Chinesen haben nicht immer Recht

Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin sammelte in Peking gemischte Erfahrungen beim Menschenrechtsdialog. Deutschland soll China beim Aufbau seines Rechtssystems helfen. Aber manche kritischen Fragen werden dabei ausgeklammert

aus Peking JUTTA LIETSCH

„Es ging munter zur Sache.“ So beschrieb Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD) gestern die Debatten zwischen deutschen und chinesischen Juristen und Politikern, die sich in Peking in dieser Woche zu einem Symposium trafen.

Im Vergleich zu früher, so die Ministerin, sei die Stimmung „offener“ geworden: „Wir kommen schneller zu den kritischen Punkten.“ Dazu gehörten Fragen wie die Todesstrafe oder die so genannte „Umerziehung durch Arbeit“ ebenso wie die praktischen Folgen des Beitritts Pekings zu internationalen Menschenrechtskonventionen.

Die bilateralen Gespräche zu juristischen Fragen gibt es, seit Chinas Premierminister Zhu Rongji und Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sommer 2000 „Austausch und Zusammenarbeit im Rechtsbereich“ vereinbarten. Dazu gehörte auch das Pekinger Symposium, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung mit zwei einheimischen Organisationen veranstaltet wurde.

Schon seit längerem versuchen Juristen der staatlichen deutschen Entwicklungsbehörde GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), Chinas Behörden bei der Formulierung von neuen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften zu helfen, zum Beispiel im Aufbau von Handelsregistern oder eines Systems der Zwangsvollstreckung. Däubler-Gmelin: „Da geht es unter anderem darum, wie Gerichtsvollzieher arbeiten. Denn was nützt es, wenn die Richter am Zivilgericht ihre Urteile sprechen, diese aber nicht umgesetzt werden können?“

So dröge sich das anhört, so heikel sind solche Themen in der Praxis. Anders als in Deutschland gibt es in China keine unabhängige Justiz. Die Kommunistische Partei lehnt das Prinzip der Gewaltenteilung strikt ab. Staatsanwälte und Richter, die gegen hohe Funktionäre vorgehen, können dies nur mit politischer Rückendeckung tun. Verteidiger, die ihre Aufgabe ernst nehmen, stehen unter Druck, weil ihnen schon mal „Verschwörung mit dem Angeklagten“ vorgeworfen wird. Auf ausländische Kritik daran reagieren chinesische Politiker höchst empfindlich.

Dient also dieser „Rechtsdialog“ der chinesischen Regierung nur als Feigenblatt, um ausländische Kritik abzufedern? Däubler-Gmelin bestreitet das: „Der Wert solcher Projekte liegt darin, dass mehr Leute mit mehr Ideen konfrontiert werden.“

Wie mühsam das ist, zeigte Däubler-Gmelins Treffen mit dem Präsidenten des Obersten Volksgerichtshofs, Xiao Yang. Der versicherte der Ministerin, die Zahl der Todesurteile in China sei seit 1997 zurückgegangen. Auch würden weniger Verbrechen als früher mit dem Tode bestraft. Er persönlich finde zudem, dass die Todesstrafe seltener verhängt werden solle. Amnesty international hingegen hat einen ganz anderen Eindruck: Allein im Zuge der „Hart-Zuschlagen-Kampagne“ seien in den letzen drei Monaten mindestens 1.781 Menschen hingerichtet worden – die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Nähere Informationen über die genaue Zahl der – in China offiziell als Staatsgeheimnis behandelten – Hinrichtungszahlen erhielt die Ministerin nicht. Sie fragte auch nicht danach: „Ich hätte sowieso keine Antwort bekommen.“