Der Guggenheim-Effekt

■ Chance verpasst: Über die Entwicklungschancen von Bremen und Bilbao hätte sich trefflich diskutieren lassen, aber es gab nur eine raffinierte PR-Show

Bremen und Bilbao, das ist wie Don Quijote und Sancho Pansa. Der Kampf der beiden Städte gegen den industriellen Niedergang sah zeitweilig ebenso aussichtlos aus wie jener der beiden spanischen Anti-Helden gegen die Windmühlenflügel in den Weiten der Mancha. Eine bestechende Idee also, die das Bremer Instituto Cervantes hatte: Ein Forum, über die Wiederbelebung herunter gekommener Industriegebiete und Stadtimages – zumal beide Städte auf ähnliche Rezepte setzen: Hier wie dort wurde der Tourismus als Schlüssel zum Aufbau eines starken Dienstleistungssektors identifiziert, nachdem die Schwerindustrie – insbesondere Werften – den Bach herunter gegangen war.

Apropos: Wer in den achtziger Jahren am Ufer des Nervion durch Bilbao spazierte, musste unwillkülich die Nase rümpfen ob der stinkenden, dunklen Brühe mit dicken, schwarzen Klumpen. Am Westufer konnte man bis zur Vorstadt Barakaldo kilometerlang an Industrieruinen vorbei gehen: Werften, Eisenhütten, Walzwerke – alles längst dem Rost preisgegeben. Inzwischen hat sich Bilbao, ähnlich wie Bremen, seiner Lage am Fluss erinnert. Das Gewässer ist saniert, die meisten Verschmutzer stillgelegt. Auf einer Brachfläche steht heute der Shooting-Star unter den Museumsneubauten: Das Guggenheim-Museum, zurecht als Meisterwerk des US-Architekten Frank Gehry gerühmt.

Ein Meisterstück ist das Museum auch in den Augen der Stadtverwaltung. 260 Millionen Mark hat es die gebeutelte Region gekostet. „Wir hatten Angst“, gesteht Bürgermeister Iñaki Azkuna. Aber dann haben sie sich ein Herz gefasst, gemeinsam mit der baskischen Regionalregierung und der Provinz Bizkaia. „Im Leben kommt der Zug nur einmal vorbei“, sagt Azkuna „und wir sind aufgesprungen.“ Alle seien damals dagegen gewesen: Gewerkschaften, die Presse und fast alle Bürger.

Aber das ist lange vorbei. Heute hat das Guggenheim das Wunder von Bilbao vollbracht, oder wie man dort bescheidener sagt: den Guggenheim-Effekt. Über vier Millionen Besucher in vier Jahren sind doppelt so viele wie kalkuliert. Fast die Hälfte kommt aus dem Ausland. Kein Zufall, dass kürzlich der Flughafen ausgebaut werden musste. Diesen Boom verdanken die Macher neben der spektakulären Architektur vor allem einem undogmatischen Ausstellungs-konzept, in dem die Anselm-Kiefer-Werkschau ebenso Platz hat wie eine Ausstellung über die „Kunst des Motorrads“. Und natürlich dem Namen des berühmten Museums mit Hauptsitz in New York, das übrigens nur Know-How und Wanderausstellungen aus seinem Fundus beisteuert – und eben „die Marke“, wie der Bürgermeister sagt.

Aber die öffentliche Investition hat sich schon jetzt vielfach ausgezahlt. Die Stadt musste ein Fünftel davon aufbringen, vor allem in Form von Grundstücken, die bis dato als unvermittelbar galten. Dafür stehen auf der Haben-Seite 60 Millionen Mark zusätzlicher Steuer-Einnahmen pro Jahr, schätzt die Stadt. Dennoch, man setzt in Bilbao nicht nur auf Guggenheim: Fast alle anderen Museen wurden in den letzten Jahren erweitert oder renoviert. Der renommierte britische Architekt Sir Norman Foster (ja, der von der Reichstags-Kuppel) baute eine Metro. Eine neue Kongress- und Musikhalle läuft bereits im ersten Jahr zufriedenstellend. „Am wichtigsten ist der psychologische Effekt“, sagt Guggenheim-Direktor Juan Ignacio Vidarte. „Die Stadt hat eine neues Selbstbewusstsein.“

Eine routinierte PR-Show haben die Gäste aus Bilbao gesten in der städtischen Galerie abgezogen – allerdings auf handfesten Tatsachen fußend. Leider war das am Vortag nicht anders. Was das Instituto Cervantes als „Kolloquium“ angekündigt hatte, war eine Aneinanderreihung von Vorträgen ohne jeglichen Bezug. In der mit über 150 Gästen knackevollen Galerie lasen Tourismusfunktionäre aus Bilbao ihren Vortrag in einem Tempo ab, das die Simultanübersetzer in Schwierigkeiten brachte. Da mochte Hanne Zech vom Neuen Museum Weserburg noch so sehr nach Parallelen zwischen ihrem Haus und dem Guggenheim suchen – es passte vorn und hinten nicht.

Die spannenden Debatten wurden verschenkt: Kein Wort über Musical, Universum oder Space-Park, ganz zu schweigen vom dahingeschiedenen Musicon. Da machte es dann auch nichts mehr, dass der letzte Vortrag vom Rumoren eintreffender Schnittchenjäger übertönt wurde. Wer wollte schon die legendären baskischen Tapas verpassen  . . .

Schade. Die Idee war so gut, dass daraus eigentlich ein Städtebund werden sollte. Vielleicht noch gemeinsam mit Glasgow oder Liverpool. Jan Kahlcke