Fox im neuen Trott

„Wo haben Sie gesteckt? Den Krawattenknoten zum Frack geübt?“

aus Mexiko-StadtANNE HUFFSCHMID

Vicente Fox war sauer. „Jede Menge dämliches Gequatsche“ müsse er in der Presse tagtäglich über sich ergehen lassen, wetterte der mexikanische Präsident in seinem samstäglichen Radioprogramm „Fox en vivo, Fox contigo“ (Fox live, Fox mit dir). Galt Fox während seines Wahlkampfs noch als gewiefter Medienstar und -stratege, der die Nachfrage nach saftigen News bestens zu bedienen wusste, so hob er zu nun einer erstaunlichen Frontalattacke an. Viele Medien würden „verzerren, verleumden, betrügen und lügen“.

Der Zornesausbruch aber ist symptomatisch: Der geradezu aggressiv optimistische Wendepräsident gerät als Realo unaufhaltsam in die Defensive. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt Anfang Dezember 2000 tritt an die Stelle anfänglicher Euphorie allerorten Ungeduld und zuweilen offene Häme. So machten sich die Medien vor kurzem genüsslich über peinliche Fehlleistungen wie die her, die Fox während einer Europatournee zum besten gab. Der Staatschef hatte, und zwar ausgerechnet zur Eröffnung einer hochkarätigen Sprach- und Literaturkonferenz, einen gewissen „José Luis Borgues“ zitiert; gemeint war der Argentinier Jorge Luis Borges.

Dass der hemdsärmelige Ex-Ranchero mit Feingefühl oder höherer Bildung nicht eben üppig ausgestattet ist, haben seine Gegner – nicht ohne Anflüge von Snobismus – seit jeher betont. Bei den Wahlen hat ihm gerade die unbekümmerte Vitalität, mit der er gegen die Riten des korrumpierten Politestablishments mobilisierte, geholfen. Der Kandidat wollte ja gar kein typischer Politiker sein. Ausdrücklich lancierte er sich als „Produkt“ – wie sein eigener Wahlkampfleiter ihn tatsächlich zu nennen pflegte – und als eine Art Messias, der Mexiko in ein gelobtes Land führen würde: in die Demokratie.

Kein Zweifel: Formalpolitisch ist die Wende, el cambio, längst da. Erstmals sind Regierende in Mexiko demokratisch legitimiert, Bürgerbewegungen müssen sich nicht mehr im Kampf gegen Wahlbetrügereien verschleißen, die entmachtete Exstaatspartei ist – vorerst – vor allem mit ihrer so genannten Erneuerung beschäftigt. Privat ist für den Präsidenten die Wende ebenfalls geschafft. Am 2 Juli, just am Jahrestag seines Wahlsiegs, heiratete der geschiedene Fox ohne kirchlichen Segen seine langjährige Mitarbeiterin und Geliebte Martha Sahagún. Der Wandel im Familienstand sei der einzig bedeutsame Wandel seit seinem Amtsantritt, behaupten böse Zungen. Was nämlich nicht so recht gelingen will, ist die Wende in eigener Sache: die Transformation vom Kandidaten zum Staatsmann, vom populistischen Marketing zum politischen Profil, vom Versprechen zum (Ver-)Handeln.

Zwar wird die Inflation dank einer rigorosen Sparpolitik zum Jahresende wohl weniger als 6 Prozent betragen, ein historischer Tiefstand. Darüber hinaus aber hat Vicente Fox bislang nur ein einziges – selbstredend symbolisch gemeintes – Versprechen konsequent eingelöst: dass er auch im Amt niemals die Cowboystiefel ausziehen würde. So ließ sich Fox für seine Europareise, die strengen protokollarischen Regeln unterlag, vom Hausschuster erstmals Stiefel aus Lackleder anfertigen – und fütterte einmal mehr die Medienmaschine.

Business sonst ist schlimmer als usual. Statt den versprochenen 7 Prozent Wirtschaftswachstum wird es im ersten Fox-Jahr nur Nullwachstum geben. Und statt der einen Million neuer Jobs, die der neue Präsident in Aussicht stellte, sind erst mal 400.000 futsch. Der Abwärtstrend zeichnete sich übrigens schon vor dem US-Crash nach den Anschlägen vom 11. September ab. Denn gemeinerweise fiel der Regimewechsel in Mexiko, der wohl US-abhängigsten Volkswirtschaft der Welt, zum Jahresanfang just mit dem Ende des lang anhaltenden US-Booms zusammen. So bald wird es auch kein Migrationsabkommen mit den USA geben. Noch wenige Tage vor jenem schwarzen Dienstag hatte Fox in Washington mit ungewohnter Vehemenz die Legalisierung der 3 Millionen illegal im Norden schuftenden MexikanerInnen gefordert. Nach dem Manhattan-Massaker war von neuem Selbstbewusstsein nichts mehr zu vernehmen: Flugs und untertänigst sagte Vicente Fox seinem Amtskollegen „bedingungslose Unterstützung“ zu – wobei und womit auch immer.

