Lust- und Liebesobjekt: der Macker

Fragen, die das Leben stellt: Warum fahren eigentlich helle Feministinnen so häufig ausgerechnet auf dunkle Machos ab? Eine Globalisierungsstudie aus dem ganz gewöhnlichen mitteleuropäischen Alltag

von DAVID SIGNER

Während meines Ethnologiestudiums, später dann bei der Arbeit im Asylwesen, aber auch in den einschlägigen Discos und Konzerten konnte ich oft ein Phänomen beobachten, das ich nie recht verstand. Ich lernte zahlreiche Schweizerinnen kennen, die gebildet, kritisch, emanzipiert und links waren, die einen Freund hatten, der in etwa aus derselben Ecke kam (Lehrer, Kreativer, Sozialarbeiter), mit ihm die üblichen Auseinandersetzungen durchexerzierten (er beteiligte sich zu wenig im Haushalt, konnte nicht zuhören, kurz: ein Phallokrat), die irgendwann nicht mehr mit ihm gesehen wurden und eines Tages mit einem Nigerianer, einem Pakistani oder einem Kolumbianer auftauchten, der noch weniger im Haushalt Hand anlegte als der Ex, der sich keinen Deut um differenziertes Zuhören bei Diskussionen über Julia Kristeva scherte, der am Abend lieber mit Kollegen ausging als bei Kerzenschein und Keith Jarrett Tofupastete zu essen und der sich ganz sicher nicht halbtags um eventuelle Kinderchen kümmern würde. Letztere erblickten übrigens oft schon neun, zehn Monate später das Tageslicht, obwohl die Frauen wenig vorher noch von psychotherapeutischer Selbstverwirklichung, romanistischer Dissertation oder neunmonatiger Asienreise geträumt hatten.

Diesen Frauen, vorher extrem auf Partnerschaftlichkeit und gleiche Szene aus (eine Freudianerin konnte sich nie vorstellen, mit einem Jungianer zusammenzuleben), machte es plötzlich nichts mehr aus, dass sie sich mit ihrem Neuen nur radebrechend spanisch oder französisch unterhalten konnte, dass er ihr die Butter reichte, wenn sie Judith Butler erwähnte, oder dass er Haile Selassie für einen Messias hielt, während ihr vorher schon Ruth Dreifuss zu konservativ war. Manche traten auch ihrem neuen Mann zuliebe zum Islam über und wurden noch verbohrter als er selbst, während sie doch eben noch aus der Kirche ausgetreten waren, weil sie sie frauenfeindlich und rückständig fanden.

Mir kommt da zum Beispiel Eveline in den Sinn, aus der Sozialbranche, die sich und ihren afrikanischen Mann, der seinerzeit als Asylbewerber in die Schweiz kam, mit ihrem mageren Salär schlecht und recht durchbringt. Er arbeitet nicht, fliegt aber mit ihrem sauer verdienten Geld mehrmals pro Jahr in seine Heimat (voll bepackt mit Video, Walkman, Handy etc., weil diese Geschenke halt von ihm erwartet werden), wo er dann in der Disco den „grand type“ markiert, der die Mädchen bei guter Laune hält.

Wenn sie findet, das Videogerät für die Schwester könnte er auch bleiben lassen, gibt er ihr zu verstehen, dass sie eben nichts von seiner schwarzen Kultur begreife, was ihr sehr weh tut, weil sie sich so Mühe gibt, in der Afrodizzia im „Dynamo“ jeweils wie eine echte Afrikanerin auszusehen.

(Er hat übrigens noch Frau und Kind zu Hause, was sie erst später erfuhr. Das tönt nach Klischee, aber manchmal sind auch Klischees wahr. Erst war sie enttäuscht und weinte, aber inzwischen hat sie verstanden, dass sie nicht ihre Schweizer Maßstäbe tel quel übertragen kann.)

