Draußen ist besser

Krisen, Abstürze und die träge Zeit im Winter. Mitbewohner, bei deren Auswahl man sich wohl geirrt hat: Wenn die Geschichte einer Wohnung die Geschichte eines ständigen Scheiterns ist

Ich bin in die kleinen Nordzimmer gezogen, weil’s da stiller ist und das Licht besser

von DETLEF KUHLBRODT

Die einen sind drinnen, die andren sind draußen. Die einen denken die meiste Zeit in ihrer Wohnung über ihre Lebens- und Innenraumgestaltung nach und warten in solipsistischen Schleifen auf irgendwas, die anderen erobern die Welt, erleben tolle Dinge und treffen interessante Leute mit interessanten Geschichten, die sie anderen interessanten Leuten weitererzählen können.

Zur Zeit bin ich in der Stube. Ich bin eigentlich die meiste Zeit in der Stube. Mein Beruf und eine Finanzkrise, begünstigen das. Mein In-der-Welt-sein wäre als in-der-Stube-sein sicher besser beschrieben. Der Winter tut das Übrige.

Wenn die anderen lustig auf der Arbeit sind, sich über den Tatort oder Afghanistan austauschen und routiniert jeden Tag ein Produkt herstellen, sitze ich in meiner komischen Stube, schreibe Tagebuch, renoviere die komische Wohnung oder lese in Linus Volkmanns schönem Buch „smells like niederlage“ Sätze, die ich unterstreiche: „living on the edge of a rest von früher“ zum Beispiel.

Termine, die den Tag ordnen könnten, gibt es nur selten, die zu erledigenden Aufträge dämmern im Ungefähren so dahin; dazu begleitet negatives Geldgeklimper die Tage und düstere Gedanken verkleben das Vorabendprogramm. In ausgefeilten Selbstexperimenten versucht man endlich herauszufinden, ob es klüger ist, sich immer 50,- oder 100,- zu ziehen. Auf dem Weg zum Geldautomat steht „Verräter! Arschloch! Opfer!“ an einer Wand.

Weil man grade umgezogen ist und der Winter beginnt, denkt man zurück und es fallen einem fast nur Krisen und Abstürze ein. Ständig hatte man sich in seiner Planlosigkeit, die man eigentlich als Konzept vertreten wollte, verheddert, jedes Möbelstück an jede mögliche Stelle der Zimmer gezerrt und die störende Welt aus dem Eckzimmerfenster beobachtet, das feng-shui-technisch ein großes Unglück ist, wie mir von Fachleuten bestätigt wurde.

Die Krisen hatten natürlich auch was für sich; da schaut man sich den Boden dann genauer an, auf den man meint, gefallen zu sein. Den krassesten Sturz ins Bodenlose erlebte ich Anfang des Jahres bei IKEA in der Vorhangstoffabteilung, als ich mich eine Stunde lang nicht entscheiden konnte, was für einen Vorhang ich nun kaufen sollte, wollte und ob ich nun tatsächlich einen bräuchte, wobei ich genau wusste, dass ich wie immer Sachen kaufen würde, die mir in zwei Wochen schon zuwider sein würden.

Weitestgehend ohnmächtig war ich zwischen den bescheuerten IKEA-Stoffen gestanden, unfähig, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu denken und hatte dann diese grauenhaften, hellblauen Vorhänge nur noch gekauft, um aus dem IKEA-Gebäude endlich rauszukommen.

Die Wohnung ist Fluch, IKEA die Hölle. Die ausgedachten Vorhangaufhängekonstruktionen, mit denen ich danach experimentierte, taugten alle nichts. Die Fenster sind sowieso die Achillesferse meiner Wohnung. Etwa in Kniehöhe angebracht laden sie einen zum Rausspringen ein. Würde man natürlich nie machen; sie laden einen aber trotzdem ein.

Die Geschichte meiner Wohnung ist ohnehin die Geschichte eines ständigen Scheiterns. Vor fünf Jahren hatte ich sie genommen, geblendet von der Größe und Weitläufigkeit der vier Zimmer im vierten Stock, beeindruckt vom Westblick.

Heute scheint mir das ein Fehler gewesen zu sein. Nicht unbedingt nur, weil die vorherige Wohnung eine Gasetagenheizung hatte, sondern vor allem, weil ich mir damals nicht allzuviel Gedanken über Mitbewohner und die eigene Mitbewohnertauglichkeit gemacht hatte. Vermutlich hatten mir nur gut getarnte Hormone aus dem Hinterhalt des Unbewussten zugezwinkert, ich solle die Wohnung nehmen, um später nett familiär zu werden. Egal. Alles ist eine klassische WG-Geschichte, wenn man das Genre nicht zu eng fasst.

