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: Die Mühsal des Wettens in Zeiten sich mehrender Spielgemeinschaften

Hoffnung in der Tippliga

Früher war der Samstagnachmittag einfach: 15.30 Uhr, Radio an, Daumen drücken, dass Hertha gewinnt und die Bayern verlieren, der Rest war egal. Dann kam Oddset. Und als maskulines, also abstraktionsfähiges Exemplar der Gattung Homo sapiens setze ich manchmal Geld auf eine Hertha-Niederlage. Was soll ich mir dann wünschen? Idealerweise bin ich auf jeden Fall Sieger, weil entweder Hertha oder die eigene Brieftasche gewinnt.

Aber der Idealfall ist bekanntlich selten: Gemäß „Murphys Law“ gibt’s meistens ein Unentschieden. Außerdem fiebere ich jetzt mit Mannschaften, die mir früher herzlich wurscht waren. Hoffentlich sieht mich nie jemand dabei, wie ich um den Dortmunder Siegtreffer gegen Bielefeld bete, nur weil ich darauf gewettet habe. Endgültig grotesk ist der Samstag aber erst geworden, seit ich unter die Gemeinschaftstipper gefallen bin: 50 Kickers-Offenbach-Fans, die auch sonst angemessen verrückt sind, bieten mir Exil in ihrer „Tippliga“; und zum Ausgleich lassen mich auch die Fußballfreaks des Suhrkamp Verlags (Eintracht Frankfurt!) bei sich mittippen. Bei den Offenbachern sind auch Spiele aus der Regionalliga (logisch!) sowie aus internationalen Ligen zu tippen, was den Echtzeit-Abgleich von Tipps, Resultaten und Punkten erheblich verkompliziert. Also läuft am Wochenende nicht nur das Radio, sondern auch der Videotext und www.sportingbet.com, was zur Begeisterung meiner Frau gleichzeitig das Telefon stilllegt – aber so weiß ich wenigstens gleich nach dem Abpfiff, wie Blackburn gegen Newcastle und Wattenscheid gegen Osnabrück gespielt haben. Außerdem tippen die beiden Wettgemeinschaften natürlich nach unterschiedlichen Regeln, was die absurden Spieltags-Stoßgebete verkompliziert, mit denen man passgenaue Resultate herbeifleht.

Bei Suhrkamp gibt es nämlich Extrapunkte zu gewinnen, wenn man die Tendenz richtig hat und zudem die geschossenen Tore einer der beiden Mannschaften richtig vorhersagt. Hat man also ein 0:1 getippt, verschafft einem auch ein 0:5 oder ein 0:7 einen Extrapunkt.

Man muss nur flehen, dass der Ehrentreffer ausbleibt. Am besten aber wird es, wenn der eigene Tipp gar nicht mehr klappen kann. Dann heißt es auf die Konkurrenztipper achten. 2:0 für Bayern getippt, und es steht schon 4:1? Dann muss ich mir ein 8:1 für Bayern wünschen, damit bloß niemand exakt richtig liegt.

Seither weiß ich, was SPD-Mann Egon Bahr einst mit der „Perversion menschlichen Denkens“ meinte.

OLIVER T. DOMZALSKI