juttas neue welt
: Hand aufs Netz

Die Nachbarin hat vor kurzem ein als Geschenk getarntes Buch in unsere WG geschleust: „Das Lexikon der Handlesekunst“ von einem gewissenlosen Peter Ripota. Hierin werden mit Hilfe von 500 filigranen Filzstiftbemühungen die „wichtigsten Zeichen der Hand“ gedeutet. Wenig später übertrumpften wir uns gegenseitig mit unserem handlichen Wissen: „Menschen mit großem Handrumpf und kurzen Fingern sind triebhaft und materiell orientiert“, auswendigte ich und folgerte: „Dein Bekannter P. kommt uns nicht mehr ins Haus.“ Die Mitbewohnerin stimmte zu und beschloss, nur noch mit Leuten zu verkehren, die ein langes Nagelglied haben, denn sie „verfügen über eine gute Auffassungsgabe, Beweglichkeit und Anpassungsvermögen“. Die Treffsicherheit in der Auswahl neuer Bekannter war nicht vom Handteller zu weisen. Allerdings irritierten uns die Erkenntnisse über unsere eigenen Ichs: Laut der Zehnfingerstudie leidet die Mitbewohnerin an Kreislaufbeschwerden und nicht näher definierten „Konstitutionskrankheiten“, ich dagegen bin geistig zurückgeblieben und ende als Landstreicher.

Einigermaßen beunruhigt befragten wir den digitalen Informations-Moloch. Sofort spuckte die Suchmaschine Ripotas Homepage auf den Bildschirm – „Peterchens Mondfahrt“ hat er sie genannt und belästigt den Surfer unter www.worlds-inc.com/Ripota/ mit Handschmeicheleien und astrologischem Allerlei. Erleichtert klickten wir ihn zurück in den Mondschatten und machten uns auf die Suche nach einem seriösen Pfötchendeuter. Unsere Recherchen ergaben, dass die Handlesung eigentlich „Chirologie“ heißt und ein beliebter Netzservice ist. Unter www.diagnosis-therapy.com kann man für runde 150 Mark und nach der Einsendung eines papiernen oder digitalen Handabdrucks einen Handlesebericht mit „detaillierten Hinweisen auf Beruf, Partnerschaft und persönliche Erfüllung“ erhalten. Weisheiten wie „Je länger der Daumen, desto stärker die Willenskraft“ kosten nichts. Die Seite www.chirologie.ch veröffentlicht Auszüge aus dem selbst ernannten Standardwerk der Chirologie, „Landkarte der Psyche – Die Hand als Weg zum Selbst“. Muss ein weiter Weg sein, besonders für Menschen mit „gepolsterten Fingern“, die genusssüchtig sein sollen und gerne aus dem Vollen schöpfen: „Heiraten Sie in eine reiche Familie ein.“ Der E-Mail-Rathandgeber für alle, denen etwas an der Hand „Sorgen macht“, steht ab 70 Mark aufwärts zur Verfügung.

Wirklich Besorgniserregendes konnten wir an unseren Händen eigentlich nicht entdecken. Auch die Angst vor dem Siech- und Landstreichertum bekamen wir in den Griff. Allerdings: Falls sich ein wahrer Experte im Hand- und Federlesen bereit erklärt, uns kostengünstig und schonend die Zukunft beizubringen, möge er über unten stehende Adresse Kontakt aufnehmen. Wir schicken postwendend unsere Hände hin. JUTTA HEESSpechlucky@gmx.de