Dicke müssen doppelt zahlen

US-Fluggesellschaften droht Ärger: Weil extremes Übergewicht als Behinderung gilt, könnte der doppelte Ticket-Preis für Dicke illegale Diskriminierung sein

„Wir vermieten Kubikmeter plus Gewicht. Das muss man ganz nüchtern betrachten.“

KÖLN taz ■ Der US-Verband für Übergewichtige Personen (AOA) steht derzeit im Mittelpunkt des amerikanischen Medieninteresses. Die Organisation wirft dem Flugunternehmen Southwest Airlines vor, mit einer neuen Firmenpolitik übergewichtige Personen mutwillig zu diskriminieren. Demnach sollen korpulente Passagiere, die die Sitzfläche von zwei Plätzen beanspruchen, zukünftig auch doppelt zur Kasse gebeten werden. Morgan Downey, AOA-Geschäftsführer, erklärte, dass es sich bei dem Vorgehen ganz offensichtlich um eine „bösartige Diskriminierung der übelsten Sorte“ handele. „Genauso gut könnten wir sagen, Schwarze dürfen ab heute wieder nur in den hinteren Reihen unserer Busse Platz nehmen.“ Der Verband hat bereits juristische Schritte gegen Southwest Airlines angekündigt.

Übergewichtige hatten unter Bezugnahme auf ein Antidiskriminierungsgesetz der Clinton-Regierung bisher recht erfolglos geklagt. Doch im März hat das oberste Landesgericht von New Jersey die Entscheidung eines Berufungsgerichtes bestätigt: Extreme Übergewichtigkeit ist als Behinderung zu werten. Dies könnte den Rechtsstreit auf Bundesebene beeinflussen – und für die Fluggesellschaften teure Folgen haben.

Southwest Airlines erklärte unterdessen, dass die doppelte Taxierung bereits seit dem Jahr 1980 Bestandteil der Firmenpolitik sei und bei sämtlichen Fluggesellschaften als internationaler Standard gelte. Es handle sich bei der angeblichen aktuellen Veränderung um eine Falschmeldung, die auf ein der Presse zugespieltes internes Informationsblatt zurückgehe. Dieses habe den Mitarbeitern lediglich das neue Bordpasssystem erläutern sollen. „Southwest verurteilt jegliche Art der Diskriminierung“, versichert Geschäftsführerin Colleen Barrett. Im Übrigen werde den Kunden auch der zweifache Ticketpreis zurückerstattet, wenn der Flug nicht komplett ausgebucht ist.

Insofern unterscheidet sich die Firmenpolitik nicht von deutschen Luftfahrtunternehmen. „Wir vermieten Kubikmeter plus Gewicht“, erklärt Lufthansa-Sprecher Thomas Jarchow. „Das muss man ganz nüchtern betrachten.“

Eine sachliche Auseinandersetzung dürfte in den USA allerdings schwerer zu führen sein, da wesentlich mehr Personen von der Kontroverse betroffen sind. Statistiken zufolge sind rund 60 Prozent aller US-Bürger übergewichtig. Jeder Vierte gilt als „dickleibig“.

Die Londoner Tageszeitung Guardian berichtet, dass die doppelte Sitzplatznahme allein auf dem sehr viel kleineren kanadischen Markt die Flugunternehmen jährlich bis zu 25 Millionen Kanadische Dollar koste, rund 17 Millionen Euro.

Die Margen im Luftverkehrsgeschäft des amerikanischen Nordens sind mittlerweile minimal: Bereits vier bis acht unbesetzte Plätze pro Flieger führen dazu, dass die Airline mit dem jeweiligen Flug Verluste macht. Und das, obwohl die Flugbranche zu den am stärksten subventionierten Industriezweigen in den USA gehört.

Wenn Unternehmen gerne betonen, dass Kundenorientierung für sie im Mittelpunkt steht und dass sie jegliche Form von Diskriminierung verurteilen, heißt das immer auch: Wir brauchen Geld – egal von wem! Es zeigt aber ebenso, dass die Marktwirtschaft zwangsläufig auch eine integrative Dynamik in sich trägt: Im starken Wettbewerb kann es sich kein Unternehmen leisten, Kunden zu verlieren, egal, welcher Gruppe diese angehören. LUTZ LEWIS GROPP