juttas neue welt
: Sammeln und jagen wie damals in der Computersteinzeit

Zugegeben: Es ist nicht gerade eine Idee von Gottes Gnaden, zum nicht mehr zählbaren Male über die vorweihnachtlichen Stressfaktoren zu kolumnieren. Ich möchte aber nur deshalb hier und jetzt in den Chor der Adventsstrapazierten einstimmen, weil ich das Gegenteil behaupte. Für mich ist der Geschenkekaufrausch und das mühsame Vorausgefeier alle Jahre wieder schwer vergnüglich. Ich bin nämlich der Meinung, dass Vorweihnachten wie Pac-Man-Spielen ist – ein emsiges Sammeln, währenddessen man gnadenlos gejagt wird. Wer sich nicht mehr an den Spaß aus dem Holozän der Computerspiele erinnert oder wer gar meint, der Vergleich sei am Engelshaar herbeigezogen, möchte sich bitte erst im Pac-Land-Webring unter nav.webring.yahoo.com/hub?ring=pacman informieren und dann aufmerksam weiterlesen.

Play

Schon vor Dezemberanbruch begann ich, allerlei Kleinigkeiten anzuhäufen. Schließlich musste ich mich brav sozialverträglich zeigen und jeden zweiten Tag den wohngemeinschaftlichen Adventskalender bereichern. Und es durfte nicht immer bloß Schokolade sein, war die strenge Inhaltsauflage. Das Ergebnis dieser Überraschungsmaßnahme ist nun, dass sich unser Flur heute wahrscheinlich mit dem 21. Kleingeschenk schmückt – Mainzelmännchen unter Minidiskokugel neben Marzipanchampignon. War das Zusammenraffen dieser Unwesentlichkeiten noch eine Leichtigkeit, so wurde es im Laufe des Dezembers schon brenzliger. Was spendiere ich bloß zum Fest? Aber meine Verzweiflung sank bei jedem Erwerb eines astreinen Präsents – wahre „Energizer“ eben! Als persönlichen Bonus ergatterte ich gelegentlich auf dem Weihnachtsmarkt einen warmen Kirschwein und beobachtete gelassen, wie um mich herum einer nach dem anderen dem Kommerzkollaps erlag und die Besinnung verlor, noch bevor sie sich überhaupt eingestellt hatte. Derart gestärkt und gut gelaunt konnte ich auch ohne schlechtes Gewissen die festlichen Ansinnen sämtlicher Freunde und Bekannter abwehren, die apokalyptisch forderten: „Wir müssen uns unbedingt vor Weihnachten noch mal treffen!“ Wer so tut, als würde an Heiligabend oder spätestens am zweiten Feiertag die Welt untergehen, gehört nun mal bestraft und deshalb auf die Folter gespannt. So!

Entering Next Level

Doch von Kalendertürchen zu Kalendertürchen wurde die Lage bedrohlicher – auch ich ächzte mehr und mehr unter der Last des Gejagtseins und dem Druck der Jagenden. Einkaufen wurde eine heiße Sache – nicht nur, weil man in diesem Jahr bis Mitte Dezember im T-Shirt, nun ja, zumindest ohne Schal auf die Straße konnte, sondern da die Fleisch gewordenen Geister keine Ruhe gaben und plötzlich an jeder Ecke des Adventslabyrinths auftauchten. Meine Verfolger hießen zwar nicht Pokey, Bashful, Speedy und Shadow, waren aber mindestens genauso schnell und gerissen. Es wurde spannend. Ich gab alles, flüchtete flitzend und versuchte vergeblich, meine Haut zu retten. Doch auch ich hatte bloß drei Leben, und die waren schnell verspielt. Es gab kein Entkommen mehr: Weihnachtsfeier eins, zwei, drei, Teilnahme verpflichtet – vorbei das unchristliche Spiel und noch nicht mal 6.000 Punkte!

Game Over

Am Ende kapitulierte ich jedoch gerne. Dank der Adventszeit bin ich nämlich wieder auf den Geschmack gekommen. Mir ist soeben der Pac-Man erschienen. Und Retro ist schließlich in. Deshalb entschied ich Folgendes: Statt röhrende Hirsche, singende Rauschgiftengel mit lockigem Haar oder animierte Weihnachtsmänner als heilige E-Post zu verschicken, kopiere ich einfach diesen Link members.tripod.com/~zeroscool/shy/pcman.zip in meine Mails, die ich mit den besten Wünschen und einem herzlichen „Merry Pacmas“ der lieben Weihnachtsgemeinde zukommen lasse. Dort gibt es das Spiel zum Runterladen – mit echtem – ich bin sogar geneigt zu sagen: festlichem – Hintergrundgedudel. Süßer können die Glocken nicht klingen. Und die Lichter nicht leuchten.

New Game

Außerdem bin ich wild entschlossen, mir an den Feiertagen erst den Bauch vollzuhauen und danach durchzuspielen – und wenn sich der Rest der Familie auf den Kopf stellt. Oder unter den Weihnachtsbaum legt. Das gibt eine schöne Bescherung, ich weiß, aber schließlich muss ich dringend trainieren. 10.000 Punkte sollten drin sein. Wenn nicht an Weihnachten, dann zumindest an den eigentlich nicht existierenden Tagen zwischen den Jahren, wenn das alte Jahr schon rum ist, das neue aber noch gar nicht begonnen hat. Die beste Zeit also für Kinderspiele. Denn ich weiß es genau: Der nächste Advent kommt bestimmt.

JUTTA HEESS

pechlucky@gmx.de