■ Die UNO erlebt wieder das Diktat der Großmächte
: Alles steht und fällt mit den USA

Vor vier Jahren bedrohten und schmierten die USA den UNO-Sicherheitsrat, um so jenen „Konsens“ zu erzielen, der dann die Operation „Desert Storm“ empfahl. Dabei kam der UNO keinerlei Rolle bei der Entscheidungsfindung oder dem Kommando im Golfkrieg zu – außer jener unseligen, das Pentagon international aufgewertet zu haben. Jetzt, vier Jahre später, wurde aus diesem Coup, einst gedacht, um die Legitimität der UNO zu unterminieren, ein Präzedenzfall.

Auch wenn man diesen Trend in den letzten vier Jahren bemerkte, waren viele UNO-Beobachter doch überrascht, mit welcher Rasanz sich die Dinge in den letzten vier Wochen entwickelten. Die Entscheidungen fielen sehr schnell. Immer dann, wenn die mächtigen Länder unter den permanenten Fünf des Sicherheitsrats nachfragten, erhielten sie die Erlaubnis, auf der Basis „humanitärer“ Überlegungen in andere Länder einzumarschieren. So autorisierte der Sicherheitsrat Frankreich (der Hauptunterstützer der Regierung und ihrer Killermilizen), alleine in Ruanda zu intervenieren. Auch den Russen gestattete man, ihre die Separatisten unterstützenden Soldaten als Peacekeeper in Georgien einzusetzen. Und schließlich der jüngste Fall: das gerade erfolgte grüne Licht für Washington, in Haiti zu intervenieren.

Im Falle Bosniens hat die UNO ja schon ihre frühere Initiative an die sogenannte „Kontaktgruppe“ abgegeben, die aus den USA, England, Frankreich, Rußland und Deutschland besteht und von denen jeder eigene Interessen verteidigt. In einem Brief, datiert vom 24. Juli, der viele Diplomaten des Sicherheitsrats überraschte und verärgerte, sprach Generalsekretär Butros Butros Ghali sich nachgerade für das Ende der Verantwortung der UNO im Falle Bosniens aus. Und dies wegen des „ungewöhnlichen politischen Gewichtes ... und der menschlichen und materiellen Ressourcen, mit denen die UNO nicht konkurrieren kann“. Besonders hob er aber hervor, „daß die USA, deren Teilnahme an der Operation zentral ist, um ihr die notwendige politische Autorität und den militärischen Muskel zu geben, klargemacht haben, daß sie auf keinen Fall bereit sind, ihre Truppen unter ein UNO-Kommando“ zu stellen. Die einzige „brauchbare Option“ sei statt dessen, so Ghali weiter, daß die Kontaktgruppe die militärische Verantwortung übernehme, um eine Einigung im Falle Bosniens notfalls auch zu erzwingen.

Butros Ghali tat recht daran, die absolute Verfahrenheit der bosnischen Frage wieder zum Thema des Sicherheitsrats zu machen, auch indem er auf die Herausforderungen für die Unprofor-Kräfte hinwies. Dennoch markierte der Brief Ghalis keine Trendwende, sondern machte eher sichtbar, wie weit der Trend bereits im Sicherheitsrat fortgeschritten war: Dort sieht sich die UNO-Unabhängigkeit und Autorität einer ständigen Erosion durch die Alleingänge der Großmächte ausgesetzt.

Der Brief Ghalis schuf sogar zwei neue Probleme. Einmal, indem er, in der Geste der resignativen Kapitulation, die Mühen derjenigen kleineren und schwächeren Länder des Südens im Sicherheitsrat unterminierte, die den von den USA angeführten Nordmächten widerstehen wollen. Für Colin Keating, Neuseelands UNO-Botschafter und derzeitiges Sicherheitsratsmitglied, ist unbestritten, daß der Brief Ghalis eine bereits existierende Realität beschreibt. „Aber der Generalsekretär verstärkt diesen Trend“, ist seine Kritik.

