Justizstreit an allen Ecken

■ Kuriose Koalition: CDU unterstützt Staatsrat Mäurer, der sich von Weg-schließ-Äußerungen über Jugendliche nicht klar distanziert / SPD windet sich

Will das Bremer Justizressort eine Wende im Jugendvollzug? Das wollte der justizpolitische Sprecher der Grünen, Hermann Kuhn, gestern im Rechtsausschuss der Bürgerschaft wissen. Anlass waren umstrittene öffentliche Äußerungen, die Ulrich Mäurer gemacht hatte, der Staatsrat im von Justizsenator und Bürgermeister Henning Scherf (SPD) geführten Justizressort.

Es gebe jugendliche Straftäter, „die kann man nicht resozialisieren, weil sie nie sozialisiert wurden“, hatte Mäurer dem Fernsehen gesagt (siehe Kasten). Und sich damit vom gesetzlichen Erziehungsauftrag für den Jugendvollzug distanziert. Zugleich hatte er von Familien gesprochen, „die an sich als Intensivtäter auftreten“.

Auf die gestrige Frage des Grünen Kuhn, „schließt sich der Ausschuss diesen Äußerungen an?“, äußerte sich gestern zunächst nur die CDU – mit Zustimmung. Der als politischer Hardliner bekannte ehemalige Innensenator Ralf Borttscheller lobte: „Ich freue mich über soviel Augenmaß.“ Es sei begrüßenswert, „wenn Sicherheitsprobleme nicht nachrangig behandelt werden“. Bestimmte Problemlagen könne man nicht wegdiskutieren. Während die SPD-Abgeordneten im Rechtsausschuss ihren Staatsrat über eine Stunde lang mit vernehmlichem Schweigen straften.

Erst nach langem Zögern äußerte der Vorsitzende im Ausschuss, Horst Isola (SPD) halbherzig, er habe zwar das Interview nicht gesehen, könne sich solche Äußerungen aber nicht wirklich vorstellen. „Aber man muss aufpassen, öffentliche Aussagen zu machen, die missverständlich sein könnten.“ Niemand dürfe Jugendliche aufgeben, so Isola. Das entspreche nicht der Gesetzeslage. Auch könnte eine solche Haltung negativ auf Bedienstete im Vollzug wirken, die dann die Jugendlichen ihrerseits „sortieren“ wollten, mahnte er. Der SPD-Abgeordnete Hermann Kleen stellte klar: „Wir dürfen niemanden aufgeben.“ Wofür er einen bissigen Zwischenruf von Kuhn erntete: „Auch Herrn Mäurer nicht.“

Mäurer selbst distanzierte sich nicht eindeutig von seinen Äußerungen. Stattdessen verwies er auf den Koalitionsvertrag, der dem Schutz der Öffentlichkeit Vorrang einräume. Der einzige Opposi-tionsvertreter im Rechtsausschuss, Kuhn, hatte zuvor klar gestellt: „Wenn der Staatsrat heute nicht sagt, dass er dieser Auffassung nicht sein kann, ist er falsch im Amt.“

Kritik an Mäurer äußerte auch der als Gast anwesende Vertreter der Jugendrichter, Bernward Garthaus. „Derartige Pauschalierungen machen mir Angst.“ Und: „Wir können Jugendliche nicht präventiv einsperren.“ Offensichtlich sei die Koalitionsvereinbarung mit dem Strafvollzugsgesetz und dem Jugendgerichtsgesetz nicht vereinbar.

Nicht nur zwischen SPD-Fraktion und der Führungsspitze des Justizressorts hängt der Segen schief. Auch Jugendrichter, Justizbehörde und Justizvollzug – vom Personalrat und Anstaltsbeirat ganz zu schweigen – liegen miteinander schon länger im Clinch. Vordergründiger Auslöser eines offenen Konfliktes war die Entscheidung eines Jugendrichters, einen 16-jährigen Intensivtäter wegen mangelnder Betreuung nicht in Jugendhaft zu belassen. Während das Justizressort die Mängel bestritt und zu Richterschelte überging, stellte Jugendrichter Garthaus gestern klar, dass der Richter diese Entscheidung sehr überlegt getroffen habe. Anders als vom Justizressort dargestellt, sei der Junge durchaus beschulbar – und auch im Knast zur Schule gegangen. Dies allerdings nur, bis es nach einem Lehrerausfall offensichtlich keinen Platz mehr für den Schüler gab. Auch die angebliche Gewalttätigkeit des Jugendlichen treffe so nicht zu. Der Richter habe erst nach genauer Analyse beschlossen, dass Haft ohne klare Struktur und Verantwortlichkeit diesen Jugendlichen weiter schädige – und stattdesen ambulante Betreuung angeordnet.

Garthaus betonte, dass die Jugendrichter das Gespräch mit der Vollzugsleitung suchten. „Wir wollen Veränderung, die Jugendlichen müssen ein bisschen besser rauskommen, als sie reingehen.“ Zugleich forderte er das Justizressort auf, dafür zu sorgen, dass Arbeitskreise zu diesem Zweck nicht von der Anstaltsleitung blockiert werden dürfen. Auch dass seit der Gerichtsentscheidung über den 16-Jährigen neuerdings Jugendsozialarbeiter – die zur Einschätzung der Fälle regelmäßig gehört werden –, Aussagegenehmigungen von der Behörde bräuchten, „betrachten alle Beteiligten als Maulkorb“, appelierte Garthaus an eine kompetentere Personalführung.

ede