Nazis in Dortmund: Tief im Westen

Neonazi-Attacken werden oft als ausschließliches Ostproblem wahrgenommen. Doch militante Neonazis und No-go-Areas gibt es auch in Dortmund.

Von wegen Skinheads! Autonome Nationalisten (hier in Halbe/Brandenburg) sind äußerlich nur an Kleinigkeiten wie Ansteckern von Linksautonomen zu unterscheiden. Bild: Tim Lehmann – Lizenz: CC-BY-SA

Das Schönste? Das sei die Unterstützung durch Freunde und die Familie, sagt Stefan Pötter. Das Schlimmste? Das sei die Ignoranz der Polizei, der Politiker, der Nachbarn - ja eigentlich das Wegducken der Gesellschaft.

Am unbegreiflichsten aber sei, "dass die es geschafft haben, uns aus der Stadt zu vertreiben", bilanziert der Dortmunder. Dabei schwankt seine Stimme zwischen Nicht-wahrhaben-Wollen und Verzweiflung. "Die" – das sind die Rechtsextremisten, die Familie Pötter schikanieren.

Stefan Pötter bittet um Anonymität, er will sich und seine Familie schützen. Zwar haben die Lokalmedien über seine Geschichte berichtet, "aber die Öffentlichkeit hat uns bisher nicht geholfen". Kurz wütete ein Flächenbrand der Empörung, Politiker und Kirchenvertreter setzten ihre Betroffenheitsmiene auf. Der Skandal kam ins Rollen und verpuffte rasch.

Und Familie Pötter wird immer noch von Nazis bedroht, die ihre Aktivitäten durch ihr Engagement gestört sehen. Denn immer wieder, wenn Stefan Pötter antisemitische Schmierereien, Plakate und Aufkleber von Rechtsextremen sieht, entfernt er diese. Der Mediziner hat früher schon an Friedensdemonstrationen teilgenommen, war 1981 im Bonner Hofgarten dabei, als 300.000 Menschen für die atomare Abrüstung demonstrierten. Er ist politisch nicht organisiert, der 53-Jährige vertraute der Demokratie. Bis zum letzten Jahr.

Als er im April 2009 mal wieder einen Naziaufkleber abknibbelt, merkt er, wie er von drei Rechten beobachtet wird. Er ruft die Polizei, aber die Männer sind schon verschwunden. Die Lage spitzt sich zu, im August werfen Unbekannte nachts einen Stein durch sein Küchenfenster, und im Oktober wird das Auto demoliert, mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Dann hängen in der Stadt Plakate mit einem Foto von Stefan Pötter und seiner Tochter, auf denen vor den "Linksextremisten" gewarnt wird – wie bei einer Kopfgeldjagd. Die Anschrift der Familie wird auf einer Naziwebsite veröffentlicht, die Schule der Tochter genannt.

In die Mitte der Gesellschaft

Es geht etwas vor in Dortmund, und es ist durchaus beunruhigend. Hier hat sich der rechtsradikale Rand in die Mitte der Gesellschaft gemogelt. Dabei werden Probleme mit Rechten gerne als Ostproblem wahrgenommen.

Die Zahl der registrierten rechtsextremistischen Delikte hat sich in Dortmund in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. 2005 wurden 184 Straftaten mit einem rechten Hintergrund gemeldet, 2008 waren es schon 402. Seit den Kommunalwahlen 2009 sitzt je ein Vertreter der rechtsextremen DVU und der NPD im Rat. Mitten im Ruhrgebiet.

Mitten im Westen, in einer Stadt mit 600.000 Einwohnern hat sich zwischen grauen Plattenbauten und gepflegten Eigenheimen ein Wohlfühlraum rechter Gesinnungsgenossen entwickelt.

