Innere Ruhe am Werdersee

■ Eine kleine Gruppe praktiziert in Bremen zweimal täglich die fünf Übungen des Falun Gong / Die Anhänger der Gesundheits-Methode werden in China mit aller Brutalität als gefährliche Sekte verfolgt

Abendstimmung am Werdersee. Die Sonne senkt sich da, wo die Wesermündung sein muss. Am Ufer des golden glitzernden Sees sitzen acht Menschen im Gras, scheinbar bewegungslos. Es ist nicht das sanft gekräuselte Wasser, das sie so ruhig macht: Ihre Augen sind geschlossen.

„Mit offenen Augen zu meditieren ist extrem schwer“, sagt Lei Zhou, „das können nur Wenige.“ Sie ist so etwas wie die Anleiterin der kleinen Gruppe. Übungsleiterin, wie es im Falun Gong offiziell heißt, will sie sich nicht nennen: „Ich bin eine Praktizierende wie alle anderen auch.“ Mit dem etwas sperrigen Wort schieben die Anhänger der chinesischen Heilmethode jeden Gedanken an eine religiöse Ausrichtung beiseite.

„Die Übungen des Falun Gong sind so einfach, dass jeder sie für sich allein lernen kann“, erklärt Lei Zhou. Man braucht dafür nur das Buch „Falun Gong – der Weg zur Vollendung“ von Li Hongzhi, den sie respektvoll den Meister nennt. „Viele praktizieren Falun Gong zuhause“, sagt die Besitzerin einer Importfirma. „Wir treffen uns, weil die Disziplin gemeinsam leichter aufzubringen ist.“ Und die braucht man in der Tat: Frühmorgens wird im Bürgerpark geübt und abends am Werdersee – Tag für Tag, immer eine knappe Stunde.

„Aber es lohnt sich wirklich“, sagt Lei Zhou, „ich fühle mich so viel besser, seit ich Falun Gong mache. Es ist so entspannend wie eine warme Dusche.“ Die junge Frau, die in Deutschland studiert hat, kam durch ihre Mutter in Peking zum Falun Gong. „Mittlerweile fehlt es mir richtig, wenn ich pausiere“, sagt sie heute. Die Übungen würden die Energieflüsse im Körper anregen. Das steigere das Wohlbefinden und könne Krankheiten vorbeugen. Die selbstbewusste Unternehmerin traut der „großen Methode“ sogar die Heilung schwerer Krankheiten zu.

Kaum zu glauben, wenn man die Übungen sieht: Langsame Abfolgen von Spannung und Entspannung, einfachste Bewegungen, die ständig wiederholt werden – das Wichtigste ist das Atmen. Abends wird nur die letzte der fünf Übungen ausgeführt: Die Meditation. Im Lotossitz bewegen die Praktizierenden nur ihre Hände so langsam, dass es kaum zu registrieren ist. Nach kurzer Zeit sind sie völlig entspannt. Die Autos, die auf der Erdbeerbrücke vorbeirauschen, registrieren sie nicht. „Um richtig loszulasssen, darf man sich selbst nicht zu wichtig nehmen“, erklärt Lei Zhou das Geheimnis des totalen Abschaltens, „aber gegenüber Anderen darf man nicht gleichgültig werden.“ Also doch mehr als nur fünf einfache Übungen? „Ja, nur wer ein guter Mensch ist, kann die Übungen gut machen.“

Dafür hat Meister Li in seinen Schriften strikte Regeln aufgestellt, die er unter den Prinzipien „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“ zusammenfasst. Eigentlich hat er nur ausgewählte Techniken des jahrtausendealten Qi Gong neu kombiniert und mit einigen moralischen Maximen zu einer Methode der Charakterbildung kombiniert. In China hatte er damit überwältigenden Erfolg – zunächst durchaus mit dem Wohlwollen des Staates: Seit 1992 lehrte er Falun Gong unter dem Dach des staatlichen Verbandes der Qi-Gong-Lehrer, erhielt sogar den offiziellen Titel „Beliebtester Qi Gong Lehrer des Volkes“. Die Dynamik seiner Lehre überraschte den Meister allerdings selbst: In kürzester Zeit hatte er Millionen von Anhängern. 1994 stellte Li seine Lehrtätigkeit ein – „weil er ahnte, dass seine Popularität zum Problem werden würde“, sagt Lei Zhou. Er hatte recht: Die Bewegung wurde als „gefährlich Sekte“ verboten, Li selbst floh in die USA. Heute schätzt man 70 Millionen Falun-Gong-Anhänger, die die Regierung mit allen Mitteln unterdrückt. Ihr größtes Problem: Die Lehre des Meisters verbietet das Lügen. So genügt eine simple Nachfrage der Polizei, um die Anhänger zu outen. Dann drohen Folter und Gefängnis. Eine Reihe von ihnen sind dabei ums Leben gekommen. Wer entlassen werden will, muss öffentlich abschwören. Selbst im Internet verfolgt die Regierung die Falun-Gong-Ideen. Manche Anhänger wurden im Exil bedroht.

Nach Bremen ist der lange Arm von Chinas KP noch nicht gekommen. Lei Zhou ist froh, ihre Mutter nach Deutschland geholt zu haben. Und sie ist sicher, dass Falun Gong auch hier eine große Zukunft hat: Li Hongzhis Buch wurde schon 15.000 Mal auf Deutsch verkauft und sie schätzt bis zu 2.000 regelmäßig Praktizierende – die meisten davon Deutsche. Jan Kahlcke

Kontakt: Tel. 839 94 51