tamtürktür . . . blindmacher karpfen in urfa (2)
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von BJÖRN BLASCHKE

Abraham also, das führte ich gestern aus, war von Nimrod wegen Herumrührerei im Polytheismus hopsgenommen worden. Das Urteil war indes schneller gesprochen als vollstreckt: Tod durch Scheiterhaufen lautete es. Doch noch während Abraham, von Nimrods Männern in Richtung Feuer geschleudert, durch die Luft segelte, griff Gott ein. ER verwandelte das Flammenmeer in zwei Teiche. Der Delinquent landete mit einem Platsch im Wasser; die Glutklumpen wurden – richtig! – zu Karpfen.

Und seither gelte, so schloss der Fischfutterverkäufer, der mich mit der Ichthyohistorie der türkischen Stadt Urfa zublubberte, seinen Bericht: Wer die Karpfen esse, erblinde. Deshalb sei ihr Verzehr in Urfa tabu. Überprüfen wollte ich das nicht. Ich dichtete vielmehr zum Karpfenkauverbot ein Gedicht: Karpfen: / Nix und Nixe reimt sich drauf / Egal: / An Augenlicht und Magen lass ich mir nicht nagen! Dann vernaschte ich den letzten Haps Fischfutter und trollte mich. Ich setzte meine Promenade fort und gab mich zugleich einer näheren Betrachtung der heiligen Gewässer von Urfa hin: Anno Pappendeckel mag Abraham in ihnen noch seine Seepferdchenprüfung abgelegt haben. Doch beschwimmbar sind die Teiche längst nicht mehr: Wegen des Karpfen-in-den-Topf-Tabus hat sich nämlich die Zahl der Tiere in den Jahrhunderten vervielfacht. Es sind so viele, ich schwöre es bei allen mir heiligen Matjesbrötchen, dass die Karpfen wie Hühner in einer Legebatterie nebeneinander gackern respektive gluckern. Wider alle tierschützerischen Überlegungen, aber göttlich gewollt. Kein Wunder, dass ich mir, während ich dort unter Schatten spendenden, das Teichufer säumenden Bäumen lustwandelte, die Frage stellte, ob der südostanatolische Fisch ähnliche Fortpflanzungsmuster aufweist wie der Mensch der Region? Ob mithin der Karpf’ poppt wie der Kurd’? Eine Antwort fand ich nicht, aber ich kam ihr näher: Gedankenverloren, wie ich war, rutschte ich auf einem lockeren Stein weg und hinein in den See zu den Gegenständen meiner Überlegungen. Plötzlich stand ich hüfttief im Wasser, um mich herum Karpfen und Abermillionen Karpfen. An meinen Beinen, zwischen meinen Beinen, Karpfen allüberall . . .

So erwuchs in jenem Sommer im türkischen Urfa, als ich zum Petersilienstängel einer gigantomanischen, aber ungenießbaren Fischsuppe wurde, aus der Frage nach dem karpfischen Sexleben eine andere: Hätte nicht ER – ganz der Käpt’n Iglu des Himmelsreiches – Fischstäbchenteiche zaubern können? Fischmüll mag ich zwar genauso wenig wie Karpfen, doch auf Panaden rutscht man nicht aus. Und wenn schon keine Fußstopper, hätten es dann nicht geraspelte rohe Zucchini sein können? Angerichtet in einer Schüssel als so genannter Salat sind die auch eine Hölle für sich. Aber kuselige Karpfen? Ja, hatte der liebe Gott, als ER den abrahamischen Karpfensee anlegte, noch alle Fische im Aquarium?

Seit jenem Sommertag in Urfa schlage ich alle Jahre wieder Einladungen zu Karpfenessen aus – mit einem Kampfschrei: Krapfen statt Karpfen!