Manchmal gerät Eveline in Panik, wenn sie daran denkt, dass sie in zwei Jahren alle ihre Ersparnisse aufgebraucht hat, obwohl sie selber sich kaum noch eine neue CD leistet. Als sie noch mit ihrem Schweizer Sozialarbeiter zusammen war, da zahlten sie im Restaurant immer separat, und zu Weihnachten schenkten sie sich nichts mehr, weil sie fanden, das sei unnötig.

Wäre ihr Mann Schweizer, wäre sie in ihrem Bekanntenkreis wahrscheinlich ziemlich umgehend geschnitten und fallen gelassen worden („Mit ihrem Macker kann man ja nicht normal reden“). Mit dem Afrikaner hingegen holt sie sich selbst bei ihren Hardcorefreundinnen einen Prestigebonus. Offenbar spielt dabei irgendein Multikultifaktor („Dritte-Welt-Solidarität“) eine Rolle sowie eine Art sinnlicher Postfeminismus („kompromisslos die eigene Sexualität, die weiblichen Wünsche ausleben“), mit einer Prise Postmoderne („la différence“!). Vielleicht fungiert der Ausländerstatus auch als Alibi, als eine Art Schutzwall, hinter dem sie ausleben kann, was sie sich sonst, mit einem Schweizer, nur unter der Gefahr eines Ausschlusses aus ihrer Gruppe erlauben könnte.

Was ausleben? Klare Rollenverteilungen („une femme est une femme“), Mütterlichkeit („er war ja so verloren in der Schweiz, bevor er mich kennen lernte“), die Benutzung exotischer Reizwäsche und Aphrodisiaka („Thiouray“, „Bin-Bin“, „Bedjo“), die Möglichkeit, jeden Abend eine fröhliche Gästeschar zu bekochen, den Kinderwunsch (ohne endloses Wenn und Aber), die Faszination und Bewunderung eines unbekannten, geheimnisvollen Andern?

Vielleicht kann sie auch ihrem feministischen Überich Genüge tun, indem sie sich sagt, dass ja sie es ist, die arbeitet und Geld verdient und ihrem Mann überhaupt in mancher Hinsicht überlegen ist (Sprache, soziale Kompetenz, Bildung). Bei jedem Amtsgang, bei jedem offiziellen Brief ist er von ihr abhängig. Bloß bringt ihr diese pseudomatriarchale Machtposition eigentlich bloß Pflichten, aber kaum Rechte.

Irgendwie schafft er es immer, sich gegen sie durchzusetzen. (Sie war gegen den Autokauf; jetzt fährt sie fast jedes Wochenende mit dem alten Toyota ins Welschland, wo sie dann irgendwelche seiner Kollegen besuchen. Von den Diskussionen versteht sie nur Bahnhof.)

Ihre Eltern waren übrigens gegen die Liaison. Aber das hat sie bloß erst recht in seine Arme getrieben. Und jetzt bringt sie es nicht über sich, ihrer Mutter von ihren Sorgen zu erzählen. Die würde nämlich triumphieren: „Ich habe es dir ja gesagt!“ Darum tut sie trotzig so, als ob es immer superspannend wäre. Dabei denkt sie manchmal, wenn ihr alles über den Kopf wächst (vor allem der Berg von Rechnungen), schon an Trennung. Aber irgendwie liebt sie ihn extrem, auf eine ganz tiefe Art, die sie sich selbst nicht recht erklären kann. Es hat wohl damit zu tun, sagte sie einmal, dass sie sich bei ihm total als Frau ernst genommen fühlt. Das ist nachvollziehbar. Bloß würde sie im gleichen Fall bei einem Weißen wahrscheinlich sagen: Für ihn bin ich bloß ein Lustobjekt.