"Dortmund ist eine Stadt, in der die Auseinandersetzung zwischen rechtsextremen und demokratischen Kräften öffentlich und offensiv geführt wird", heißt es in der Studie zum Rechtsextremismus in Dortmund, die von der Universität Bielefeld 2009 veröffentlicht wurde. In der Untersuchung wird deutlich, dass der Rechtsextremismus in der Stadt in Bewegung ist: "Die Stadt mit ihrer Tradition als Arbeiterhochburg und ,Herzkammer' steht stellvertretend für die Zukunft des Ruhrgebiets. Was hier passiert, strahlt auf die Nachbarstädte aus.

Entsprechend wichtig ist es den örtlichen rechtsextremen Strukturen, hier an Einfluss und Macht zu gewinnen." Dabei seien die "Autonomen Nationalisten" momentan die handlungsfähigste rechte Gruppe. Neben Berlin sei Dortmund eine Hochburg dieser Gruppierung, so die Studie.

Lange bestimmte die sogenannte Borussenfront die Neonazi-Szene in Dortmund. Die Autonomen Nationalisten (AN) sind eine vergleichsweise junge rechtsextreme Bewegung in der Region. Bei Demonstrationen treten sie mit Palästinensertuch, Sonnenbrille und Che-Guevara-T-Shirts auf.

Die äußerliche Anpassung an die linksautonome Szene geht einher mit einer Anpassung der Aktionsformen. Bei Aufmärschen ahmen sie den "schwarzen Block" der linken Autonomen nach. Sie übernehmen Motive aus der linken Szene und fügen lediglich rechtsextreme Parolen hinzu. Dadurch üben sie auf Jugendliche eine stärkere Anziehungskraft aus als die konventionelle rechte Szene, hieß es dazu 2009 aus dem Bundesinnenministerium.

Seit drei Jahren verkauft ein Wortführer der Dortmunder AN im Internet rechtsextremes Propagandamaterial. Bei seiner Existenzgründung wurde er von der städtischen Arge gefördert. Die mehrheitlich jungen AN versuchen die Dortmunder Jugend für sich zu interessieren, indem sie in der ganzen Stadt Klebezettel mit nationalistischen Sprüchen oder etwa der Forderung nach "Todesstrafe für Kinderschänder" verteilen.

Sie suchen sich gezielt einzelne Familien oder Einrichtungen aus und attackieren diese. Damit will man ganze Stadtteile einschüchtern und eine sogenannte nationale Zone schaffen, um sich frei bewegen zu können. Sie erobern in ihrer Gegend Macht über den Alltag. Bestimmen, wer sich frei bewegen kann und wer nicht.

Ursula und Wolfgang Richter wundert diese Entwicklung nicht. Bereits vor 20 Jahren – damals wurden ihre Fensterscheiben eingeschlagen – wurden sie von Rechten schikaniert. Seitdem wird das Haus des Ehepaars, das sich im Dortmunder Bündnis gegen Rechts engagiert, in größeren Abständen mit Steinen oder Farbbeuteln attackiert, oder sie bekommen Drohbriefe. An ihre Hauswand waren 2007 und 2008 zu Weihnachten Graffiti geschmiert: "Ein frohes Fest! Die Anti-Antifa". Die Anti-Antifa ist ein Bündnis von Rechtsextremisten, das Daten von politischen Gegnern sammelt und veröffentlicht.

Und was machen die Politiker? Der ehemalige Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD), der letzte Woche wegen seiner umstrittenen Wahl die Amtsgeschäfte niederlegen musste, leugnet das Problem zwar nicht, sorgt sich aber eher um das Image der Stadt als um die Opfer rechtsextremer Bewegungen.

Er erzählt lieber von seinem Engagement gegen rechts, betont immer wieder, wie viel Geld die Stadt in Initiativen gegen rechts investiere. Für Projekte gegen Nazis hat die Stadt im letzten Jahr 100.000 Euro zur Verfügung gestellt – 0,03 Prozent des städtischen Haushaltsvolumens. Zusätzlich gibt es seit 2007 die städtische Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, in der gegen braunes Gedankengut gearbeitet wird.

