„Wir sagen: Nein zum Schuldendienst“

Der mexikanische NGO-Vertreter Alejandro Villamar über die Chance, die Entwicklungspolitik zu beeinflussen

taz: Seit über zehn Jahren besuchen Sie als Globalisierungskritiker die internationalen Gipfeltreffen. Rechtfertigen die Ergebnisse den Aufwand? Und das Risiko der Vereinnahmung?

Alejandro Villamar: Natürlich gibt es immer das Risiko, dass es beim Gruppenfoto bleibt und dass wir uns in der reinen Rhetorik verfangen. Das ist ja nicht wenigen Gruppen passiert, die zu Requisiten im Bühnenbild der dominanten Politik wurden. Deshalb ist unser wichtigstes Ziel die Vernetzung und Organisation auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Darüber hinaus dienen die Treffen dazu, uns gegenseitig zu informieren. Wir wiederum müssen unsere Gesellschaften informieren. Das ist eine Frage von Demokratie. In Mexiko sprechen wir, wenn unsere Regierung uns über internationale Wirtschaftsabkommen weder informiert, noch konsultiert, von Autoritarismus und Antidemokratie. Als wir uns neulich in Europa umtaten, haben wir etwas Merkwürdiges festgestellt: dass nämlich die Europäische Kommission ihre Bürger und Parlamentarier auch nicht über Inhalte informiert.

Wo haben Sie bislang, über die Vernetzung hinaus, in der internationalen Politik Spuren hinterlassen?

Zunächst einmal im Zusammenhang mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta beim Parallelabkommen zu Arbeits- und Umweltschutz. Das sind beides Themen, die zuvor bei Freihandelsverträgen nie angesprochen wurden. Auch bei der Ratifizierung der so genannten Demokratieklausel beim Globalabkommen der Europäischen Union mit Mexiko (diese schreibt den Handelspartnern die Wahrung von Menschenrechten und Demokratie vor; A.H.) haben wir eine Rolle gespielt. Bei allen Gipfeltreffen der Neunzigerjahre haben wir zumindest den Fokus mitbestimmt: etwa in Rio, als wir dafür plädierten, das Konzept von Nachhaltigkeit mit Wirtschafts- und Finanzpolitik zusammenzudenken. Heute sagt das jeder. Oder etwa die Tobin-Steuer, die wir schon 1995 gefordert haben und deren Möglichkeit heute sogar von der EU-Kommission geprüft werden soll.

Nun ist die Tobin-Steuer, die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen, einer der Punkte, die im Schlusspapier von Monterrrey wohl ausgespart sind. Hoffen Sie dennoch auf eine Debatte?

Natürlich. Schließlich hat das unmittelbar mit den Finanzproblemen unserer Länder zu tun. Wenn Sie etwa in Mexiko nur einen Minimalsatz von 0,01 Prozent alleine auf die 200 Millionen US-Dollar erheben, die die Zentralbank täglich an den Devisenmärkten anbietet, wären unsere Staatskassen um 750 Millionen Dollar im Jahr voller. Wenn man darüber hinaus auch private Finanztransaktionen besteuerte, könnten wir den Bundeshaushalt um 20 Prozent erhöhen und müssten nicht die Interamerikanische Entwicklungsbank um Kredite für unsere Sozialhilfeprogramme anpumpen.

Die mexikanische Regierung übernimmt einen Teil der Kosten für das NGO-Forum. Ist das nicht ein Widerspruch?

Diese Diskussion hatten wir oft in Europa, übrigens besonders in Deutschland, als wir zur Expo eingeladen waren. Da gab es Leute, die uns dafür kritisiert haben, dass wir offizielle Gelder nutzen. Und unsere Position war immer sehr klar: Wir kämpfen ja gerade dafür, dass öffentliche Gelder eben nicht Eigentum der Regierung sind. Und dass die zivile Gesellschaft über deren Verwendung mitbestimmt. Wir sagen: Nein zum Schuldendienst, ja zur Bekämpfung der Armut.

Letzteres unterzeichnet wohl jeder, der nach Monterrey fährt. Was muss sich strukturell ändern, damit aus Lippenbekenntnissen Politik wird?

Allgemein geht es darum, die Politik der Mohrrübe, mit der man uns immer vor der Nase gewedelt hat, in eine wirkliche Zusammenarbeit zu verwandeln. Und die politische Schizophrenie zu überwinden, die das globale Szenario beherrscht: auf der einen Seite die nationalen Regierungen und die UNO, auf der anderen Seite Weltbank, IWF und Welthandelsorganisation (WTO), die die Regeln für die Entwicklungspolitik diktieren. Über alle Einzelforderungen hinaus ist für uns von eminenter Wichtigkeit, dass Weltbank, IWF und WTO endlich gezwungen werden, ihre Politik in Einklang mit den entwicklungspolitischen Prinzipien und Beschlüssen der UNO zu bringen. Und damit die USA endlich in diesen Instanzen völkerrechtlich einzubinden.

INTERVIEW: ANNE HUFFSCHMID