Jahre mit Nichtstun verbracht. Man kann den Konflikt in fünfzehn Minuten lösen, allerdings nur, wenn auch Marcos wirklich an der Würde der Indios, an wirtschaftlicher und menschlicher Entwicklung in Chiapas interessiert ist.

Zweifeln Sie daran?

Darauf habe ich noch keine Antwort. Ich muss herausfinden, was Marcos wirklich will. Aber mein Weg besteht auf jeden Fall in einer friedlichen und politischen Lösung. Die Regierung und ihr Kandidat Labastida setzen auf einen militärischen Weg – sie haben noch nie etwas anderes getan, als die Armee in die indianischen Dörfer zu schicken.

Wenn Sie gewinnen, werden Sie also die Soldaten aus Chiapas abziehen?

Zuerst einmal will ich ein persönliches Gespräch mit Marcos und den Dialog und die Verhandlung mit der Zapatistenarmee wieder aufnehmen. Wenn es zu einem ernsthaften Dialog kommt, habe ich als Präsident gar kein Problem damit, die Armee auf ihre ursprüngliche Position vor dem Konflikt zurückzuziehen und die Abkommen von San Andrés umzusetzen, zumindest größtenteils. [Das im Februar 1996 unterzeichnete Abkommen sieht indigene Selbstbestimmungsrechte vor, seine Umsetzung scheitert bis heute an der Blockade des Präsidenten; Anm. d. Red.]

Tun Sie derzeit etwas, damit dieses Gespräch mit Marcos stattfindet?

Seit ich meine Kandidatur erklärt habe, versuche ich das. Ich habe ihm schriftliche wie mündliche Botschaften zukommen lassen. Bislang ohne Antwort.

Als Konservativer wollen Sie sich auch mit anderen Teilen der Linken zusammensetzen wie der Partei der Demokratischen Revolution und mit deren Kandidat Cuauhtémoc Cárdenas. Ist Ihre Politik denn kompatibel?

Es geht darum, verschiedene Parteien und Bürgergruppen zusammenzubringen, damit alle Stimmen bei einem einzigen Oppositionskandidaten landen. Und der Einzige, der Chancen hat, die Präsidentschaft zu gewinnen, heißt momentan nun mal Vicente Fox. Ich will Cárdenas gar nicht dazu bringen, dass er sich unserer Kampagne anschließt und seine Kandidatur niederlegt. Ich wende mich an seine Wähler und will sie davon überzeugen, dass ihr Stimmzettel diesmal nur etwas nutzt, wenn sie für Fox stimmen. Dafür habe ich angeboten, dass ich Ideen der PRD in mein Regierungsprogramm aufnehme.

Welche denn? Bei Streitthemen wie etwa der Legalisierung der Abtreibung haben Linke und Konservative diametral entgegengesetzte Positionen.

Eigentlich alle, mit Ausnahme der Abtreibung. Aber das hat derzeit auch keine Bedeutung. Wir reden ja davon, dass wir von einer Diktatur endlich in eine Demokratie übergehen wollen. Danach diskutieren wir dann über alles andere, meinetwegen auch die Abtreibung.

Ihre Partei wird zumeist mit konservativer Moralpolitik assoziiert. Einzelne PAN-Bürgermeister haben Miniröcke, Table-Dance oder homosexuelle Kulturveranstaltungen verboten.

Da muss man unterscheiden: Das war die individuelle Position einzelner PAN-Politiker, das ist nicht Parteilinie. Es gibt sehr konservative und es gibt liberalere Mitglieder, ich rechne mich selbst dem liberalen Flügel zu. Außerdem muss ich klarstellen, dass das Land nicht von der PAN regiert werden wird. Regieren wird der Präsident, zusammen mit einem pluralen Kabinett. Ich möchte gern Leute aus allen Parteien dabeihaben.

Intellektuelle wie der Schriftsteller Carlos Monsiváis befürchten auch von Ihnen ein moralisches Roll-back, etwa die Rückkehr der Kirche ins öffentliche und politische Leben.

Mit allem Respekt, Herr Monsiváis hört in dem Moment auf, ein Intellektueller zu sein, wo er keine Intelligenz mehr beweist. Ich habe an die Angehörigen aller Religionen geschrieben und ihnen versichert: erstens, dass ich an die Trennung von Kirche und Staat glaube; zweitens, es wird unter meiner Regierung keinen religiös orientierten Unterricht in der Schule geben; und drittens, und das gefällt dem Herrn Monsiváis eben nicht, werde ich die Freiheit aller Religionen fördern, weil sie heute durch die Regierung völlig kontrolliert sind. Wenn Herr Monsiváis Atheist ist, dann verletze ich damit doch nicht seine Rechte. Er kann tun und lassen, was er will.

Was antworten Sie denen, die in Ihnen einen modernen Caudillo sehen?

Der Präsident muss ein Führer sein. Es sind solche Führer, die die Menschen und ihren Willen zu bewegen vermögen, die Menschen zusammenbringen und Konsens schaffen. Die ganze Menschheit entwickelt sich doch über die Impulse, die von Führungsfiguren ausgehen. Ich fühle mich beileibe nicht als erleuchteter Führer. Ich habe diese Rolle nicht gewählt, die Bürger haben sie mir zugewiesen, als Kandidat und Präsident diese Zeit des Übergangs zur Demokratie anzuführen. Diese Verantwortung nehme ich an. Und frage Sie: Was wäre aus Südafrika ohne einen Mandela oder aus Polen ohne einen Walesa geworden?

Hinweis:Vicente Fox feiert am Wahltag, dem 2. 7., 59. Geburtstag. Studierte Verwaltung, war Coke-Manager und Farmer. 1988 Abgeordneter der Partei der Nationalen Aktion (PAN), 1995 Gouverneur im Staat Guanajuato.