Neue Sozialsenatorin: Die gewonnene Ehre der Carola Bluhm

Lange war sie eine Politikerin ohne Bühne, musste um öffentliche Anerkennung kämpfen. Heute wird die bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken zur Senatorin ernannt.

Seit Donnerstag Senatorin: Carola Bluhm. Bild: dpa

Es will sich bei Carola Bluhm einfach keine Angst einstellen. Dabei wäre es das angemessene Gefühl. "Jetzt habe ich nicht mal mehr das", sagt sie - diesen Unsicherheitsfaktor in einem Übergang. Vor drei Jahren gab es ihn noch. Damals wurde sie über Nacht Fraktionsvorsitzende der Linken. Am nächsten Morgen stammelte sie ein paar Worte vor der Öffentlichkeit, sie freue sich auf die neue Herausforderung. Diesmal freut sie sich wirklich. Die 46-Jährige wird heute zur neuen Sozialsenatorin ernannt.

Ihren khakigrünen Übergangsmantel und die lederne Umhängetasche, gleicher Farbton, packt sie auf den Fenstersims im Café Einstein. Sie trägt eine lange graue Strickjacke, ist unauffällig, aber elegant gekleidet. Draußen scharen sich die Touristen um Mauerreste am Checkpoint Charlie, drinnen läuft die deutsche Teilung auf Bildschirmen, die Musik ist laut. Carola Bluhm kommt damit klar, statt die Stimme zu erheben, beugt sie sich mehr zu ihrem Gegenüber.

Und redet darüber, was sie alles anpacken will, wo gute Ansätze in dieser Stadt sind, die sie aufgreifen will. Die Initiative "Berlin braucht dich", für mehr Migranten in den öffentlichen Dienst" - Bluhm hebt den Daumen: "Super". Oder: Wie schafft man sozialen Wohnraum? Wie hilft man einkommensschwachen Menschen, die für Hartz IV zu viel und zum Leben zu wenig verdienen? Wie schafft man bessere Kitas für alle?

Alles Baustellen, die sie als Senatorin für Arbeit, Soziales und Familie leiten wird. Und für die sich Bluhm, so scheint es, gleichermaßen begeistert. Die studierte Soziologin überschüttet einen mit Sachkenntnis, man ahnt, diese Frau kann anstrengend sein in Diskussionen, mit ihrem Wissen auch nerven.

Carola Bluhm wurde 1962 in Ostberlin als Tochter zweier Juristen geboren. Mit 20 Jahren wurde sie Facharbeiterin für Obstproduktion.

1982 trat sie in die SED ein und studierte Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 1990 ist Bluhm Mitglied der PDS, später Die Linke. Im selben Jahr zog sie für ihre Partei zum ersten Mal in die Stadtverordnetenversammlung Schöneberg ein.

Schon 2006 war die Bildungsexpertin als Senatorin im Gespräch, sie hatte die Gemeinschaftsschule als eines der rot-roten Vorzeigeprojekte mitentwickelt. Doch dann löste sie Stefan Liebich als Fraktionsvorsitzenden der Linken im Abgeordnetenhaus ab.

Bluhm aber will gestalten. Sie sagt: "Gute Ideen und Gedanken elektrisieren mich." Und: Jetzt könne sie "Themen von A bis Z beeinflussen", mit der Autorität des Amtes etwas bewegen. Für den Alltag von Migranten oder arbeitslosen Jugendlichen, die eine Ausbildung immer wieder abbrechen. Ihnen will sie die Erfahrung verschaffen: "Ich hab das hingekriegt - aus eigener Kraft."

Auch die Politikerin Bluhm hat es allein geschafft - ohne "Klüngelrunden", wie sie betont. Dazu hat die zweifache Mutter in ihren politischen Anfängen in den 90er-Jahren gar nicht die Zeit. Abends nach der Arbeit als Abgeordnete muss sie zu ihren Kindern. 1990 ist Bluhm erstmals für die PDS in die damalige Stadtverordnetenversammlung im Rathaus Schöneberg eingezogen. "Ich war angekommen in der Demokratie", erinnert sie sich an diese Zeit, "und ich wurde ausgegrenzt". Für Mauer und Stacheldraht sei sie verantwortlich gemacht worden. Dabei war sie bei der deutschen Vereinigung erst 26 Jahre alt. Nicht mal der DGB wollte mit der Partei aus dem Osten reden, in keiner Fernsehsendung kamen die Parteigenossen und Bluhm vor, die politischen Vorschläge, die sie machten, hatten keinen Wert.

Einmal hatte Bluhm eine Pressekonferenz anberaumt, lange und gründlich vorbereitet. Sie hatte Angst vor dem ersten größeren Auftritt, schlaflose Nächte verbracht. Zu dem Termin hatten ihre Kollegen für die Medienvertreter Kaffee gekocht. Bluhm trat in den Raum. Es war niemand da. Sie war eine Politikerin ohne Bühne. Heute biegt sie sich vor Lachen über diese Geschichte. Immerhin: Sie und die anderen PDSler hatten deshalb viel Zeit, sich Fachkompetenz anzueignen. Nach 20 Jahren hat Bluhm den Kampf um die Anerkennung ihrer Arbeit gewonnen: "Trotz massiver Ausgrenzung hat sich die Linke in die Stadt hineingetragen", sagt sie stolz.

Aber einschneidend muss die Erfahrung in Westberlin gewesen sein - für eine, die kurz zuvor, in den Wendemonaten, die Demokratie anders erprobt hatte. Sie war begeisterte Anhängerin des Unabhängigen Frauenverbands, der Gegenbewegung zur offiziellen Frauenorganisation der DDR. Bei den Treffen in der Volksbühne - ihre kleinen Kinder auf dem Schoß - wurde miteinander geredet, an der Sache gearbeitet, autonome Gruppen organisiert. Davon schwärmt sie noch heute: "Eine Volksbühne voll Kraft."