Zweitens ist Ghalis Brief Wasser auf die Mühlen aller Anti- UNO- und Anti-Multilateralismus-Kräfte, besonders in Washington. Sie suchen doch nur ständig nach Beweisen der Unfähigkeit der UNO, „die Sache richtig anzupacken“. Obwohl Ghali daran erinnert, daß die Zahlungsausstände für friedenerhaltende Maßnahmen 30 Prozent höher sind als im letzten September (die Verschuldung der UNO betrug am 27. Juli 2,1 Milliarden Dollar), dient Ghalis Brief dem Beweis der allerdings falschen Annahme, daß die UNO scheitere (oder obsiege) nur durch ihre eigenen unabhängigen Aktionen. Damit enthebt man die USA und andere Großmächte der Verantwortung.

De facto sind es mehr als alles andere die USA, die die Fähigkeit haben, über die Glaubwürdigkeit – oder auch nicht – der UNO zu bestimmen. Als die Clinton-Regierung an die Macht kam, schmiß sie nur so um sich mit Versprechungen eines „aggressiven Multilateralismus“ als Fundament einer neuen Außenpolitik. Dies Bekenntnis versickerte aber recht schnell in den blutigen Straßen Mogadischus, es verhallte in den umlagerten Städten Bosniens und entschwand in den windigen Meerespassagen Haitis.

Speziell das Somalia-Spektakel verbitterte die US-Regierung, was Multilateralismus ganz allgemein anbelangte und UNO-geführte Friedensmissionen im besonderen. Als man allerdings die Unosom- Operation von einem sozial-ökonomischen Wiederaufbauversuch in eine Militärkampagne zur Entwaffnung und Verhaftung der Warlords verwandelte, da scheiterte dies. Es war nach dem Rückzug der Amerikaner aus Somalia, als Clinton im Mai 1994 seinen Bericht über eine „Reform der multilateralen Friedensoperationen“ veröffentlichte. Er ist Beleg, daß die USA zu ihrer Strategie zurückkehrten, die UNO in erster Linie zur Maximierung ihrer ureigensten politischen Ziele zu benutzen. Von jetzt an wäre die UNO ein Werkzeug, um sicherzustellen, „daß die USA davon profitieren, nur einen Teil der Last“ des Peacekeeping zu tragen. Und, vielleicht noch wichtiger: Die UNO spricht den USA die Glaubwürdigkeit zu, „sich auf die Stimme der Gemeinschaft berufen zu können, wenn es um eine Sache geht, die wir unterstützen“.

In der UNO versteht man unter der „realistischen“ Position der Clinton-Regierung mittlerweile, daß die Ziele der UNO-Botschafterin Madeleine Albright sich in nichts von ihrem Vorgänger, Präsident Bushs brillantem Diener Thomas Pickering, unterscheiden. Es war Pickering, der in der Golfkrise den Sicherheitsrat auf Linie brachte, so wie andere weichen Lehm kneten.

Die Weichen sind also gestellt. Wieder einmal dient der Sicherheitsrat den mächtigen Ländern dazu, den Invasionen kleinerer, schwächerer Länder des Südens eine internationale Legitimität zu verschaffen. Oder, wie im Falle Ruandas, dazu, die Hilfe zu verweigern, bis es zu spät ist.

Bis nicht die demokratischeren Teile der UNO, besonders die Generalversammlung, revitalisiert, rehabilitiert und mit mehr Macht ausgestattet sind, wird der Sicherheitsrat – und besonders die mit dem Veto drohenden permanenten Fünf samt ihrer nördlichen Alliierten – so weitermachen wie bisher: Er wird die UNO benutzen, um rücksichtslos über den Rest der Welt hinwegzugehen. Phyllis Bennis

UNO-Korrespondentin für „Pacifica Radio“ in New York; sie schreibt außerdem für The Nation und den Christian Science Monitor; Autorin eines Buches über die Intifada und „Altered States – a Reader in the New World Order“ (1993).

Aus dem Amerikanischen: AS