Krokodilsträne aus Plexiglas

Auf dem Wiener Heldenplatz soll ein Denkmal für die Exekutive errichtet werden

Die bronzene Statue einer Politesse, die mit gespitzten Lippen Knöllchen austeilt

Das hatte gefehlt. Ein Denkmal der Exekutive. In Österreich. Auf dem Heldenplatz. Für jene nahezu 400 Polizisten oder wie es in der Pressemitteilung des Wiener Innenministeriums heißt: „Angehörigen der Sicherheitsexekutive, die seit Bestehen der 2. Republik in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben geopfert haben“. Das Projekt, das ein dem Innenministerium subordiniertes „Kuratorium Sicheres Österreich“ betreut, soll „ehestmöglich“ realisiert werden.

Eine bärenstarke Idee. Ein Schritt nach vorn. Österreich, du hast es besser. In Deutschland ist ja daran nicht zu denken. Der Beamte, der Schreibtischfreund und Schreibtischhelfer, der sich aufopfernde Streifenpolizist, die akribisch vorgehende Zollangestellte, der Steuerfahnder und der Jugendstrafrichter – den Deutschen gilt er nach wie vor als Feind. Der eben noch den Stempel hob, um ein wichtiges Dokument zu beglaubigen, die Radarfalle am Straßenrand justierte, mit einer Schere das Band durchschnitt und damit den Teilabschnitt der Umgehungsstraße für den Verkehr freigab, den Bankgeiselnehmer im Zielfernrohr hatte, den Fahrplan der Eisenbahn auf die Sommerzeit umstellte, im Handgepäck des Flugreisenden zehn Gramm Mariuhana sicherstellte und die Bepflanzung des Lärmschutzwalls an der Autobahn im Planfeststellungsverfahren freigab: Er bleibt hierzulande ungeehrt, ungerühmt und ungepriesen. Nur unter öffentlichem Druck hat sich unser Außenminister für die Prügel entschuldigt, die er einem Polizisten meinte verabreichen zu müssen. 25 Jahre hat er sich dafür Zeit gelassen. Das sagt alles.

Es ist ein Trauerspiel. Der deutsche Beamte ist ein Märtyrer – war es schon immer gewesen. Im Dritten Reich hatte er wie immer pflichtschuldigst Auflagen erfüllt, Anweisungen befolgt und Gesetze eingehalten und wurde gleich als Kriegsverbrecher abgestempelt. Als er nach dem Krieg die öffentliche Ruhe und Ordnung gegen linke Krawallmacher verteidigte, war es wieder nicht okay. Noch jahrelang plagten den Polizisten, der Benno Ohnesorg von hinten erschoss, Gewissensbisse. In einer solchen vergifteten Atmosphäre, die bis heute andauert, ist ein Denkmal der Exekutive, wie es die Österreicher nun realisieren, schlechterdings unvorstellbar.

In der DDR war man da weiter. Es gab Gedenkstätten für die Grenzsoldaten, die in Pflichterfüllung erschossen wurden. Pioniere sangen Lieder auf die Verkehrpolizei. Arbeitern, Bauern und Ingenieuren waren eindrucksvolle Monumente gewidmet. Jeden Tag wurden der Staat und seine höchsten Funktionäre ausgiebig gelobt, Orden, Urkunden und Auszeichnungen vergeben. Das waren sonnige Jahrzehnte für die deutsche Bürokratie. Und man wundert sich heute, warum damals nicht Heerscharen von bundesdeutschen Exekutivbeamten nach drüben gepilgert sind, um sich diese staatlichen Segnungen nicht entgehen zu lassen.

Wie die Sache ausging, weiß man. Die goldenen Zeiten sind passé. Was die DDR hatte und was Österreich plant – für das wiedervereinigte Deutschland liegt es in ferner Zukunft. Ein Denkmal der Exekutive, ein Mahnmal für den unbekannten Beamten, eine Stele für den Schreibtischhelfer, sie bleiben ein Wunschtraum hierzulande, und zu befürchten ist, dass es obendrein niemanden gibt, der ihn träumt. Es gibt keine Demokratisierung des Gedenkens, das nicht nur den Staats- und Heerführer, den Dichtergenius, das Forscherhaupt aufs Podest stellt, sondern auch mal den kleinen Streifenpolizisten am Straßenrand ehrt. Das Gedenkprivileg, das sich bestimmte Personenkreise gesichert haben, gehört endgültig abgeschafft.

Nein, von Österreich lernen, heißt gedenken lernen. Gebannt richten wir unseren Blick auf den Wiener Heldenplatz. Wo demnächst die bronzene Statue einer Politesse enthüllt wird, die mit gespitzten Lippen Knöllchen austeilt, die Marmorbüste des Kommissars, der seinem Hund das Pausenbrot zusteckt, ein Relief, das Scharfschützen, eine Straßensperre, Drogenfahnder und Vollzugsbeamte zeigt, ein Grabmal, das mit den schlichten Symbolen Dienstmütze, Kaffeetasse und Aschenbecher zur Einkehr mahnt, ein Informationszentrum, das Erinnerungsstücke und Aufklärungsmaterial vereint, oder aber eine große Krokodilsträne aus Plexiglas.

„Das ist alles“, sagt Horst Tomayer, Erster Endreimpoet unseres Landes, „immer erst Anfang.“ Aber es drängt doch mächtig zur Vollendung hin. RAYK WIELAND