havarie der „kursk“
: Putins Ruhm ist gebrochen

Katastrophen können das sorgfältig polierte Äußere staatlicher Repräsentation aufbrechen und den inneren Zustand von Gesellschaften schlagartig enthüllen. Sie zeigen die wirklichen technischen und organisatorischen Fertigkeiten und Ressourcen, über die ein Land verfügt, sie geben Auskunft über den moralischen Zustand seiner Bewohner und führen das Verhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung vor. Auch die sieht deutlicher, was sie an ihrem Leitungspersonal hat. Es gab ja immer wieder Katastrophen, in denen sich regierende Personen für höheren Ruhm und höhere Ämter profilierten.

Kommentarvon ERHARD STÖLTING

Die ökologische Katastrophe im Nordmeer, an der die russische Marine einen bedeutenden Anteil hat, kann ohnehin kaum noch aufgehalten werden, und erst recht nicht von Russland. Da ist die Strategie, so viel wie möglich zu vertuschen, aus herrschaftlicher Perspektive rational. Dass der russische Staat und seine Armee nicht besonders effizient funktionieren, war schon vor dem U-Boot-Unglück in der Barentssee bekannt. Das Ausmaß von Desorganisation, das nun sichtbar wurde, war zu erwarten. Ihr allein ist die Havarie allerdings nicht zuzuschreiben. Moderne Großtechnik ermöglicht überall moderne und große Unglücke.

Es ist charakteristisch, dass die russischen Politiker und Militärs ihre Sorge um die ihnen anvertrauten Menschen und die Umwelt nicht zum Ausdruck bringen und Vertrauen schaffen können. Sie ziehen es vor, sich entweder erkennbar falsch oder – besser noch – überhaupt nicht zu äußern. Im Westen erhalten die Medien üblicherweise detaillierte Informationen; die Politiker zeigen Betroffenheit und Trauer; alle technischen Details werden eingehend erörtert, bis die öffentliche Aufmerksamkeit erlahmt und die polierte Oberfläche wieder zum Vorschein kommt.

Die Begeisterung für Putin ist nun offenbar gebrochen, weil ihm sein Urlaub heilig war, weil er weder Mitgefühl noch Entschlossenheit zeigte und weil die Militärführung schwieg oder Ausflüchte vorbrachte. Der Präsident hat übersehen, dass er die Medienfreiheit noch nicht völlig beseitigt hat und er noch immer Gegenstand kritischer Berichterstattung werden kann. Bis ihm die Reparatur seiner öffentlichen Selbstdarstellung gelungen ist, haben die Demokraten Russlands eine Chance.

Der Autor ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Potsdam