Weil allein wohnen am Ende zu teuer war fragte ich B., die ich verstrahlt im E-Werk kennengelernt hatte – was sie umgekehrt auch von mir sagen könnte – ob sie nicht einziehen möchte. Ich fand es toll, dass sie auf dem Bau arbeitete, also im echten Leben zu Hause war und alles war auf einem guten Weg. Dann zog ein arbeitsloser Freund und großer Kiffer in die Nebenwohnung, die gleitend in die meine übergeht. Manchmal vergiftete er mich zwar, um im Schach zu gewinnen, aber im Grunde genommen war alles super. Wenig später kam die junge Raverfreundin C. dazu, die ich auf E im Pfefferberg kennengelernt hatte.

Eine Weile war alles prima; dann merkten wir, dass wir doch nicht so viel miteinander anfangen konnten. Alles bewegte sich Richtung Lethargie in einem Winter, den meine Mitbewohnerin B. arbeitslos vor dem Fernseher verbrachte, während Mitbewohnerin C., die auch nichts zu tun hatte, zwischen ihren obskuren Parties herumchillte. Andererseits war’s auch ganz schön. Mehr oder weniger überzeugt zogen wir jedenfalls so ein Slackerprogramm durch, das manchmal auch große Momente hatte. Dann heiratete C. überstürzt den Neffen eines türkischen Restaurantbesitzers, trennte sich ziemlich bald wieder und floh nach Pankow, meinen Nachbarn verlor ich an seine neue Freundin sowie einen kreuzberger Flipperautomaten namens „Theatre of Magic“, meine Mitbewohnerin wurde auch immer bedrückter und ich hing mit Schreib- und andren Blockaden nur noch im Internet resp. mit der Playstation (GT2) rum. Kurz: die Stimmung wurde immer schlechter.

In meiner eigenen Lethargie kotzte mich die Lethargie von B. an. Wir begannen Bad und Küche zu vernachlässigen und uns aus dem Weg zu gehen. Zwei Jahre lang nervten wir einander und hofften, dass der jeweils andere freiwillig ausziehen würde. Vor einem Monat verließ sie dann die Wohnung. Alles hätte nun gut werden können. Ein Schulfreund hatte schon vor einem halben Jahr versprochen, dass er einziehen wolle. Er wohne schon zu lange in Göttingen, hatte er gesagt, und wollte in Berlin ein neues Leben beginnen. Ein paar Tage vor seinem Einzugstermin entschied er sich dann, doch lieber in Göttingen bleiben zu wollen. Begründung: ihm sei plötzlich in der Tiefe seines Herzens klargeworden, dass er eigentlich nur nach Berlin hatte kommen wollen, weil die Frau, in die er seit zwei Jahren so unglücklich wie ein Teenager verliebt ist, auch in Berlin wohnt. Außerdem hätte er sich grade neu verliebt. Seitdem lebe ich wieder allein.

Manchmal denke ich, es wäre doch witzig, Räume für stundenweise Romantik zu vermieten. Oder Reiki-Kurse. Da hätte man quasi die Welt in seiner Wohnung und bräuchte nur ins Nebenzimmer zu gehen, um Interviews zu machen. So denkt man in der Aus- und Zwischenzeit, die man sich genommen hat, um kurz mal allein zu sein. Die zwei großen Exzimmer sind geräumt, ein kleines Zimmer ist zugemüllt.

Ich bin in die kleinen Nordzimmer gezogen, weil’s da stiller ist und das Licht besser und die Fenster der Häuser auf der anderen Seite der Straße weiter weg sind. Leider ist der Boden in meinem neuen Zimmer so meeresblaugrün laminiert wie sonst nur in den Tropen. Das stört! Außerdem kann man im Schlafzimmer meinen Nachbarn sprechen hören. Er steht auf Heavy Metal und hält mein Schlafzimmer akustisch besetzt. Und sieht das vermutlich andersrum, denn mein Bett knarrt ganz fürchterlich, sobald man sich auch nur umdreht.

Deshalb werde ich es gleich zerhacken, wie meinen alten Schreibtisch früher, denn das Holz ist auch alle, dass ich so förstermäßig in der Dämmerung zu sammeln pflege, weil zweidrittel der Wohnung kalt sind und die tschechischen Ausschußkohlen kommen auch erst morgen. Träge fließt die Zeit im Winter. Fernsehen geht im neuen Zimmer ganz fantastisch.