Die Stärke der UÇK-Rebellen . . .

Der Erfolg der „Nationalen Befreiungsarmee“ in Makedonien erklärt sich aus dem kollektiven Gefühl der Albaner, sie seien Bürger zweiter Klasse

aus Split ERICH RATHFELDER

Zuerst tauchen Kämpfer in ihren Schweizer oder deutschen Uniformen mit dem gut sichtbaren roten UÇK-Emblem im Dorf auf. Dann wird das Dorf zum „befreiten Gebiet“ erklärt. Sollte eine Polizeistreife auftauchen, wird sie beschossen. Die Gegner, die makedonischen Sicherheitskräfte wissen nun, dass dieses Dorf unter der Kontrolle der UÇK steht.

So oder so ähnlich ist die „Nationale Befreiungsarmee“ der Albaner in Makedonien bisher vorgegangen. So übernahm sie am Wochenende ohne Widerstand die Kontrolle über das am Stadtrand von Skopje gelegene Aracinovo, von wo aus sie jetzt mit Angriffen auf den Flughafen, die Raffinerie, Regierungsgebäude und Polizeiposten droht.

Macht in den Dörfern

Aus dem 10.000-Einwohner-Ort Aracinovo flohen Tausende von Zivilisten. Bei der Übernahme von Dörfern auf dem Land läuft das in der Regel anders: Die albanische Zivilbevölkerung bleibt, obwohl sie ganz genau weiß, was in den nächsten Tagen geschehen wird: Die makedonische Armee wird ihre Artillerie in Stellung bringen. Sie wird das Dorf mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln beschießen. Und trotzdem, trotz der Erwartung, das gesamte Eigentum zu verlieren und die Familien, die Kinder und alten Leute ungeheuren Risiken auszusetzen, unterstützen die meisten albanischen Zivilisten die UÇK. Aus jeder Familie wachsen der UÇK neue Kämpfer zu, die dann, zusammen mit den von außen gekommenen Kämpfern, das Dorf verteidigen. Es sind dann „unsere Söhne“, die den Krieg führen und der Solidarität der Bevölkerung gewiss sein können.

Die bisherige Verwaltungsstruktur im UÇK-besetzten Dorf ist schnell zusammengebrochen. Der Bürgermeister und die demokratisch legitimierten Autoritäten, die zumeist Mitglieder der legalen und an der Regierung beteiligten Albanerparteien sind, werden von dem Kommando der UÇK sogleich ausgeschaltet und durch ein Zivilschutzkomitee ersetzt. Viele der alten Autoritäten, so der Bürgermeister des Dorfs Slupcane, fügen sich willig in die neue Struktur und werden selbst Mitglied des Komitees.

Manchmal versucht die UÇK offen, eine weitreichende Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben. So tauchten im Dorf Sipkovica bei Tetovo bei einem Besuch Ende März „Politkommissare“ auf, die der Bevölkerung verbieten wollten, mit dem Journalisten zu reden; dies sei den militärischen Kommandeuren vorbehalten. Die meisten Leute ignorierten allerdings den Befehl. Wegen der auch im Kosovo nach dem Nato-Einmarsch auffälligen Versuche der UÇK, totalitäre Strukturen zu errichten, vergleichen albanische politische Gegner, wie die Parteigänger Ibrahim Rugovas, die UÇK mit dem Maoismus. Sie bezichtigen die UÇK, „linke und kommunistische“ Positionen zu vertreten.

Der Erfolg der UÇK ist aber nicht damit zu erklären, dass man sie in die kommunistische Ecke stellt. Von makedonischer Seite und im Ausland wird zudem die Behauptung aufgestellt, die UÇK sei von der Mafia gelenkt und tief in den Drogenhandel verwickelt. Zwar ist keineswegs auszuschließen, dass Teile der kosovo- oder makedonisch-albanischen Mafia die UÇK unterstützen und ihr Waffen aus Serbien und anderswoher besorgen. Erst am Wochenende nahm die internationale KFOR-Truppe im Kosovo zwölf Männer fest, die in Lkw-Kolonnen Waffen, Munition, Wasser, Kleider und Medikamente nach Makedonien schmuggeln wollten. Doch auch eine Mafia-Verbindung kann den Erfolg der UÇK nicht hinreichend erklären.

Die Biografien der Kämpfer geben andere Hinweise. Zum Beispiel die von Sami Sokoli, Frontkommandeur der UÇK in Kumanovo. Vorige Woche kündigte er an, die UÇK würde den Flughafen von Skopje unter Beschuss nehmen, wenn die Armee ihre Artillerie- und Hubschrauberangriffe nicht einstelle. Der Mittdreißiger stammt aus der Grenzregion des Kosovo und wurde während des Kosovokriegs zum Helden, als er mit 30 Mann Angriffe von mehreren hundert serbischen Soldaten abwehrte. Vier Wochen nach dem Nato-Einmarsch verließ er die UÇK im Kosovo. Er habe nicht gekämpft, begründete er der Schritt, um „brennende Häuser in Prizren zu sehen, sondern um Kosova zu befreien“. Damals wurden viele serbische Häuser in der Stadt von Albanern niedergebrannt. Und Politkommissare mag er nicht.

Sami Sokoli sieht sich selbst als Kämpfer für die Befreiung der albanischen Bevölkerung von Unterdrückung und Leiden. Weiter hat er sich politisch nicht geäußert. Er trägt die politische Linie der UÇK in Makedonien mit, die zum Ziel hat, die Gleichberichtigung der Albaner in Staat und Gesellschaft durchzusetzen, und die bisher offiziell die Grenzen des Staats akzeptiert. Die überwiegende Mehrheit seiner Mitstreiter und Kommandeure übrigens stammt aus Makedonien selbst, nicht aus dem Kosovo.

Die albanische Region

Sami Sokoli ist weder Kommunist noch Mafioso. Er ist Teil einer Bewegung, die nach dem Krieg im Kosovo und der Eingrenzung der serbischen Machtstellung die nach eigenem Verständnis historische Chance für die albanische Bevölkerung der Region ergreifen will. Und diese Bewegung, die nach allen bisherigen Erkenntnissen auch nicht von den alten Führern der UÇK, wie Hashim Thaci, geleitet wird, sondern selbstständig agiert, strebt mit der „Befreiung der Albaner“ insgeheim weitere Ziele an. Einfache Kämpfer der UÇK drücken das so aus: Auf der Karte Makedoniens wird mit ein paar Strichen das albanische Territorium abgesteckt. Und das schließt das gesamte nordwestliche Territorium Makedoniens ein. Es reicht von Skopje über Tetovo bis an den Ohrid-See.

Wenn viele Albaner außerhalb der Kriegsgebiete sagen, der makedonische Staat sei nicht ihr Staat, triumphiert dabei das Denken in kollektiven Kategorien. In ihrer kollektiven Erfahrung fühlen sich die Albaner Makedoniens als Bürger zweiter Klasse, und so wird jeder Erfolg der UÇK als eigener Sieg bejubelt. Und viele Albaner Makedoniens sind genauso wie die Leute in den Kampfgebieten bereit, Opfer zu bringen.