Arbeitsbedigungen im Biohandel: Kein Geld für Biomilch & Co

Die "Geiz ist geil"-Mentalität macht auch den Beschäftigten im Biohandel zu schaffen: Sie arbeiten dort aus Überzeugung, können sich die Waren selbst aber nicht leisten.

Korrekte Waren, armer Verkäufer - die Realität in vielen Biomärkten. Bild: dpa

Wenn die Berliner Biofachverkäuferin Andrea Nabel* nach Feierabend ihren Laden verlässt, geht sie häufig quer über die Straße - und holt sich beim Billigdiscounter Nahrungsmittel. "Ich kann es mir nicht leisten, nur im Bioladen einzukaufen", sagt die 45-Jährige. Manchmal überlegt sie sich, wie es wäre, würde sie beim Discounter Kunden ihres kleinen Ladens treffen. "Das hätte bestimmt ein gewisse Komik", sagt die Quereinsteigerin, die zuvor in den Medien gearbeitet hat. Komisch finden viele Beschäftigte ihre Arbeitsbedingungen im boomenden Bioeinzelhandel allerdings nicht - sie arbeiten hart, für relativ wenig Geld. Ihnen ergeht es zwar insgesamt besser als Mitarbeitern der verschrienen Discounter des Lebensmittelhandels. Deutlich besser als im Branchendurchschnitt sind ihre Arbeitsbedingungen aber nicht.

Noch bis Sonntag präsentieren sich auf der BioFach und der angeschlossenen Naturkosmetik-Messe Vivaness mehr als 2.700 Aussteller aus 78 Ländern. Die Veranstalter in Nürnberg begrüßen 45.000 Fachbesucher aus über 100 Nationen.

Diskutiert werden soll, wie bei steigender Nachfrage nach Bioprodukten die Glaubwürdigkeit der Branche gestärkt werden kann. Während die Wachstumsraten von bis zu 20 Prozent meist Biosupermärkten zugutekommen, können kleine Geschäfte kaum mithalten. Auch die Arbeitsbedingungen in der Branche werden diskutiert.

Das sieht zumindest Ulrich Dalibor so. "Wo Ethik draufsteht, ist nicht unbedingt Ethik drin", schimpft der Einzelhandelsexperte der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Für die Beschäftigten unterscheide sich der Bioeinzelhandel kaum vom Rest der Branche. "Wir leiden alle unter dem 'Geiz ist geil'-Wahn." Dieser Irrsinn im Handel wirke sich auch auf den Biobereich aus, auch hier müssten die Unternehmen auf die Kosten schauen.

Sandra Kaufmann* kann ein Lied davon singen. Auch sie arbeitet in einem kleinen Berliner Bioladen, bei einer 25-Stunden-Woche verdient sie 975 Euro brutto. "Was ich guten Gewissens verkaufe, kann ich mir selbst nicht leisten", ärgert sie sich. Kaufmann wundert sich auch über den Fair-Trade-Gedanken, der Produktion und Verkauf trennt. "Hauptsache, der Kaffeepflücker in Lateinamerika kriegt einen fairen Preis."

Die Löhne im Biohandel hat der Münchener Unternehmensberater Karl Thiessen in einer Studie untersucht. Demnach verdienten Verkäufer und Verkäuferinnen in Vollzeit im Jahr 2005 zwischen 1.150 und 2.000 Euro brutto im Monat, die Stundenlöhne lagen zwischen 7,50 Euro und 14,50 Euro, im Osten Deutschlands teilweise nur zwischen 4 und 6 Euro. "Daran hat sich seitdem nichts Wesentliches geändert", so Thiessen. Grund dafür sei das starke Wachstum der Branche. Gewinne müssten sofort reinvestiert werden, stünden deshalb nicht unbedingt für eine bessere Bezahlung zur Verfügung. Zudem würden sich die kleinen Biofachgeschäfte in der Bezahlung kaum von den großen Ketten abheben.

