fernöstlicher diwan
: Eine WM für die Haus- und Frauenzeitschriftenfrau

„Niemals, du blinde Sau“

Es war eine unglückliche Äußerung, zugegeben: „Nimm ihn doch in die Hand“, rief ich dem Torwart von Mainz 05 zu, als er einen Ball kurz vor der Kollision mit dem Gegner wegkickte. Eigentlich weiß ich, dass Rückpässe nicht auf den Arm genommen werden dürfen, aber manchmal spricht man eben vor dem Nachdenken. Das Ergebnis war: Die Augen meines Stadionbegleiters überschlugen sich, und am Schluss wurde ich dafür verantwortlich gemacht, dass Mainz nicht aufgestiegen ist. „Nur wegen deinen unqualifizierten Bemerkungen.“

Ein Zusammenhang, der mir einleuchtet. Und bevor Deutschland nicht Weltmeister wird, weil ich regelunkundig daherrede, habe ich mir felsenfest und wittgensteinern vorgenommen, während der WM überwiegend zu schweigen und mich auf die messerscharfen Kommentare der anwesenden Männer zu konzentrieren. Eine Strategie, die beim Spiel der

DIE WM VON JUTTA HEESS

Mein Spieler: eigentlich David Beckham, aber seit Samstag Miroslav Klose – weil „er Tore fallen lässt wie reife Früchte“ (O-Ton Fassbender)

Mein Team: Kamerun – weil sie beim Afrika-Cup in ihren ärmellosen Trikots aussahen wie NBA-Stars

Mein Weltmeister: Italien – weil ich mich schon auf die Pressekonferenz mit Trainer Trapattoni freue

Deutschen gegen die Saudi-Araber allerdings schon platzte, als eine mir unbekannt Dame im TV-Publikum sagte: „Klose wird der neue Gerd Müller. Der hat 1970 allein zehn Tore gemacht.“ Alle Anwesenden waren platt angesichts des historischen Spezialwissens. Und ich hatte ihr bei der Begrüßung heimlich unterstellt, dass sie bestimmt eine von denen ist, die Zinedine Zidane für ein Parfum und Kick and Rush für eine moderne Selbstverteidigungstechnik halten.

Aber so kann man sich täuschen. Und: Wieso sollen Frauen eigentlich verheimlichen, dass sie etwas von Fußball verstehen? Also schmiss ich mein Schweigegelübde über den Haufen und kommentierte wieder mit. Als die Kollegin jedoch protzte, dass Deutschland erst einmal gegen die Saudis gespielt habe, und das am 22. Februar 1998, war ich sicher: Die hat gerade eine klingonische WM-Gehirnwäsche hinter sich oder einen 850-Seiten dicken kicker-Almanach inhaliert. Tatsächlich legte sie später die Karten auf den Tisch: Ihre Beschlagenheit rührte allein aus dem Allegra-Hochstapler-Set. 16 Länder- und acht Sonderkarten hatte sie offensichtlich auswendig gelernt und souverän vorgetragen. Unter dem Motto „Mitreden!“ werden die coolsten Fußballsprüche kompakt und übersichtlich an die Frau gebracht. Zum Beispiel der Abseitsruf: „Niemals, du blinde Sau.“ Oder Taktisches: „Mal auf die Flügel spielen.“ Aber auch vor typischen Patzern warnt das kluge Frauen-Fußball-Magazin: Fragen wie „Auf welches Tor spielen wir?“ oder „Den kenn ich doch von Bayern, wieso spielt der jetzt in Frankreich?“ sollten möglichst vermieden werden. Darüber hinaus sind die Vorderseiten der Karten jeweils mit dem schönsten Spieler der WM-Mannschaften verziert: Luis Figo, Michael Owen, Gabriel Batistuta, Mehmet Scholl … Mehmet Scholl? Da haben die Allegrianerinnen offensichtlich verschlafen, dass der gar nicht mit dabei ist. Böse Falle für die kompetente Fußballfrau!

Überhaupt hing ich auf dem Nachhauseweg der Fantasie nach, dass diese WM die WM der Frauen werden könnte. Der Haus- und der Frauenzeitschriftenfrauen zumindest. Die Hausfrauen können morgens und mittags Fußball gucken, ordentlich die Stecktabelle pflegen und abends wie aus dem Staubsauger geschossen antworten auf die Frage ihres Mannes: „Wie hat Deutschland gespielt, Schatz?“ Und Allegra-Leserinnen können in geselligen Fernsehrunden mit ihrem Bildungskickertum glänzen. Aber nicht nur die: Auch die neueste Ausgabe der Amica, dem „Frauenmagazin für Freundinnen“, macht Mädels fußballmobil – in jeglicher Hinsicht. Neben sieben halb nackten Jungs entblößt sich auch Gerhard Delling in einem Interview und erklärt „die größte Männer-Obsession.“ Mit Sätzen wie „Da es ja der Sinn des Spiels ist, Tore zu erzielen, wäre es angebracht, wenn man darauf achtet, ob dieses runde Etwas auch in irgendeinem landet.“

„Fußball für Anfängerinnen“ ist der Text überschrieben, und nach Genuss dieser und weiterer ähnlich geistreicher Erklärungen dürfte das „Mitreden“ für keine Frau der Welt ein Problem mehr sein. Ich hingegen werde in den nächsten vier Wochen weder Hochstaplerkärtchen noch Delling-Interviews lesen und mich auf mein eigenes Ball- und Sprachgefühl verlassen. Dann lieber schuld daran sein, dass Deutschland nicht Weltmeister wird. JUTTA HEESS