"Alles nur Symbolpolitik", kritisiert Dagmar Piotrowski, eine Mutter, deren Sohn Raphael mehrfach von Rechten angegriffen wurde; seine Daten wurden ebenfalls online veröffentlicht. Genau wie Stefan Pötter knibbelt auch der 18-Jährige Naziaufkleber ab. Ein Polizist warf dem Schüler vor, er sei doch selber schuld, wenn er sich engagiere und deswegen attackiert werde, sagt Raphael.

Auch Stefan Pötter fühlt sich von den Behörden alleingelassen. "Wozu ist eigentlich die Polizei da?", fragt er und bemüht sich erst gar nicht zu vermitteln. "Wenn ich eine Anzeige aufgebe, läuft es doch nur unter Sachbeschädigung oder Belästigung", klagt er an.

Wolfgang Wieland von der Polizei in Dortmund sagt: "Wir ermittelten gegen unbekannt." Natürlich könne wegen des politischen Engagements der Familie ein rechter Hintergrund vermutet werden, räumt er ein, die drei Anzeigen der Familie seien aber mittlerweile an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden.

Gegen seinen Vorgesetzten, Polizeipräsident Hans Schulze, initiierte die Linke-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke mit dem Bündnis gegen Rechts 2008 eine Unterschriftenaktion, weil dieser "durch sein Fehlverhalten dazu beigetragen hat, dass sich in Dortmund eine stetig wachsende und extrem gewaltbereite Neonazi-Szene etablieren konnte". Die Aktion wurde nicht weiterverfolgt. "Die Einstellung dieser Angelegenheit zeigt doch, dass die Kritik an Hans Schulze nicht von der Mehrheit erhoben wird", entgegnet Ingolf Möhring, Schulzes Stellvertreter, auf den Vorwurf, die Dortmunder Polizei sei auf dem rechten Auge blind.

Das "Andersdenkende" – also Linke – von den AN verfolgt werden, spürt Hasan Sahin regelmäßig. Der gebürtige Türke betreibt das Literaturcafé Taranta Babu seit 30 Jahren. Allein seit Ende 2007 hat es sieben Anschläge auf das Geschäft gegeben - ob diese von Rechtsextremisten verübt wurden, ist zwar unklar, aber mehrfach wurden Nazisymbole hinterlassen.

Hasan Sahin geht noch nicht mal jedes Mal zur Polizei, wenn er Hakenkreuze an der Hauswand findet. Sahin hat die Farbe griffbereit im Keller stehen. Und wie oft er Jugendliche mit Hitlergruß an seiner Bücherei vorbeiziehen sieht, das zählt er schon gar nicht mehr. Von den vielen Anwohnern will niemand etwas gemerkt haben, das macht Hasan Sahin Sorge. "Die Stadt ist eine Hochburg der Rechten. Aber der Polizeipräsident und der Bürgermeister wollen das nicht wahrhaben."

Wie soll es weitergehen?

Hasan Sahin ist verzweifelt, er denkt über neue Sicherheitsmaßnahmen für sein Geschäft nach.

Das Ehepaar Richter wird sich weiterhin gegen rechts engagieren.

Auch Raphael Piotrowski denkt nicht ans Aufgeben. "Sonst haben die Nazis erreicht, was sie wollen."

Stefan Pötter ist vorsichtiger geworden. Er sieht sich ein paarmal um, wenn er am Bahnhof ist. Aus dem Haus, in dem sie 15 Jahre lebten, ist die Familie ausgezogen, sie planen "Vorkehrungen", die er nicht konkretisieren will. Der Schwebezustand nimmt ihn nervlich mit.

Ob er nach all dem Ärger noch mal so handeln würde? "Es ist unsere Aufgabe als Deutsche, wir haben eine Vergangenheit, die sich nie wiederholen darf", sagt er und klingt entschlossen. Stefan Pötter sagt aber auch: "Manchmal habe ich schon Zweifel. Im Magen bleibt ein Unbehagen."

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