Schulden, das Kreuz des Südens

NGO fordern die Besteuerung grenzüberschreitender Finanztransaktionen und Schiedsgerichte für die Neuverhandlung von Auslandsschulden

aus Mexiko ANNE HUFFSCHMID

In Monterrey, einer Industriemetropole in Nordmexiko, werden nächste Woche neben UNO-Funktionären, Ministern und Regierungschefs aus 180 Ländern erstmals Vertreter von über 80 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit am Tisch sitzen. Auch nehmen Vertreter der Finanzeliten aus Internationalem Währungsfonds (IWF) und Welthandelsorganisation (WTO) erstmals an einem Gipfeltreffen teil, das von der UNO ausgerichtet wird.

Laut Tagesordnung der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, die vom 18. bis 22 März stattfindet, geht es um nicht weniger als die permanente Finanz- und Existenzkrise des Südens, um Überschuldung und Ressourcenflüsse, um freien und möglichst fairen Handel. Vor allem aber darum, wie in der Millenniumserklärung vom September 2000 versprochen, die Zahl der 1,2 Milliarden Menschen, die von weniger als einem Dollar am Tag überleben müssen, bis 2015 um die Häfte zu senken.

Doch das kostet unter anderem Geld. Und da hapert es gewaltig. Von den 0,7 Prozent, die die reichen Länder gemäß einer UNO-Empfehlung aus den Siebzigerjahren von ihrem Bruttosozialprodukt für die Entwicklung der ärmeren abzweigen sollen, sind diese heute weiter denn je entfernt. So haben die Mitgliedsländer der Organisationen für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Gelder für Entwicklungszusammenarbeit (EZ) im vergangenen Jahrzehnt im Schnitt von 0,3 auf gut 0,2 Prozent ihres Bruttosozialprodukts gesenkt.

Gerade mal 53 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe gingen 2001 in den Süden, ein gutes Viertel dessen, was Entwicklungsländer im selben Zeitraum für Schuldendienstzahlungen gen Norden aufbrachten. Zur Einhaltung des Millenniumsziels drängt die UNO nun auf die Verdopplung dieser Summe. Nicht nur aus den USA, die ohnehin gerade mal 0,1 Prozent ihres Sozialprodukts spendieren, ist da Widerstand zu erwarten.

Auch die EU muss am Wochenende in Barcelona Farbe bekennen. Die Kommission hat vorgeschlagen, den durchschnittlichen Anteil der EU-Mitglieder bis 2006 wenigstens auf 0,39 Prozent anzuheben. Doch Deutschland, Italien und Griechenland blockieren bisher. So lag der deutsche EZ-Anteil im Jahr 2000 bei 0,27 Prozent – Tendenz fallend. Als „Armutszeugnis“ für die rot-grüne Regierung wertet der jüngste Jahresbericht der Deutschen Welthungerhilfe und Terre des hommes die Tatsache, „dass der gegenwärtige Entwicklungsetat deutlich unter dem des Jahres 1990 liegt“. Ohne neue Finanzmittel aber, so heißt es im Bericht mit Blick auf den für September 2002 geplanten Umweltgipfel in Johannesburg, „werden sich die Entwicklungsländer für neue Vorschläge zum Schutz der globalen Umwelt taub stellen“.

Über Auswege aus diesem Dilemma werden die NGOs schon ab heute in Monterrey diskutieren. Zum dreitägigen „Globalen Forum über Finanzierung. Für das Recht auf nachhaltige und gerechte Entwicklung“ treffen sich Vertreter von über 1.000 entwicklungspolitischen Gruppen aus aller Welt. Sie haben, auch jenseits der 0,7-Marke, recht konkrete Forderungen an den offiziellen Entwicklungsgipfel: von der Besteuerung grenzüberschreitender Finanztransaktionen über geschlechtsspezifische Haushalts- und Entwicklungspolitiken und die Demokratisierung von Weltbank und IWF bis zu internationalen Schiedsgerichten für die Neuverhandlung von Auslandsschulden.

Im Entwurf der offiziellen Schlussresolution findet sich kaum etwas davon. „Man hat uns reden lassen“, sagt die mexikanische Frauenrechtlerin Laura Frade. Die Resolution jedoch sei gespickt mit altbekannten Appellen an die ärmeren Länder zur Bekämpfung von Inflation und Haushaltsdefiziten, zur Öffnung der Märkte und zur Schaffung eines gesunden „Investitionsklimas“. Freihandel und private Investitionen werden hier umstandlos zu „Wachstums- und Entwicklungsmotoren“.

Am fragwürdigsten finden kritische Experten den verwendeten Entwicklungsbegriff. Zwar wurde mit der Rio-Konferenz vor zehn Jahren „nachhaltige Entwicklung“ zum neuen Paradigma erkoren. Wie Jörg Haas, Ökologie-Referent der Heinrich-Böll-Stiftung, gezählt hat, ist im Konsens-Dokument 19-mal das Wörtchen „Wachstum“ zu finden: sechsmal mit dem Adjektiv „anhaltend“ (sustained) und gerade einmal mit „nachhaltig“ (sustainable) versehen. Von „nachhaltiger Entwicklung“ ist dagegen nur halb so oft die Rede. So werden Wachstum und Entwicklung, sustained und sustainable, offenbar nach wie vor synonym verwendet. Zudem, so Haas, gerate mit dem nahezu ausschließlichen Fokus auf Armutsbekämpfung die „Herausforderung des ökologischen Umbaus im Norden und eines neuen Entwicklungsmodells für den Süden völlig aus dem Blick“.