Kardinal Karl Lehmann tritt zurück: Ihm folgt ein langer Winter

Aus "gesundheitlichen Gründen" gibt Kardinal Lehmann seinen Vorsitz der katholischen Bischofskonferenz auf. Leider: Mit ihm geht ein Mann des Ausgleichs.

Schluss ist. Bild: reuters

Witzchen darüber gab es schon lange, solche der gutmütigen, fast besorgten Art: Wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann, sich mal wieder in das gottlose Berlin wagte, um ein wichtiges Wort der katholischen Kirche Deutschlands zu aktuellen politisch-sozialen Fragen vorzustellen, konnte man mit einiger Sicherheit damit rechnen, dass er mindestens einmal während der Pressekonferenz kurz wegnicken würde. Wie in Zeitlupe schlossen sich dann die Augenlider in dem breiten Charaktergesicht - und was zunächst aussah wie das konzentrierte Zuhören auf das mehr oder weniger Kluge der anderen Oberhirten, offenbarte sich schnell als Kurzschlaf von ein paar Minütchen. Man sah es dem 71-Jährigen gern nach. Denn klar war: Enormer Arbeitseifer stand hinter dem Nickerchen. Lehmann las und arbeitete häufig die halbe Nacht. Irgendwann forderte sein Körper, sein Bruder Esel, wie es Franz von Assisi gesagt hätte, seinen Tribut.

"Er ist ein herausragender und zuverlässiger Repräsentant der Kirche und ihrer Sendung." (Heinrich Mussinghoff, stellvertretender Vorsitzender der Bischofskonferenz)

"Er kannte die Sorgen und Anliegen der katholischen Laien in Deutschland und war ihr verlässlicher Freund. Sein Wirken hat Maßstäbe gesetzt, die in unserer Erinnerung nicht verloren gehen werden." (Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken)

"Einerseits bedaure ich diesen Rücktritt natürlich außerordentlich, aber man muss auch mit großer Dankbarkeit zurückschauen. Kardinal Lehmann verdient großen Respekt, dass er diese Entscheidung aufgrund seiner Krankheit getroffen hat." (Rita Waschbüsch, Bundesvorsitzende von donum vitae)

"Wir freuen uns, dass er uns in seiner Position als Bischof von Mainz weiterhin als engagierter Katholik, dessen Stimme nicht nur im Dialog der Religionen unverzichtbar ist, erhalten bleibt." (Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden)

"Er genießt höchste Anerkennung, weil es ihm als brillantem Theologen oft gelungen ist, mit Menschlichkeit und Humor unterschiedliche Auffassungen zu versöhnen." (Kurt Beck, Bundesvorsitzender der SPD)

So ist es auch jetzt, da Lehmann überraschend seinen Rücktritt für den 18. Februar, kurz nach der Frühjahrsversammlung seiner Bischofskollegen in Würzburg, angekündigt hat. Nach fast 21 Jahren, in denen sich der unfassbar belesene Intellektuelle für seine Kirche regelrecht abgeschuftet hat, wird er die Leitung der 27 (Erz-)Bischöfe und rund 26 Millionen Mitglieder der katholischen Kirche der Bundesrepublik in andere Hände geben. Niemand leitete die Bischofskonferenz länger. Und der offiziellen Begründung ist in diesem Fall auch zu glauben: Sein Körper wollte nicht mehr, wie sein Geist es will. Mit den Herzrhythmusstörungen, die ihn am Jahresende zuerst in die Klinik, dann in eine kurze Kur bis Anfang Januar zwangen, sah Lehmann vernünftigerweise "eine eindeutige Zäsur erreicht", wie er in seinem Rücktrittsbrief an die Bischöfe erklärte: "Ich hatte eine lebensbedrohliche Krankheit, die mir in Zukunft nicht mehr diese oft rücksichtslose Ausschöpfung meiner Kräfte erlaubt. Erhebliche Risikofaktoren warnten schon längere Zeit, die ich aber eher überging." Das ist typisch für das Arbeitstier Lehmann: Wenn nicht zu 100 Prozent, dann gar nicht.

So radikal war Lehmann jedoch nur im Ausbeuten der eigenen Kräfte - kirchenpolitisch stand er den Radikalen, und das heißt in Deutschland den Reaktionären unter den Bischofskollegen, fern. Der Sohn eines Dorfschullehrers und einer Hausfrau aus Sigmaringen war von Anfang an ein Mann des Ausgleichs, der liberalen Mitte. Bezeichnend ist, dass er schon als Mittzwanziger, kurz nach der Promotion in Philosophie und der Priesterweihe in Rom als Zögling des "Germanicums", der vatikanischen Kaderschmiede für den deutschsprachigen Nachwuchs, hintergründig, aber deutlich die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) mitprägen konnte. Es war das ganz große Spiel, gleich zu Beginn: Der blutjunge Lehmann war der engste Mitarbeiter des Konzilberaters Karl Rahner.

Da hatten sich zwei gefunden, der progressive katholische Jahrhunderttheologe und sein blitzgescheites Wunderkind. Aus dieser Zeit übrigens stammt auch seine Duzfreundschaft mit dem jungen Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI. Der war offizieller Konzilstheologe (Peritus) sowie Berater des Kölner Kardinals Joseph Frings, der die Deutsche Bischofskonferenz damals leitete. Ratzinger war seinerzeit noch ziemlich fortschrittlich. Aber das empfahl sich ja auch in diesem Reformkonzil. Lehmann dagegen blieb sich immer treu. Und liberal auch nach dem Konzil.

