Trümmerlandschaft in den Köpfen

Kurz vor den Wahlen in Makedonien herrscht eine international überwachte Ruhe vor dem Sturm. Die ethnische Trennung zwischen albanischen und slawischen Mazedoniern schreitet voran. Auf beiden Seiten rüsten Milizen für den nächsten Krieg

Wenig Konkretes, dafür viel Emotion, umrahmt von Flaggen und Liedern

aus Skopje ERICH RATHFELDER

Auf dem Berg über dem Dorf Alasevce sind die Befestigungsanlagen leicht zu erkennen. Von dort aus stürmten im Mai letzten Jahres Soldaten der mazedonischen Armee das Dorf. Bis heute sind die Häuser des 300-Seelen-Ortes nur noch Ruinen.

„Wir Menschen konnten damals noch fliehen, die Tiere nicht“, sagt der 75-jährige Bekim Jashari. Insgesamt seien 250 Kühe, 600 Schafe und 40 Pferde von den Regierungssoldaten getötet worden. Die albanischen Bauern auf der Hochebene über dem Tal von Kumanovo, knapp 40 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Skopje, verloren damals ihren gesamten Besitz.

Auch weiter unten im Tal breitet sich noch heute eine Trümmerlandschaft aus. In den Ortschaften Vakcince und Slupcane leisteten damals starke Gruppen der „Nationalen Befreiungsarmee“ (UÇK) Widerstand gegen die Armee. Die albanischstämmige Rebellengruppe eroberte im Juni 2001 den gemischtethnischen Ort Matejce. Sie zerstörte die Polizeistation. Danach brannten die Häuser von slawischen Mazedoniern. Die Mazedonier zertrümmerten die Moschee, Albaner zündeten die orthodoxe Kirche an. Jetzt stehen nur noch die Außenmauern.

Nur Albaner leben heute noch in Matejce. Sie haben einen Teil ihrer Häuser wieder aufgebaut. Auf dem Hauptplatz des Ortes sitzen fünf Polizisten der neu gebildeten „gemischten“ Polizei der Albaner und Slawen. Auch Wagen der OSZE und der Nato-Truppe „Fox“ haben hier geparkt. Es sei alles ruhig, sagen die Polizisten. Am Vortag seien sogar einige slawisch-mazedonische Einwohner, die jetzt als Flüchtlinge in Kumanovo leben, zu Besuch gekommen. Doch kaum ein Albaner habe mit den alten Nachbarn geredet.

Vor dem einzigen Café des Platzes fährt ein Wagenkonvoi vor. Xhezair Shaqiri, Ex-UÇK-Kommandeur „Hoxha“, der jetzt als Kandidat der Nationaldemokraten am kommenden Sonntag ins Parlament gewählt werden will, steigt aus. Die Zeit des Krieges sei vorbei, sagt der durchtrainierte Mittvierziger. Jetzt gehe es darum, zu einem normalen Leben zurückzukehren.

Zu einem normalen Leben? In den albanischen Dörfern und Städten sind alle Wahlversammlungen überfüllt. Ob bei der Partei der „Demokratischen Integration“ des Ex-UÇK-Führers Ali Ahmeti oder der bisher stärksten Partei, der „Demokratischen Partei der Albaner“, die Teil der Regierungskoalition ist – überall finden die gleichen Rituale statt: Jungen und Mädchen schwingen albanische Flaggen, mitgerissen von patriotischen Liedern gedenken die Menschen den „Helden des Kampfes“. Wie die Parteien Probleme wie die Arbeitslosigkeit lösen wollen – darüber sprechen die Redner nicht.

Im Zentrum der Hauptstadt Skopje sind es die slawisch-mazedonischen Parteien, die wenig Konkretes, dafür viel Emotionales zu sagen haben. Umgeben von einem Meer aus orangeroten Nationalflaggen versprechen die Redner das Blaue vom Himmel. Nur sind diese Wahlversammlungen schlecht besucht. Denn die Menschen in Skopje sind enttäuscht.

Emile, Sohn eines bekannten Architekten aus einer alteingesessenen Familie, kann sich heute als Ingenieur nicht einmal mehr einen Kaffee am Hauptplatz leisten. Die Regierungskoalition des Staatspräsidenten Ljubce Georgievski, so sagt der mit seinen langen Haaren und der Baskenmütze wie ein Bohemien alter Schule aussehende Mann, „hat das Land in den zurückliegenden vier Jahren weiter heruntergewirtschaftet“. Die Korruptionsskandale seien nicht mehr zu zählen. Die Wirtschaft befinde sich in freiem Fall. Und weit weniger Hilfsgelder kämen ins Land als versprochen.

Den Regierenden laufen die Wähler davon. Sie werden nervös. Die für den Bürgerkrieg aufgebauten Spezialtruppen des Innenministeriums, die „Tiger“, „Löwen“ und „Adler“, werden jetzt, auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes, gegen politische Gegner in der eigenen Ethnie eingesetzt. „Die Frage ist nicht, welche Menschenrechte unter dieser Regierung verletzt wurden, sondern welche nicht“, sagt Mirjana Najchevska vom „Helsinki-Komitee für Menschenrechte“. Die scharfzüngige, streitbare Dame beklagt willkürliche Verhaftungen, Folter in den Gefängnissen. Die Autorität des Staates sei zerstört. Systematisch würde auf beiden Seiten die ethnische Trennung betrieben.

Auch bei den internationalen Organisationen macht sich Enttäuschung breit. Trotz der Anwesenheit vieler Hilfsorganisationen sei man kaum vorangekommen, sagt ein hoher Diplomat. Im Gegenteil: In den ethnisch gemischten Gebieten versuche die jeweilige Minderheit ihren Besitz zu verkaufen, um zu gehen. Die Nato und die internationale Gemeinschaft hätten zwar im vorigen Jahr einen größeren Krieg verhindert, „Frieden geschaffen haben wir nicht“.

In der Nacht fährt auf der Autobahn Debar – Skopje kein Auto mehr. Mehrere Personen wurden kürzlich von schwarz uniformierten Albanern gekidnappt. „Es gibt wieder bewaffnete Albaner, die AKSH, die so genannte Nationale Befreiungsarmee, die in drei Gruppen unabhängig voneinander operiert“, sagt der Diplomat. Und zugleich könne niemand kalkulieren, wie sich die Spezialtruppen des Innenministers verhalten, falls die regierende Partei die Wahlen verliert. „Was die Politiker nach außen sagen, ist das eine“, meint er, „was sie wirklich denken, das andere.“