Der Goldene Reiter

Die Zeitschrifteninitiative Irrtu(r)m stellte jetzt ihre 14. Ausgabe vor. 26 Psychatrieerfahrene schrieben die Texte

Einst war ein Irrturm eine „praktische“ Aufbewahrungsstelle für „Verrückte“ – „weit vor den Mauern unserer Stadt“. Ähnlich wie einst die „Nervenklinik“ bei Joachim Witts Hit von 1980. Als „Irrtum“ bezeichnet Gotthard Raab, pädagogischer Leiter der Bremer Zeitungsinitiave „Irrtu(r)m“, die teils noch gängige Praxis, psychisch kranke Menschen in Psychiatrien „aufzubewahren und zu entmündigen“. Aus der Symbiose dieser beiden Begrifflichkeiten entstand vor 14 Jahren der Name der Zeitung „Irrtu(r)m“ , die einmal jährlich von psychatrieerfahrenen Menschen herausgebracht wird.

Die jetzt vorgestellte 14. Ausgabe der Zeitschrift hat sich wieder einmal einem Schwerpunktthema verschrieben: Kommunikation. „Wird das, was geredet und gehört wird, auch wirklich verstanden?“, fragen die AutorInnen. Und Raab bezeichnet das Thema der Ausgabe „Reden und Hören = Verstehen?“ auch als eine kleine Werbung für mehr Verständnis unter Menschen allgemein.

Klar und verständlich sind nicht nur die Texte, sondern auch Intention und Befindlichkeiten der AutorInnen. Denn die Essays, Gedichte und vor allem die persönlichen Lebensgeschichten der 26 AutorInnen sind entwaffnend ehrlich.

Genau das mag Georg Hubrich. „Ich kann hier immer sagen, was ich sagen will“, leitet der Wahl-Engländer und Ex-Bremer seine Lesung über moderne Kommunikation ein. Obwohl er längst in England lebt, ist er dem Irrturm treu geblieben. Rauchzeichen, Postkutschen, Telefon, Internet – die Entwicklung der Kommunikation ist rasant. Seine These: „Wir verstummen angesichts der Fülle kommunikativer Medien.“

Die AutorInnen erzählen über persönliche Psychiatrie- und Therapieerfahrungen, von den tiefen Einschnitten in ihrem Leben. So wie dem Verlust des eigenen Kindes in dem Gedicht „Mein Sohn“ von Hartmut Böwe. „Diese Authentizität machen die Beiträge besonders wertvoll,“ sagt Gotthard Raab.

Der andere rote Faden der Ausgabe ist eine knallharte Kritik am Psychatriesystem. So erzählt Gilda Jenzen, wie sie in der Einrichtung mit Verständnislosigkeit und Medikamenten ihrer einzigen noch verbliebenen Waffe beraubt worden sei: der Sprache. „In der Psychatrie wirst du abgefüttert und erhälst einen Schlafplatz. Nur Wärme und Verständnis, das Wichtigste, fehlen.“ Zugespitzt wird die Kritik in dem Text „500 Tote durch Psychopharmaka in der BRD pro Jahr“ von Roland Kaesler.

96 Beiträge, in denen sich auch Nicht-Psychiatrieerfahrene wiederfinden können, sind in der aktuellen Ausgabe zusammengefasst. Die wöchentlichen Redaktionssitzungen sind offen für alle. Ole Rosenbohm

Der Irrtu(r)m ist für drei Euro in den Beratungsstellen des sozialpsychiatrischen Dienstes, im Buchladen Ostertor und in der Redaktion in der Vegesacker Straße 174 erhältlich. Unter der Irrtu(r)m-Telefonnummer 3964808 ist die Zeitschrift auch zu bestellen.