Massenverhaftung in Iran

Die iranische Polizei hat während einer viertägigen Drogenrazzia fast 12.000 Menschen verhaftet. Tausende Jugendliche flüchten sich in den Opiumrausch

Viele Verhaftete müssenum ihr Leben fürchten: Der Besitz von fünf Gramm Heroin reichtin Iran für die Todesstrafe

BERLIN taz ■ Eine der größten Drogenrazzien aller Zeiten hat 11.892 Iraner die Freiheit und neun das Leben gekostet: Mit Massenverhaftungen versuchte die iranische Polizei in der vergangenen Woche, dem grassierenden Drogenproblem in der Islamischen Republik Herr zu werden. Wie die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA gestern berichtete, wurden nicht nur Drogenhändler, sondern auch tausende Süchtige festgenommen. Neun Dealer sollen bei Schusswechseln mit Sicherheitskräften getötet worden sein. Viele Verhaftete müssen die Todesstrafe fürchten, für die in Iran schon der Besitz von fünf Gramm Heroin oder fünf Kilo Opium ausreicht.

Die Polizei beschlagnahmte fast 900 Kilogramm Drogen, Handfeuerwaffen, Funkgeräte und Autos und will damit sieben Rauschgiftringe zerschlagen haben. Sowohl die von Konservativen dominierte iranische Justiz als auch Staatspräsident Mohammad Chatami und sein Reformerlager bekämpfen den Drogenhandel und -konsum.

Der Großeinsatz begann Mitte letzter Woche im Südiran und wurde dann auf den Norden und die Hauptstadt ausgeweitetet: Allein in Teheran verhaftete die Polizei in mehreren Razzien 3.000 Menschen wegen „Drogenhandels“. Eine so hohe Zahl lässt auf den ersten Blick Zweifel aufkommen, dass es sich dabei wirklich nur um Dealer handelt und nicht auch einige anderweitig „Verdächtige“, wie etwa politische Aktivisten, unter den Verhafteten sein könnten.

Unbestritten ist aber, dass der Konsum von Opium und Heroin neben der Arbeitslosenquote von rund 40 Prozent eines der größten gesellschaftlichen Problem in Iran ist: 1,2 Millionen der 65 Millionen Iraner sind drogenabhängig, rund 800.000 Menschen gelegentliche Konsumenten – gab Mohammad Fallah, Chef der Antidrogenbehörde in Teheran, vorgestern bekannt. Ghulam-Reza Ansari, Direktor der iranischen Gesundheitsorganisation, bezeichnete auf einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen sogar 10 Prozent der Iraner als Drogenkonsumenten.

Gründe dafür gibt es viele: Die religiösen Sittenwächter des Mullah-Staates haben in ihrer extremen Interpretation des Islam nicht nur Alkohol verboten, sondern auch Popkonzerte, Diskos und Jugendclubs. Knapp die Hälfte der iranischen Bevölkerung sind Jugendliche unter 20 Jahren, viele sind die religiös legitimierten Beschränkungen ihrer Freizeit leid: Sie wollen Musik hören, tanzen, Spaß haben. Aus Mangel an Gelegenheiten flüchten sich viele in den Drogenrausch. Das betrifft besonders Frauen, die zahlreichen rechtlichen und sozialen Benachteiligungen ausgesetzt sind: Unter den 600.000 jährlichen Neukonsumenten sind dreimal mehr Frauen als Männer. Ein weiterer Grund ist die leichte Beschaffungsmöglichkeit von Opium in Iran: Aus dem Nachbarland Afghanistan kamen in den vergangenen Jahren 95 Prozent der globalen Rohopium-Produktion. Zwar haben die Taliban nach massivem internationalem Druck den Mohnanbau radikal gestoppt. Auch haben die iranischen Streitkräfte einen regelrechten Schutzwall an der Grenze zu Afghanistan errichtet, um den Drogenschmuggel zu beenden. Doch Iran gilt nach wie vor als ein wichtiges Transitland im weltweiten Opiumgeschäft. So ist die jetzige Großaktion auch als Wink an die Weltgemeinschaft zu verstehen, dass es der iranischen Justiz ebenso wie Chatamis Regierung ernst ist mit der Drogenbekämpfung. Bisher blieben ihre Bemühungen international kaum beachtet. FLORIAN HARMS