Ikea baut auf Berlin baut auf Ikea

Da sag noch einer, Berlin wär am Ende. Stattdessen kommt der Aufschwung. Gleich zwei neue Ikea-Filialen werden demnächst in Tempelhof und Hohenschönhausen entstehen. Mit insgesamt vier Filialen ist Berlin damit bald schon Ikea-Welthauptstadt

von UWE RADA

Wer einen Vorgeschmack auf das haben möchte, was sich demnächst in Tempelhof und Lichtenberg abspielen wird, wird sich noch einmal Michael Chauvistrés Dokfilm „Mit Ikea nach Moskau“ ansehen müssen. 37.500 Menschen haben im vergangenen März bei bitterer Kälte auf die Eröffnung der 153. Ikea-Filiale in Moskau gewartet, brüllten dabei selbstvergessen: „We are Ikea“, und räumten kurz nach der Eröffnung den ganzen Laden leer, die Lagerräume inbegriffen.

Das klingt arg nach Superlativ, aber Berlin ist besser. Nicht nur, dass die logistische Herausforderung an der Moskwa ohne die Spandauer Ikea-Mitarbeiter Manuela Geelhaar und Ulf Seemann gar nicht möglich gewesen wäre. Nein, Berlin wird mit vier Filialen demnächst sogar die Ikea-Hauptstadt der Welt. Null Filialen in New York, eine Filiale in London oder Chemnitz, zwei in Paris. Da sag noch einer, wir wären Schlusslicht! Dafür, Herr Gysi, kann man doch jetzt schon den Champagner kaltstellen, zum Beispiel im „Weinkühler Groggy“, oder?

Wenn nicht alles schief geht, könnten die Eröffnungen tatsächlich in die Amtsperiode des PDS-Wirtschaftssenators fallen. Schon im Sommer dieses Jahres soll mit dem Bau des neuen Ikea-Einrichtungshaus in Tempelhof begonnen werden. Das teilte dieser Tage die Ikea-Deutschland mit, nachdem die Verträge mit dem Hamburger Projektentwickler Böag abgeschlossen wurden.

Die Böag will das seit 1993 stillgelegte Reichsbahnausbesserungswerk am Sachsendamm für 100 Millionen Euro denkmalgerecht renovieren. Hauptmieter, das ist nun in trockenen Tüchern, wird die dritte Ikea-Filiale in Berlin sein. Die ist mit 21.000 Quadratmetern Verkaufsfläche dann gleich groß wie die 1979 eröffnete Filiale in Spandau, die bis Herbst 2002 von 9.300 auf 36.000 Quadratmeter aufgemotzt sein wird.

Doch damit nicht genug. Schon ein Jahr später wird mit dem Bau einer völlig neuen Ikea-Halle an der Landsberger Allee in Hohenschönhausen begonnen. Die wird dann ebenfalls 20.000 Quadratmeter groß sein, so dass Ikea, wenn man Waltersdorf mit seinen 13.000 Quadratmetern einmal großzügig zu Berlin schlägt, Berlin knapp 100.000 Quadratmeter Billy- und Groggy-Verkaufsfläche zur Verfügung stehen. Ikea baut auf Berlin und Berlin baut auf Ikea.

Eigentlich war das alles überfällig. 1979 ist schließlich schon lange her, und der Mauerfall war auch schon vor dreizehn Jahren. Außerdem hat Deutschland in Sachen Ikea-Auslandsposition noch Boden gegenüber den Polen gutzumachen.

Dort waren schon Anfang der Sechzigerjahre Ikea-Möbel gefertigt worden, und zwar die ersten außerhalb Schwedens. Nur am Rande sei dabei erwähnt, dass die polnischen Werktätigen beim Anstrich der guten Stücke mit der wertvollen westlichen Farbe äußerst sparsam umgingen, so sparsam, dass die Designer in Schweden nachgerade begeistert waren. So kommt es, dass die matte Farblichkeit mancher Tische und Schränke heute ein wenig an Trabipastell oder Wartburgmausgrau erinnert.

Wie auch immer, Ikea hat in Berlin erheblichen Nachholbedarf. Das betrifft vor allem den Standort Spandau, die Ikea-Heimat von Manuela und Ulf. Bis zu 8.000 Kunden traten sich dort an normalen Werktagen auf den Füßen herum, die Filiale platzte aus allen Nähten. Viel zu spät beschloss der Konzern deshalb die Erweiterung, kaufte anliegende Grundstücke und wird künftig an 40 Kassen dafür sorgen, dass die Einkaufswägen zwar voll, die Kassen aber leer sind.

Aber auch das Einzugsgebiet von Ikea in Berlin ist größer geworden. Sieht man einmal von den Ikea-Metropolen Chemnitz und Dresden ab, ist der Osten Billy-mäßig völlig unterversorgt. Ethnologen berichten deshalb bereits von neuen kulturellen Praktiken auf Rügen oder Usedom. Nicht wegen Barenboim oder der Eisbären machen sich die Menschen von dort aus auf den beschwerlichen Weg in die Hauptstadt, sondern zum Familien-Shopping mit Familycard, Seelachsteller inbegriffen.

Und auch die Polen aus dem Grenzgebiet sind, Vorreiterrolle hin oder her, im Kommen. Schließlich gibt es die nächsten Ikea-Filialen in Polen erst in Poznań und Wrocław.

Eingefädelt hat die neue Ikea-Offensive in Berlin allerdings nicht die PDS, sondern ein altgedienter Sozialdemokrat: Walter Momper, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses und im eigentlichen Leben Projektentwickler. Als im September 2000 die Bezirksverordneten in Lichtenberg-Hohenschönhausen über den Ikea-Standort an der Landsberger Allee entscheiden sollten, kam Walter Momper mit dem Dienstwagen angefahren. Allerdings nicht in seiner Funktion als damaliger Parlamentsvizechef, sondern als schwedischer Türöffner. Immerhin war für die Ansiedlung eine Änderung des Flächennutzungsplans nötig. Doch Momper hatte schon vorgesorgt und bereits zuvor den zuständigen Bausenator Peter Strieder von der Notwendigkeit einer solchen Änderung überzeugt. Auch bei der Erweiterung des Ikea-Standorts in Spandau hatte Momper dafür gesorgt, dass kein neues Planverfahren notwendig wurde. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Aber es soll an dieser Stelle auch gar nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Was ist schon demokratische Planungskultur gegen einen Berliner Superlativ. Und auch in Zukunft wird Berlin in Deutschland Ikea-Führer sein. In Hamburg zum Beispiel wird demnächst erst die zweite Filiale eröffnet, und in München sind die Filialen zwei und drei gar erst in Planung. Und ist, bei allem Zweifel, den jetzt die Liebhaber exklusiver Designerstücke streuen, die Berliner Ikea-Dichte nicht auch ein Hinweis auf ein Anwachsen des Mittelstandes? Ein Indiz, dass der Osten, mindestens aber Berlin doch nicht auf der Kippe steht?

Gregor Gysi jedenfalls wird seinem SPD- und Koalitionskollegen Momper das bisschen Ämterverquickung nicht übel nehmen. Immerhin darf Berlins sozialistischer Wirtschaftskapitän bald die die Filialen Nummer drei und vier eröffnen. Von Moskau, Manuela und Ulf lernen heißt siegen lernen.