Überhaupt Ratzinger! Die Lebensläufe der beiden wichtigsten Köpfe des deutschen Katholizismus in den vergangenen Jahrzehnten ähneln sich frappierend. Beide rutschten als brillante Universitätsprofessoren der Theologie fast automatisch auf Bischofssitze, Ratzinger im reichen und wichtigen München, Lehmann im provinziellen Mainz. Aber es war Lehmann, der 1987 - überraschend, da noch nicht als Kardinal - an die Spitze der Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurde. Der Kompromisskandidat der Bischöfe, der Homeboy der Deutschen war er, während Ratzinger unter Johannes Paul II. in Rom immerhin die Glaubenskongegration des Vatikan, die frühere Heilige Inquisition, leiten durfte.

In den kommenden Jahren arbeiteten sich die beiden aneinander ab - und Ratzinger, der bald Kardinal wurde, war am längeren Hebel. Besonders spektakulär und auch besonders demütigend für Lehmann war dies bei dem jahrelangen Konflikt um die Schwangeren-Konfliktberatung Ende der 90er-Jahre zu beobachten. Es war die größte Niederlage Lehmanns. Während er nämlich dafür kämpfte, dass die katholischen Hilfsstellen im staatlichen System der Schwangeren-Beratung blieben und dafür auch mühsam einen Konsens in der Fuldaer Bischofskonferenz erreichte, torpedierte Ratzinger im Namen des Papstes und mit Hilfe der Tricksereien des Kölner Erzbischofs, Joachim Kardinal Meisner, diesen Kompromiss. Lehmann strampelte hinter den Kulissen, fuhr mehrmals nach Rom. Und musste sich am Ende doch gehorsam beugen. Aus dieser Zeit stammt eine nie öffentlich geäußerte Abneigung Lehmanns gegen Ratzinger. Aber auch eine gewisse Hochachtung in liberalen katholischen Kreisen Deutschlands: Da hatte jemand im Scheitern Größe bewiesen.

In Rom hat ihm diese Renitenz kaum Freunde gemacht - und so war es kein Wunder, dass Lehmann überdeutlich lange der Kardinalshut verwehrt blieb. Als er ihn aber dann 2001, wiederum überraschend, doch erhielt, da strahlte Lehmann mit dem Kardinalsrot um die Wette. Und halb Deutschland, auch außerhalb seiner Kirche, freute sich mit ihm. Lehmann ist einer der wenigen Sympathieträger der katholischen Kirche im bundesdeutschen Diskurs. Man hört ihm zu in der Gesellschaft, der Politik und den anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Weil er nicht nur sehr klug ist, sondern auch menschlich, ausgleichend und offen. Und das kann man leider nur über wenige Bischöfe in Deutschland sagen.

Hier ist auch das Problem für die Nachfolge Lehmanns an der Spitze der Bischofskonferenz: So einen wie ihn, einen Mann des Ausgleichs, eine sich aufdrängende Integrationsfigur, werden seine Mitbrüder nicht mehr finden. Und sicher ist schon jetzt, dass die vielen Konservativen nun auch in Deutschland ihren Durchmarsch - wie schon in Rom - fortsetzen können. Als natürlicher Nachfolger kommt eigentlich nur der neue Erzbischof von München, Reinhard Marx, in Frage, ein barocker Typ, jovial, aber kirchenpolitisch klar auf der konservativen Vatikanlinie. Das passt. Aber Marx wird erst Anfang Februar in München inthronisiert. Zweifelhaft ist, ob man ihm dann auch gleich die Leitung der Bischöfe zutraut. Möglich, dass die eine Übergangslösung wählen, vielleicht sogar noch einmal Kardinal Meisner auf seine alten Tage ein paar Jahre wüten lassen.

Klar ist: Die Bischofskonferenz wird noch konservativer werden, als sie jetzt schon ist. Die wenigen Liberalen unter den deutschen Oberhirten haben einen langen Winter vor sich. Und Benedikt XVI. wird sich klammheimlich die Hände reiben, dass er nun seinen alten Widersacher mehr oder weniger los ist. Denn Lehmann bleibt ja als Bischof von Mainz Mitglied der Bischofskonferenz. Und wer weiß, vielleicht wird Lehmann eines Tages unter dem "Jüngsten Gericht" Michelangelos auch noch den Nachfolger Benedikts mitwählen dürfen. Das wäre ein merkwürdige Pointe. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass Lehmann beim letzten Konklave einer der Wortführer der liberaleren Kardinäle war, die Ratzinger zu verhindern suchten - vergeblich.

"Es ist Zeit für eine Wachablösung", schreibt Lehmann in seinem Rücktrittsbrief mit Blick auf die jüngsten Ernennungen von Bischöfen, die zwischen 47 und 54 Jahre alt sind. Eigentlich hat er recht. Wenn nur die wahrscheinlichen Nachfolger für mehr stünden als den Rückzug der katholischen Kirche ins Gestern.

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