Einmal fragte ich Eveline nach ihrem Vater, und aus ihrer Schilderung hörte ich heraus, dass sie ihren „Alten“ überhaupt nicht respektierte. Und zwar fand sie ihn einerseits herrisch, in einer altmodischen Art patriarchalisch (er sagte seiner Frau nie, wie viel er eigentlich verdiente), andererseits war er ein Schlappschwanz, völlig abhängig von seiner Frau, die er „Mutter“ nannte. Ich stelle mir vor, dass sie „hör auf!“ sagte, wenn er sie in der Küche einmal umarmte („begrapschte“), und sich dann rasch wieder ihren Pfannen zuwandte. Die Frau als starkes Opfer, der Mann als Pascha und Pantoffelheld. Vielleicht war ihr Männerbild dadurch so lädiert, dass Liebe nur noch mit einem möglich war, der schon äußerlich nicht im Entferntesten mit dem Alten zu tun hatte. Vielleicht konnte nur weit, weit von diesem Mief ihr Begehren noch einmal so richtig aufflackern.

Als ich in einem Durchgangszentrum arbeitete, heiratete eine Bürokollegin gerade einen Libanesen. Einige Wochen später planten wir einen Teamausflug nach Deutschland, wo wir dann auch übernachtet hätten. An der folgenden Sitzung teilte sie uns mit, sie könne leider nicht mitkommen. Warum?

Erst drückte sie etwas herum, aber dann wurde klar, dass ihr Mann sie nicht gehen lassen wollte, eben insbesondere wegen dieser Übernachtung. Man diskutierte das Problem längstens mit ihr, bot ihr an, auch mal mit ihrem Mann zu reden, alles umsonst.

Sie fand, sie ziehe es vor nachzugeben, als nachher drei Wochen lang Zoff ertragen zu müssen. Diese selbe Frau (fünf Semester Psychologie an der Uni Zürich) hatte einige Monate zuvor noch Familiengespräche mit Asylsuchenden geführt, wo sie die Väter darüber aufklärte, dass in der Schweiz eben andere Normen als im Kosovo oder in Afghanistan herrschten, hier die Männer sich auch für Küchenarbeit nicht zu schade seien, mit den Kindern spielten und die Frauen nicht immer bloß zu Hause hockten. Diese selbe Frau vollführte mal ein großes Drama, weil B., der im Team für Hausunterhalt, Putzpläne und Essenseinkauf zuständig war, seine Tasse nach der Kaffeepause nicht abgewaschen hatte. „Sind alle Frauen für dich Dienstmädchen?“, fragte sie ihn. Ich nehme an, wenn sie am Abend nach Hause kam, erwartete sie dort nicht bloß ein Kaffeetässchen, sondern ein Mount Everest an schmutzigem Geschirr, während ihr Mann im Libanesentreffpunkt über die Hisbollah diskutierte. Aber diese kulturellen Unterschiede musste man eben respektieren und zu verstehen suchen. (Abgesehen davon, dass er im Bürgerkrieg viel gelitten, in der Schweiz den täglichen Rassismus zu spüren und politische Pläne zu schmieden hatte und diese Treffen für ihn deshalb existenziell nötig waren).

Nicht dass ich mich lustig machen möchte über diese überraschenden Kombinationen. Die Wege der Liebe sind unerforschlich wie die Ratschlüsse Allahs. Und jene gut eidgenössisch ausbalancierten Zweierkisten sind ja wirklich oft schlimmer als Schlafkrankheit im Endstadium. Bloß schade, wenn sich Eveline dank des geheimnisvollen Fremden mehr Entgrenzung, mehr Exzess, mehr Explosionen in ihr Leben wünschte und stattdessen am Ende je länger je vernünftiger werden muss; denn einer muss ja den Laden zusammenhalten und sich um Abwasch, Rechnungen, Verdienst, Kinder, Kleiderflicken und WC-Entstopfen kümmern. Und so war das ja nicht gemeint, als sie ihren bleichen Fridolin gegen den heißen Malik eintauschte.

(PS: Ich bin übrigens seit drei Monaten auch – glücklich – mit einer Afrikanerin verheiratet.)

DAVID SIGNER ist Ethnologe und lebt in Zürich und Dakar