„Es gab den Konsens der Feigheit“

Die Regierung ist schuld, dass die Ölkatastrophe vor Spanien ein nie da gewesenes Ausmaß angenommen hat, sagt der Sprecher der spanischen Grünen. Die Opposition sei allerdings nicht besser. Dafür lehne sich endlich die Bevölkerung auf

Interview REINER WANDLER

taz: Warum reagierte die spanische Regierung so spät und so schlecht auf das Unglück des Tankers „Prestige“?

José María Mendiluce: Die Regierung kümmert sich nicht um die Sicherheit der Bürger. Das ist hier Tradition. Es gibt keine Katastrophenpläne und keine Infrastruktur für Notfälle. Spanien hat die längste und fischreichste Küste Europas, hier leben mehr Menschen vom Meer als irgendwo sonst in der EU. Dennoch fehlen die Mittel, um Umweltkatastrophen zu verhindern. Die konservative Regierung von José María Aznar war bisher daran gewöhnt, dass ihnen das Regieren leicht von der Hand geht. Probleme waren ihr fremd. In der Krise war sie dann nicht in der Lage, die einzig richtige Entscheidung zu treffen. Sie traute sich schlichtweg nicht, die „Prestige“ in den Ölhafen von La Coruña zu schleppen, um dort die Ladung abzupumpen. Der Tanker sei zu große für den Hafen, logen sie.

Und die parlamentarische Opposition schwieg.

Außer den Umweltschutzverbänden kritisierte niemand die Entscheidung, den Tanker ohne Ziel hinaus aufs offene Meer zu ziehen. Die sozialistische Oppositionspartei PSOE hatte nichts dagegen einzuwenden, wohl wissend, dass sie sich auch nicht anders verhalten hätten. Der sozialistsche Bürgermeister von La Coruña war einer von denen, der die Lüge verbreiten ließ, die Prestige passe nicht in den Hafen. Und die dritte Kraft im Parlament, die Vereinigte Linke, äußerte sich gar nicht. Es gab so etwas wie einen Konsens der Feigheit. Alle Parteien zeichnen sich durch die gleiche Unfähigkeit aus, Entscheidungen zu treffen. Es ist mehr als absurd, wenn die Opposition jetzt auftritt und der Regierung vorwirft, es wäre besser gewesen, die „Prestige“ in einen Hafen zu bringen.

Wäre der Tanker in den Hafen geschleppt worden, hätte das auch schief gehen können?

Klar. Alle waren sich einig, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Doch bei einer Katastrophe gilt immer die gleiche Regel. Du musst vom Schlimmsten ausgehen. Kommt es besser, hast du einfach viel Glück gehabt. Vor allem musst du aber die Öffentlichkeit auf alles vorbereiten. Tritt es nicht ein, stehst du immer besser da, als im umgekehrten Fall. Auch im Ausland wußte niemand, wie schlimm die Lage ist. Darum sind dann auch die Hilfsprogramme der EU-Länder viel zu spät angelaufen.

Hat die Krise nicht auch mit der Wirtschafts- und Haushaltspolitik Aznars zu tun?

Aznars Regierung hat alles privatisiert, was nur zu privatisieren war. Um einen ausgeglichen Haushalt zu erreichen, wurden viele öffentliche Strukturen abgebaut. Was übrig blieb, wurde schlecht verwaltet, um zu beweisen, dass die Privatwirtschaft effektiver ist. Das hat dazu geführt, dass wir in der Galicienkrise vollständig von privaten Firmen abhängig sind. Die Behörden verfügen heute über keinen einzigen Schlepper, um ein verunglücktes Schiff zu bergen. Im Falle der Prestige verhandelte die Betreiberfirma der Schlepper zwölf Stunden lang über den Preis, bevor sie dem Tanker zu Hilfe kamen.

Ob beim Unglück des Tankers „Aegean Sea“ vor zehn Jahren oder der Verseuchung des Nationalparks Doñana nach dem Bruch des Dammes in den Blei- und Zinkmine von Aznalcollar – die Regierungen reden klein und kommen damit durch. Markieren die jetzigen Proteste und tausend Freiwillige eine Wende?

Das wäre schön. Ich glaube schon, dass Katastrophen wie die von Aznalcollar und der „Prestige“ bei vielen Menschen einen Prozess des Umdenkens ausgelöst haben. Viele Menschen identifizieren sich mit dem Ruf der Galicier „Nie wieder!“ Die Freiwilligen bei der Reinigung unserer Küsten stehen für ein neues Spanien mit einer neuen Ethik und einer neuen politischen Moral.