Versprochen: Demokratie in 1.000 Tagen

Vicente Fox’ Programm ist verschwommen. Viele befürchten einen steigenden Einfluss der katholischen Kirche. Die Wirtschaft ist gelassen

MEXIKO-STADT taz ■ Er sei kein Politiker, sagte Vicente Fox kürzlich im Gespräch mit der taz (s. taz vom 27. 6.). Eher ein Geschäftsmann, der Ahnung vom Wirtschaften habe. Tatsächlich steht der leidenschaftliche Ranchero, der auf seinem Landgut im nördlichen Hochland jeden Montag seine Pferde ausreitet, weniger für Dogmen oder Prinzipien als für gut geölte Publicity. Bevor er vor 13 Jahren der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) beitrat, war er fast ein Vierteljahrhundert Coca-Cola-Manager. So bot Fox in bester Marktlogik jeder Wählerklientel, was sie am ehesten nachfragte: den Bankern und Unternehmern Freiheit, den Studenten ein Gratisstudium, den Indios Gleichberechtigung, den Konservativen family values. Und allen versprach er, die Korrupten in den Knast zu karren, alle Ehrlichen an der Regierung zu beteiligen und „aus Mexiko in 1.000 Tagen eine echte Demokratie“ zu machen.

Was allerdings genau unter der „moralischen Erneuerung“ oder „einer menschlichen Ökonomie“ zu verstehen ist, die der hemdsärmelige Populist immer wieder propagiert, dürfte selbst seinen engsten Mitarbeitern unklar sein. Auch seine Anhängerschaft weist keineswegs ein einheitliches ideologisches Profil aus: neben der PAN und der Grünen Partei – einer unbedeutenden Kleinstpartei mit pseudo-ökologischem Anstrich – finden sich in dem Zweckbündnis „Allianz für den Wechsel“ sowohl ehemalige Kommunisten und Ex-Achtundsechziger wie frisch gebackene PRI-Aussteiger. Unklar ist derzeit, wieviel Gewicht seine Partei – die vor über 60 Jahren als erste rechtsklerikale Oppositionspartei gegen das sozialistische Gebaren der Revolutionsregierung gegründet wurde – in der Fox-Regierung bekommt. „Nicht die PAN wird regieren, sondern Fox“, hatte er der taz vor der Wahl gesagt. Zweifellos gehört der 58-Jährige nicht zum traditionellen PAN-Milieu, sondern verkörpert, so der Politologe Lorenzo Meyer, „das Aufbegehren der Mittelschichten“.

Beunruhigung lösen im linksliberalen Lager allerdings die Fox’schen Avancen an den Klerus aus, der seit Mitte des letzten Jahrhunderts weitgehend aus dem politischen Leben Mexikos verbannt war. Das Recht auf Leben stehe ganz oben auf seinem Wertekatalog, heißt es in einem offenen Brief an die mexikanischen Bischöfe – eine unmissverständliche Absage an alle Versuche, die kriminalisierte Abtreibung zu liberalisieren. Einfluss gewinnen soll die Kirche auch wieder verstärkt in Schulen und Medien. Nicht wenige befürchten, dass mit dem Sieg des „Schlangenbeschwörers“ – so der Wahlkampfleiter der linken PRD, Julio Moguel –, der von seinen Anhängern mit geradezu religiöser Inbrunst verehrt wird, Mexiko vom Regen in die Traufe gerate. So warnt der Intellektuelle Carlos Monsivais gar vor einer „Rückkehr ins Mittelalter“, bei es vor allem Frauen, Homosexuellen und Atheisten an den Kragen ginge. Sein Kollege Jorge Castañeda appellierte hingegen stets an streng realpolitisches Kalkül: Diese Wahl sei „kein Schönheitswettbewerb und kein Prinzipienstreit“, sondern „ein Referendum über den Machtwechsel“. Unter nur mit neuen, demokratischen Spielregeln, argumentierte Castañeda, könne künftig effektiv für Menschen- und Bürgerrechte gestritten werden.

Wenn die Staatspartei, übrigens in seltener Eintracht mit Teilen der Linken, in den letzten Woche auch unermüdlich vor „Chaos“ und „Instabilität“ im Falle eines Fox-Sieges gewarnt hat: Zumindest ökonomisch ist eher business as usual zu erwarten. Bei einem Sieg der Opposition „no pasa nada“, passiert gar nichts, meinte der Vorsitzende der Nationalen Bankenvereinigung. Banker und Wirtschaftsbosse hatten diesmal, im Unterschied zu früheren Wahlen, für den Fall einer PRI-Niederlage längst nicht mehr mit massiver Kapitalflucht gedroht. Angesichts der engen Symbiose aus Partei-und Staatsapparat scheint selbst die Wirtschaftsvertreter eine ganz andere Sorge umzutreiben. „Wir fragen uns, wie bereitwillig die PRI, ihre Bürokratie, ihre Basis und die Gewerkschaft, jetzt die Macht auch wirklich abgeben wird“, schrieb vor wenigen Tagen der Investment-Experte der Deutschen Bank für Lateinamerika, Renato Grandmont. In seiner Abschiedsrede erinnerte der Ex-Labastida an diesen Apparat, an „unsere Gouverneure, unsere Abgeordnete und unsere Bürgermeister“. Und tröstete seine Zuhörer: „Unsere Partei ist lebendig – und wird ihre Vitalität wiedererlangen“. Das klang beschwörend und drohend zugleich. ANNE HUFFSCHMID