Bin Laden als Gönner für die Armen

In Niger haben islamistische Anhänger Ussama Bin Ladens Zulauf: Sie springen ein, wo der bankrotte Staat versagt

NIAMEY taz ■ Mouha hebt die kleine blaue Emaillekanne und gießt in gekonntem Bogen Tee in die Gläser auf dem Boden. Gerade ist die Sonne über Niamey aufgegangen. Ein paar Schafe trödeln blökend über die Seitenstraße in der Hauptstadt von Niger. Mouha und drei andere Tuaregmänner haben sich auf den Boden gesetzt und trinken den bitteren Tee.

Im Radio laufen die Frühnachrichten. Die Männer reagieren kaum auf die Meldungen aus Afghanistan; sie haben andere Sorgen wie Krankheit und Teuerung. Nur Mouha fragt, ob dieser Krieg wohl bald vorüber sein wird.

Mouha gehört einer religiösen Tuaregkaste an. Im Familienkreis gilt er als Gelehrter, er studiert täglich den Koran. Mit Sorge verfolgt er an seinem Radio den Krieg in Afghanistan: „Bin Laden ist kein guter Muslim, er hat den Islam beschmutzt. Aber er hat zu viel Geld, dieser Mann, er kauft sich die Menschen auch hier bei uns in Niger!“, stellt er besorgt fest.

Niger ist laut UNO das zweitärmste Land der Welt. Wirtschaftlich steckt das Land in einer Dauerkrise. Gesundheits- und Bildungssektor sind unterversorgt. Dieser Bereich ist in den Städten Aktionsfeld islamistischer Gruppierungen.

Gesundheitsstationen islamischer Wohlfahrtsverbände sichern medizinische Grundversorgung, Koranschulen bieten eine Alternative zu staatlichen Bildungseinrichtungen. Über diesen Weg gewinnen extremistische Bewegungen Anhänger. Zum Beispiel die „Isallah“, die angeblich direkt von Ussama Bin Laden finanziert wird.

„Die Isallah unterstützt in Maradi gezielt Kaufleute, die dann schnell zu Reichtum kommen“, erklärt ein lokaler Mitarbeiter einer internationalen Organisation. „Sie dienen als leuchtendes Beispiel: Seht her, kommt zu uns, dies ist der rechte Weg, er bringt Segen und Reichtum. Das zieht arme Leute an.“

Während in der Hauptstadt Niamey die Anhängerschaft dieser Gruppen als recht klein gilt, ist der Zulauf in den Städten Maradi und Zinder stärker. Hier haben traditionelle Führer mehr Einfluss, und die Grenze zu Nigeria, wo Islamisten das Scharia-Recht propagieren, ist nah.

So ist es nicht verwunderlich, dass Kaufleute in Maradi Bilder von Bin Laden, ihrem Gönner, in den Läden hängen haben. Die Bilder hingen dort allerdings bereits vor dem 11. September. „Sie stammen von einem Kalender aus Nigeria. Da sind Moscheen und ihre Erbauer abgebildet. Bin Laden hat einige Moscheen in Nordnigeria bauen lassen“, erklärt Abdou, ein Lehrer aus Niamey.

Die Aktivitäten der Anhänger Bin Ladens in Maradi sind bisher unorganisiert und eher verbaler Natur, denn zur Zeit ist Zurückhaltung gefragt. Nigers Innenminister Lawaly Amadou hatte kurz nach den Terroranschlägen des 11. September in den USA klargestellt: Wer sich antiamerikanisch äußert oder zu Pro-Bin-Laden Demonstrationen aufruft, hat mit Konsequenzen zu rechnen. Zwei Organisationen traf das Verbot: Ihre Führer Cheik Souleymane Iman Younouss und Elhadj Boubacar Issa hatten einen Drohbrief an die US-Botschaft verfasst. Sie mussten für einige Tage ins Gefängnis.

In Maradi hat der Staat mittlerweile ein Gremium eingerichtet, das Predigten auf fundamentalistische Inhalte überprüfen soll. So versucht die Regierung islamistische Strömungen klein zu halten. Doch der andauernde Krieg in Afghanistan könnte die Chancen der Islamisten in Niger vergrößern, ohne dass sie selbst aktiv werden. SANDRA VAN EDIG