Macht Plastik Kinder zu Krebskranken?

Die Industrie bestreitet die Gefahr, doch weltweit vermuten Forscher fruchtschädigende Stoffe in Plastikverpackungen

BERLIN taz ■ Der Hergang ist nicht neu: Forscher schlagen Alarm, doch die Industrie beschwichtigt. Zankapfel ist die Chemikalie Bisphenol A, welche in Kunststoffen enthalten ist, die für Zahnfüllungen, Babyflaschen und Lebensmittelverpackungen als tauglich gelten. Doch der Stoff kommt zunehmend in Verruf: Er soll wie ein künstliches Hormon und somit fruchtschädigend wirken. Was ist dran am Vorwurf?

„Der Verdacht ist fast 30 Jahre alt“, sagt der Toxikologe Professor Ibrahim Chahoud, der mit seinem Team seit vier Jahren am Berliner Benjamin Franklin Medical Center Forschungen zu Bisphenol A betreibt. Ihre jüngste Studie, in der Novemberausgabe der Fachzeitschrift Environment Health Perspectives nachzulesen, betrachtet 37 Paare und die Plazenta ihrer Neugeborenen – und kommt zu dem Schluss, dass Bisphenol A (BPA) eine Gefahr darstellen könnte.

„Wie für alle hormonähnlich wirkenden Stoffe gilt hier der so genannte low dose effect“, so Chahoud: Gerade bei geringer Dosierung, wie sie im Alltag vorkommt, befürchtet man Auswirkungen wie etwa seltene Krebsarten an den primären Geschlechtsteilen der Nachkommen. Nun essen werdende Mütter zwar selten ganze Plastikteile. Aber unter Wärmeeinwirkung wird BPA an die Nahrung abgegeben. Messinstrumentarien zur exakten Erfassung der Mengen fehlen indes. Eines steht jedoch fest: Weltweit wird BPA in großen Mengen produziert, verarbeitet und verkauft. Allein in Deutschland sind es schätzungsweise über 200.000 Tonnen jährlich.

Hersteller wie die Bayer AG warten mit eigenen Studien auf – laut denen ist ihr Tun ungefährlich. So beruft sich Bayer auf „internationale Richtlinien“, die allerdings den low dose effect noch nicht ausreichend berücksichtigen. Aber auch Nestlé sieht derzeit keinen Grund, BPA zu meiden. Dabei vertreibt die Firma Getränke en gros in den hier avisierten Plastikflaschen. Bei der Deutschen Gesellschaft für Kunststoff-Recycling war BPA auf Nachfrage nicht einmal bekannt – geschweige denn als Gefahrenquelle im Visier.

Gilbert Schönfelder von der Benjamin-Franklin-Klinik dazu: „Unser Interesse ist es nicht, gegen die Industrie zu arbeiten, sondern mit ihr. Wir wollen aufklären und auch Verbraucherschützer für die Problematik interessieren.“ Babyflaschen- und Mineralwasserhersteller rühmen sich lieber mit Werbeslogans wie dem von der „stillen Kraft des Vulkans“. Sollte eine schleichende Vergiftung durch Plastik bei den Nachfahren Krebs erregen, hätte der Spruch einen makabren Beigeschmack.

Die Kommunikation zwischen kritischen Forschern und Industriellen ist spärlich. Auf einen Auftrag von Bayer zu einer Studie müssen die Berliner wohl noch lange warten. Eventuell kommt Brüssel dem zuvor: Inoffiziell gibt es dort schon eine Diskussion um ein BPA-Verbot. Der in London ansässige europäische Industriellenverband APME (Association of Plastic Manufacturers in Europe) will davon aber noch nichts wissen. Sein Sprecher David Thomas beteuert, „die Sicherheit des Endverbrauchers“ habe Priorität und Materialien, die auf BPA basieren, könnten „nach über 40 Jahren sicherem Gebrauch“ weiterhin verwendet werden. Er beruft sich auf die EU-Kommission, auf Daten aus den USA und aufs japanische Gesundheitsministerium – auch die Bayer AG tut das, nahezu wortgleich.

Dass BPA aber nicht doch irgendwann für bestimmte Zwecke verboten wird, ist damit nicht ausgeschlossen. Zumal auch Forscher in Japan und den USA zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie das Berliner Team. Nur: Wie Chahoud betont, gibt es „tausende von Substanzen, die seit langem auf dem Markt sind und von denen kaum hundert gründlich getestet sind“.

GISELA SONNENBURG