Trotz der insgesamt unterdurchschnittlichen Bezahlung sind viele Bioverkäuferinnen nicht unzufrieden mit ihrer Arbeit. "Bei uns herrscht ein familiäres Arbeitsklima", sagt Verkäuferin Nabel, die in Vollzeit 1.500 Euro verdient. Für den Einzelhandel seien das erstaunlich gute Bedingungen. Auch Sandra Kaufmann fühlt sich nicht unwohl. Allerdings gebe es auch Unterschiede innerhalb der Branche, "Pauschalurteile kann man nicht fällen". Während ihrer Weiterbildung zur Naturkostfachberaterin habe sie ein Praktikum in einem Biosupermarkt absolviert. "Da herrschte das übliche Gescheuche, derselbe Stress wie im Supermarkt." Zudem seien dort Aushilfen beschäftigt gewesen, die morgens nur für drei Stunden gekommen seien, um die Regale aufzufüllen.

Hanna Schumann* arbeitet in einem Berliner Biomarkt, leitet hier seit kurzem die Backwarenverkaufsabteilung. "Mit dem Arbeitsklima bin ich superzufrieden", sagt die 36-Jährige. Mit dem Gehalt - weniger als 1.500 Euro - komme sie weniger gut klar. "Aber es ist schon etwas Besonderes, Bioprodukte zu verkaufen." Auch die Kunden seien gelassener, wenn es etwas länger dauere. "Wenn ich manchmal zu Lidl gehe, denke ich, oh Gott, die armen Verkäuferinnen!"

Auch bei der Münchener Biokette Basic legt man Wert darauf, sich von den schlechten Sitten des Einzelhandels zu unterscheiden. "Unsere Arbeitsbedingungen sind besser als im Rest der Branche", sagt Peter Henlein, Betriebsrat bei Basic. Man habe z. B. mehr Personal. "Bei uns kann man auch mal fünf Minuten mit einem Kunden reden, ohne dass der Chef böse schaut." Auch gebe es weniger Aushilfen als bei den konventionellen Händlern.

Als Betriebsrat ist Henlein in der Biobranche dennoch etwas ganz Besonderes. Die meisten Biounternehmen haben eine solche Beschäftigtenvertretung schlicht nicht. "Wir sind Vorreiter in Deutschland", sagt Henlein nicht ohne Stolz. Fast alle Basic-Filialen in Deutschland hätten mittlerweile einen Betriebsrat, im November sei auch ein Gesamtbetriebsrat gegründet worden. Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung sei gut. "Da werden uns keine Steine in den Weg gelegt."

Das würde auch Hubert Bopp nicht tun. Er ist Geschäftsführer der Berliner BioCompany. Mit einem Betriebsrat hätte er kein Problem, sagt er. Allerdings betreibe er die Gründung eines solchen Gremiums auch nicht aktiv. Ausgelernte Mitarbeiter bekommen nach Bopps Angaben ein Einstiegsgehalt von 1.350 bis 1.450 Euro - das entspricht in etwa dem Berliner Einzelhandelstarif. Zwar arbeite auch die BioCompany in allen Märkten mit geringfügig beschäftigten Aushilfen, die Quote sei aber niedriger als bei Lidl oder Aldi.

Wert legt Bopp auf die Ausbildung, Ziel sei es, die Ausbildungsquote von 15 auf 20 Prozent zu erhöhen. "Wir wollen, dass unsere Azubis alles von Grund auf lernen." Daher würden während der Ausbildung regelmäßig Bioproduzenten besucht.

Ungewöhnliche Wege bei der Ausbildung geht die Biokette Alnatura. Dort absolvieren die Lehrlinge eine Woche lang einen Theaterlehrgang und stehen am Ende mit einem eigenen Stück auf der Bühne. "Dadurch entwickeln die Lehrlinge viel Selbstbewusstsein", sagt Alnatura-Sprecherin Stefanie Neumann. Die Bezahlung in dem Unternehmen ohne Betriebsrat orientiere sich am höchsten Einzelhandelstarif Deutschlands. "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt."

Ver.di-Mann Dalibor allerdings wünscht sich mehr Betriebsräte in der Branche. "Je kleiner die Einheit, umso schwieriger wird die Interessenvertretung." In der Branche habe man noch viel Arbeit vor sich.

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