Das Scheitern der beiden anderen Reformvorhaben, in die Vicente Fox sein politisches Kapital investiert hatte, lässt sich nun gar nicht der Terrorkonjunktur anlasten. Sondern vielmehr, paradoxerweise, den Spielregeln des neuen pluralen Parlamentarismus. So wurde die mit der Zapatistenguerilla ausgehandelte Verfassungsreform zu indigenen Rechten, mit denen Vicente Fox als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen hoffte, im Frühjahr vom Kongress kurzerhand zur Gegenreform umredigiert – pikanterweise unter Federführung der eigenen Partei, der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN). Damit ist aber auch für Fox, der die Aufständischen – sehr zu deren Leidwesen – damals noch zu politischen Intimfreunden deklarierte, das Thema vom Tisch. Der Friedensvertrag mit den Zapatisten ist heute ferner denn je.

Anders als das Indio-Gesetz dürfte die geplante Steuerreform eine echte Herzensangelegenheit des Präsidenten sein. Kernstück des Pakets ist die Erhebung einer Mehrwertsteuer, bekanntlich die unsozialste aller Steuerarten, auf bislang abgabenfreie Produkte wie Medikamente und Grundnahrungsmittel. Doch auch hier hat sich der glücklose Wirtschaftsliberale verkalkuliert: Ausgerechnet die ehemalige Regierungspartei (PRI) will sich nun durch ihren Widerstand gegen die Fox'sche Mehrwertsteuer als soziale Volkspartei profilieren. Und ohne die PRI, heute noch immer stärkste Fraktion im Parlament, ist keine wie immer geartete Reform zu haben.

Das Wissen darum erklärt wohl auch die eigentümliche Lähmung, die Fox bei der Aufarbeitung von Repression und Korruption zu befallen scheint. Hatte dieser sich im Wahlkampf noch als großer Aufräumer angespriesen, so scheinen die Zeichen nun eher auf friedliche Koexistenz mit den alten Garden und Eliten zu stehen. Zwar dokumentierte die staatliche Menschenrechtskommission CNDH erstmals detailliert die Verschleppungen hunderter Oppositioneller durch staatliche Sicherheitskräfte. Der versprochene Sonderstaatsanwalt aber ist bis heute nicht ernannt. So bleiben die mafiosen Seilschaften aus PRI, den von ihr begünstigten Wirtschaftseliten und dem mit den Drogenkartellen verfilzten Militärapparat weitgehend unangestatet. Es gibt keine Wahrheits- und keine unabhängige Transparenzkommission zur Aufklärung von Wirtschafts- und Menschenrechtsdelikten, keine neuen spektukulären Verhaftungen und erst recht keine Verurteilungen.

Und die Mächte des alten Mexiko geben sich offenbar keinesfalls geschlagen. Dafür sprechen sowohl die regelrechte Hinrichtung der Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa am vergangenen 19. Oktober wie auch die kürzliche Erschießung zweier Justizbeamter in Nordmexiko, die Freilassung von Mitgliedern paramilitärischer Gruppen in Chiapas sowie weitere Morddrohungen gegen prominente Menschenrechtler und Journalisten. Manche halten die versöhnliche Strategie des neuen Regimes dennoch für richtig. Die verlorenen Wahlen seien als „ gewaltfreie Abrechnung“ mit den alten PRI-Eliten völlig ausreichend, meint etwa der Historiker und Fox-Berater Enrique Krauze. Andere sind hingegen entsetzt über die mexikanische Schlussstrichpolitik. „Als höfliche Antwort darauf hat man Ihnen den Leichnahm einer überaus respektvollen Person (Digna Ochoa) geschickt“, schäumt der Kolumnist German Dehasa in der rechtsliberalen Tageszeitung Reforma. „Wo haben Sie bloß gesteckt? Den Krawattenknoten zum Frack geübt?“ Dabei galt Dehasa bislang durchaus als Fox-Anhänger. Wie andere linksliberale Prominente hatte er für die „nützliche Stimme“ (voto útil) geworben, die Linke davon überzeugen sollte, für den Konservativen zu stimmen.

Immerhin: Größere Skandale sind im ersten Jahr Fox ausgeblieben. Und echte Veränderungen, eben auch in der „mentalen Landkarte“ der Mexikaner, wie die Kolumnistin Denise Dresser schreibt, brauchen Zeit. Nein, antwortet Germán Dehasa auf die Reporterfrage, ob er noch Vertrauen in Fox habe. „Aber ich vertraue auf die soziale Energie, die er freigesetzt hat.“

Ein mentaler Wandel zeichnet sich schon heute ab. War el Señor Presidente bis zur Wende im kollektiven Unterbewusstsein eine gottgleich omnipotente Instanz, so scheint dieser nun erstmals verwund- und angreifbar. Und ein Präsident, der bei unliebsamer Berichtstattung zum Telefonhörer greift oder greifen lässt, war etwas anderes als einer, der seinen Frust am Radiomikrofon ablässt – und sich dabei selbst um Kopf und Kragen redet. So hat Vicente Fox nicht nur das Medien-, sondern auch das Satiregeschäft belebt. Dass ein amtierender Präsident auf der Bühne persifliert wird, wie jetzt Volkstheaterstück „Don Fox Tenorio“, ist ein Novum im postautoritären Mexiko. Fox sei eine tolle Figur, meint sein Darsteller Humberto Elizondo, „eben der typische Kerl, der sich von seinem Rancho auf den Weg in die Hauptstadt macht“. Und das ist den meisten MexikanerInnen offenbar noch heute sympathisch. Neuesten Umfragen zufolge können 77 Prozent der Befragten zwar bislang keinerlei cambio im Alltag erkennen. Nichtsdestotrotz äußerten 67 Prozent, sie seien „einverstanden“ mit ihrem Präsidenten.