juttas neue welt
: Mit einem blauen Auge davongekommen

„Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“ Eine berechtige Erkenntnis erleichtert mir den Bericht über ein unangenehmes Erlebnis. Ich hätte es auch verschweigen können, aber chronistenpflichtbewusst möchte ich den Lesern nichts vorenthalten. Also: Ich habe ein blaues Auge. Selbst schuld, wer sich beim Basketball den Ellenbogen der Gegnerin neben das Nasenbein checken lässt. Das Spiel ging verloren, und zu Hause schwanden mir die Sinne. Ein fulminantes Veilchen begann auf meiner linken Gesichtshälfte zu blühen; in meinem Schädel schien ein Basketballteam regelwidrige Doppeldribblings zu üben.

Mein surfsüchtiger Spezialfreund Steffen erschrak bei meinem Anblick und empfahl das Internet. Ihn selbst habe gerade erst ein Cyberarzt von seinen klickraneartigen Kopfschmerzen geheilt. „Seitdem kann ich wieder frei durchsurfen“, versicherte er. Mit einem Eisbeutel auf dem malträtierten Auge suchte ich mit dem anderen nach kurativen Tipps. Blauäugig, wie ich war, tackerte ich einfach „Veilchen“ in die Suchmaschine und stieß auf Goethes Gedicht „Ein Veilchen auf der Wiese stand“ – immerhin mildernd für ein brutales Hämmern im Kopf. Doch kurz darauf entdeckte ich zahlreiche Medi- und Zini-Seiten, denen ich mein WWWehchen anvertraute.

Unter www.almeda.de winkte ein viel versprechendes Werbebanner: „Wir machen Menschen sehend.“ Aber statt Ratschläge für den blauen Augenfleck zu erteilen, wurde hier lediglich die viermillionste Augenoperation in Afrika promoted, die live ins Internet übertragen wird. Zudem musste ich in der digitalen Sprechstunde ein vortreffliches Infotainment über mich ergehen lassen. Neben Foren, Newslettern und Shoppingtipps kann der Patient auch eine Suchmaske konsultieren, in die er einfach seine Beschwerden eingibt. Dort sprang wenigstens eine fachkundige Diagnose heraus, der zufolge ich vermutlich an einem optischen Super-GAU leide – dem Monokelhämatom. Als schließlich sogar von einem Augenhöhlen- und Schädelbasisbruch die Rede war, nutzte ich den Service der Seite voll aus und schickte mir selbst eine E-Mail-Genesungskarte.

Unter www.gesundheitscout24.de ersurfte ich endlich ein digitales Rezept für meinen Gesichtsbluterguss. Gegen heftige Schmerzen am Augapfel soll ein gewisses Symphytum D12 helfen, beim Einwurf von dreimal fünf Globuli alle zehn Minuten. Lieber legte ich noch einen Eiswürfel nach, als an einer Überdosis homöopathischer Mittel zu sterben. Den nächsten Master im Mediverse traf ich unter www.netdoktor.de. Bevor ich mich lange in dem webportaligen Wartezimmer aufhielt, schickte ich dem Cyberdoc sofort eine leidklagende Mail. Am nächsten Morgen hatte ich immer noch die Kreissäge im Kopf und einen tiefer gelegten Lidschatten, aber auch eine Antwort vom Arzt meines Vertrauens. „Die von Ihnen geschilderten Symptome lassen auf eine abklärungsbedürftige Erkrankung schließen. Bitte konsultieren Sie umgehend einen Augenarzt.“

Endlich ein Tipp, mit dem ich etwas anfangen konnte! Ein leibhaftiger Mediziner sprach beruhigende Worte und riet mir lediglich, mich an der bevorstehenden Farbenvielfalt über der linken Wange zu erfreuen. Damit hatte ich genug zu tun. Unterdessen erfuhr ich von dem Projekt „Medcertain“, das ein Qualitätssiegel für medizinische Internetseiten entwickeln will. Und von einem Professor, der sich mit einer fiktiven Gürtelrose an die Netzquacksalber wandte und in zwei Fällen lebensgefährliche Therapievorschläge erhielt. Wie beruhigend, dass ich mit einem blauen Auge davongekommen bin. JUTTA HEESS

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