Die Politisierung ihrer Kinder hat so allerdings nicht geklappt, für die hatte Bluhm immer eher zu wenig Zeit als zu viel: "Ich hab meinen Kindern um halb zwölf in der Nacht Spaghetti gekocht, um was wieder gutzumachen." Trotzdem hassten die Kleinen irgendwann die ewigen Demonstrationen.

Dass Bluhm Politikerin geworden ist, liegt auch daran, dass sie einen Zentimeter zu groß ist. Sie hatte das Zeug zur DDR-Leistungssportlerin, trainierte als Geräteturnerin. Aber den Sportverantwortlichen passte ihre Größe nicht, die 15-Jährige wurde aussortiert. Der Staat hat ihr dafür eine Ausbildung zur Übungsleiterin und Kampfrichterin verschafft. Fortan durfte sie anderen die Angst vor dem Wettkampf nehmen. Dafür ist Bluhm heute noch dankbar, lässt sie durchblicken.

In ihren öffentlichen Auftritten heute wirkt sie eher zurückhaltend und schüchtern. Große Reden, womöglich sogar mit Emotionen, scheut sie. In der Riege der Senatoren sticht sie aber trotzdem hervor: Sie bewegt sich natürlicher, ist weniger steif - auch als Ex-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner. Das mag am unterschiedlichen Alter liegen. Knake-Werner verabschiedet sich in den Ruhestand. Aber es ist auch eine Frage der Haltung, die beide Frauen unterscheidet: Nach stundenlangen Sitzungen, so hat Bluhm beobachtet, habe die "Grande Dame", wie sie ihre Vorgängerin nennt, noch immer kerzengerade gesessen. Bluhm lümmelte längst in ihrem Stuhl.

Kommunikation im Chaos

Ob sich Bluhm ihre Natürlichkeit erhält? Bei so viel Fremdbestimmung in dem neuen Amt, öffentlichen Auftritten, ritualisierter Kommunikation, die ihr eigentlich zutiefst zuwider ist? Wie sie damit umgeht, wird sich zeigen. Auch wie weit eine Politikerin sich verbiegen kann für ihre Karriere. Sie selbst hat sich zwei Jahre gegeben, bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl. Einen längeren Zeitraum kann die neue Sozialsenatorin sich zur Zeit nicht vorstellen, aber diese Zeit will sie "durchackern".

Überhaupt: Hart arbeiten, das gefällt ihr. Wie in ihrem Garten in Weißensee. Da verpflanzt Bluhm am liebsten vier Meter hohe Bambuspflanzen. Zum einen, um "richtig zu schwitzen", wie sie sagt. Aber auch, weil die gelernte Gärtnerin nicht nach fertigen Plänen arbeitet. Sie pflanzt lieber ein und wieder um. "Das wächst alles wieder an", sagt Bluhm.

Für manch einen ihrer künftigen Verwaltungsmitarbeiter dürfte die Flexibilität und "Versuch-und-Irrtum-Methode" der Chefin allerdings gewöhnungsbedürftig sein. Beamte sind schließlich kein Bambus. Als Fraktionsvorsitzende wurde Bluhm bescheinigt, den Laden gut im Griff gehabt zu haben. Sie selbst führt das auf gutes Kommunizieren zurück. Andere fanden ihren Führungsstil eher chaotisch. Auch fragt sich, wie eine Frau, die in Gedanken immer schon beim Nächsten ist, damit umgeht, dass Verwaltungsprozesse sich lange hinziehen, manches an Ideen zerrieben wird, versandet. Bluhm selbst findet das eine spannende Herausforderung.

Auseinandersetzungen wird es zuerst wohl mit Finanzsenator Ulrich Nußbaum um die Bezahlbarkeit besserer Kitas geben. "Da ist ganz viel Streit programmiert", sagt Bluhm. Sie weiß, sie kann auch nerven, bis sie bekommt, was sie will. Und wenn nicht? "Es hilft", rettet sie sich in die Soziologie, "wenn man den strukturellen Mechanismus dahinter versteht." Wer Auseinandersetzungen als Prozesse sieht, die es zu analysieren gilt, macht sich auch unangreifbar.

Zurzeit lebt sie mit ihren Kindern, inzwischen Mitte zwanzig, in einer Art WG. Es werde viel gestritten, erzählt sie fröhlich. Auf die Frage, ob sie auch schon mal Streite verloren habe, blickt Bluhm zum ersten Mal ins Leere. Hinter der stets Gutgelaunten und Positiv Denkenden tritt eine verletzliche Carola Bluhm hervor: "Ja, ich habe auch schon Streite verloren", sagt sie etwas leiser.

Von ihren Politiker-Kollegen will sich noch niemand ein Urteil über die Neue erlauben. Ramona Pop etwa, Fraktionsvorsitzende bei den Grünen, sitzt zwar seit Jahren neben der Linken-Politikerin im Abgeordnetenhaus, getrennt sind beide nur durch einen Gang. "Aber ich kenne Bluhm eigentlich nicht", sagt sie. Eine Forderung an die neue Sozialsenatorin hat Pop aber schon: Als Erstes müsse Bluhm das Thema Migration und Ausbildung anpacken, Jugendlichen, die durch den Rost fallen, eine Perspektive verschaffen. Ganz andere Modelle müssten dafür entworfen werden, fordert Pop. So etwas ist Carola Bluhm zuzutrauen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.