Seit einem Jahr schweigen die Zapatistas

Am 29. April 2001 veröffentlichte die zapatistische Guerilla im mexikanischen Chiapas ihr letztes Kommuniqué. Seither ist Funkstille – aber kein Friede

MEXIKO-STADT taz ■ Seit genau einem Jahr hat die eloquente Zapatistenguerilla EZLN so gut wie kein öffentliches Wort von sich gegeben. „Seliger Frieden“, wie Staatspräsident Vicente Fox einmal behauptete, herrscht damit im Krisengebiet noch lange nicht. Seit ihrer Erhebung im Januar 1994 hatte die EZLN mit unermüdlicher Textproduktion und paradoxen Veranstaltungen von sich reden gemacht. Zuletzt im Frühjahr vergangenen Jahres, als zwei Dutzend maskierter, aber unbewaffneter Comandantes, einschließlich des Subcomandante Marcos, wochenlang die Republik bereisten und schließlich an der Kongresstribüne für eine Verfassungsreform über indigene Kultur und Rechte warben. Seither ist Stille.

Die hat ihren Grund. Denn zwar hatten Parlament und Senat schon kurz nach der zapatistischen Visite tatsächlich eine Verfassungsreform zum Thema verabschiedet. Doch die blieb in zentralen Punkten weit hinter den Forderungen zurück. So sind indigene Völker in der neuen Version ausdrücklich nicht als „Rechtssubjekte“ mit einklagbaren Rechten, sondern lediglich als Träger „öffentlichen Interesses“ anerkannt. Auch die „kollektive Nutzung“ von Bodenschätzen, der Anspruch auf eigene Medien sowie die Gültigkeit indigenen Gewohnheitsrechts wurden entscheidend eingeschränkt. Erwartungsgemäß werteten die Zapatistas in einem Kommuniqué vom 29. April 2001 die Reform als „schwere Beleidigung“ und kündigten die Aussetzung aller Kontakte zur Fox-Regierung an.

Um das Gesetz doch noch zu kippen, wollen zivile Indio-Bewegungen jetzt den Rechtsweg beschreiten. Über 300 Gemeinden und Organisationen haben Beschwerde beim obersten Gerichtshof eingelegt. Wichtigstes juristisches Argument ist der Verstoß gegen das Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), dem zufolge zu jedem Indigene betreffende Gesetzesvorhaben die „indigenen Völker“ vorab konsultiert werden müssen.

Auch vor Ort ist von der „Befriedung“ und „Versöhnung“, wie sie Chiapas-Gouverneur Pablo Salazar bei seinem Antritt vor 15 Monaten versprach, nicht viel zu spüren. Zwar gehen die Soldaten nach Aussagen einer internationalen Beobachterkomission, die das Gebiet Ende Februar bereiste, heute mit „größerer Diskretion“ vor. Deren Anzahl habe sich jedoch, trotz einiger geräumter Militärstützpunkte, „nicht vermindert“. Und derzeit treiben paramilitärische Banden wieder verstärkt ihr Unwesen.

Die größten Spannungen aber gibt es im Inneren der indigenen Gemeinden selbst. Nahezu alle Kommunen und Dorfgemeinschaften im Krisengebiet sind heute gespalten in Autonome und andere. Während die EZLN-nahen Gruppen auch von der neuen Landesregierung jede Hilfe ablehnen und weiterhin auf notdürftige Selbstversorgung setzen, wollen viele ihrer Nachbarn auf Saatgut, kostenlose Gesundheitsversorgung und billigere Lebensmittel nicht länger verzichten. Auch würden manche der Kooperativen, die bislang das 1994 besetzte Land gemeinsam bewirtschaften, gerne mit der Landesregierung ins Geschäft kommen. Die zapatistischen Gruppen lehnen hingegen individuelle Verträge strikt ab.

Auch gegenüber der Presse sind die zapatistischen Basisgemeinden zu striktem Stillschweigen angehalten, zur comandancia konnte seit einem Jahr kein einziger Reporter durchdringen. Nicht wenige Indio-Bewegungen im Lande heißen das Schweigen gut: „Was soll man mit jemanden reden, der nicht das mindeste Verständnis für indigene Belange gezeigt hat“, sagt etwa der mixe-Aktivist Pedro González zur taz. Andere warnen hingegen vor Selbstisolierung. So kritisiert der Historiker und langjährige EZLN-Sympathisant Antonio García de León den Rückzug als „unerklärlich“. Das Schweigen lasse auf einen „einen Mangel an Analyse“ schließen und füge der Bewegung „ großen Schaden“ zu.

Ein Zeichen dafür, dass die EZLN die nationalen Geschehnisse durchaus verfolgt, ist ein kurzer Brief, mit dem Marcos sich letzten Oktober anlässlich der – bis heute nicht aufgeklärten – Ermordung der Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa zu Wort meldete. „Nehmt unser Schweigen als schüchterne Umarmung“, heißt es in dem Schreiben an die Familienangehörigen von Ochoa, „ihr wisst ja, dass man sich auch schweigend begleiten kann.“ ANNE HUFFSCHMID