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Archiv-Artikel

Chinas ungebändigter Durst

ZUKUNFT Ganze Regionen drohen auszutrocknen. Die chinesische Führung setzt auf fragwürdige Großprojekte – und verschärft die Wasserkrise dabei noch

Seen verschwunden

■ Probleme: Nach offiziellen Angaben leiden über 100 chinesische Städte unter Wasserknappheit, über 110 sind besonders schwer betroffen. Nach einer Studie des Ministeriums für Wasserressourcen ist etwa die Hälfte der 50.000 Flüsse und Seen, über die China noch in den 1990er Jahren verfügte, inzwischen verschwunden – durch Austrocknung oder zu starke Nutzung.

■ Lösungen: Werden dringend gesucht. Besonders umstritten ist der Plan, Wasser über Tausende Kilometer aus dem Süden nach Norden zu bringen. Das Projekt soll Medienberichten zufolge 82 Milliarden US-Dollar kosten.

AUS PEKING FELIX LEE

Viel war in den vergangenen Jahren über Chinas extremen Smog die Rede. Vergiftetes Milchpulver, verseuchte Erdbeeren oder Gammelfleisch schaffen es ebenfalls immer wieder in die internationalen Schlagzeilen. Doch wer Wissenschaftler und Politiker in China nach den größten ökologischen Problemen fragt, erhält vor allem eine Antwort: Wasser.

„Unsere Flüsse und Seen versiegen“, beklagt Pan Jiahua von der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, der wichtigsten Denkfabrik der chinesischen Führung. Was übrig bleibe, werde vergiftet. China befinde sich längst inmitten einer schweren Wasserkrise, stellte die chinesische Sektion von Greenpeace bereits vor Jahren fest. Und auch der bis vor anderthalb Jahren amtierende Premierminister Wen Jiabao hatte gewarnt: „Die Wasserknappheit gefährdet das Überleben der gesamten chinesischen Nation.“

Die jüngsten Daten sind in der Tat schockierend: Die Hälfte der größten Seen Chinas sind verschmutzt. Wie aus dem jährlichen Bericht des Umweltministeriums hervorgeht, steht es um das Grundwasser nicht besser. Rund 60 Prozent ist nach Auswertung der Ergebnisse von 4.000 Messstationen „verhältnismäßig schlecht“ bis „sehr schlecht“ und Greenpeace zufolge nach internationalem Standard nicht trinkbar. Für landwirtschaftliche Zwecke sei es nicht nutzbar.

Auch die Böden sind inzwischen verseucht

Da die Bauern angewiesen sind, dieses Wasser dennoch zu verwenden, sind auch die Böden inzwischen verseucht. Wie die staatliche Umweltschutzbehörde erst im Frühjahr zugab, ist rund ein Fünftel von Chinas Agrarland kontaminiert. Die Behörde hatte die Qualität des Bodens untersuchen lassen, sich aufgrund der schlechten Werte aber zunächst geweigert, die Daten zu veröffentlichen. Erst unter erheblichem Druck der Öffentlichkeit gab sie die Werte bekannt. Welche Gebiete besonders schwer betroffen sind – das verschweigt sie jedoch bis heute.

Damit verschärft sich ein altes Problem: Während der Süden des Landes mit Wasser gesegnet ist, bleibt der Norden und Nordosten die meiste Zeit des Jahres über sehr trocken. Knapp die Hälfte der Bevölkerung lebt aber im Norden. Zudem befinden sich wichtige Kornkammern in der Nordhälfte.

Nicht zuletzt der Klimawandel hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, dass die Wüste Gobi sich immer weiter ausbreiten konnte. Zählte das Land um 1950 herum noch rund 50.000 Flüsse, hat sich die Zahl seitdem mehr als halbiert. China hat in 60 Jahren rund 27.000 seiner Flüsse verloren.

Doch der Klimawandel trägt nicht allein die Schuld an dem extremen Schwund. Industrialisierung, eine veränderte Agrarproduktion, die auf sehr viel Düngemittel und einen hohen Wasserverbrauch setzt, und die Zubetonierung im Zuge der Verstädterung haben dazu beigetragen, dass viele Gewässer ausgetrocknet sind. Das alles ist der herrschenden kommunistischen Führung durchaus bewusst. Doch bislang setzt sie auf fragwürdige Maßnahmen:

– Mit viel technischem und finanziellem Aufwand errichtet sie gigantische Staudämme. Wie nicht zuletzt der Drei-Schluchten-Staudamm zeigt, sind die Umweltfolgewirkungen häufig nicht ausreichend bedacht. Der größte Stausee der Welt sorgt immer wieder für verheerende Erdrutsche in der Region und sogar schwere Beben.

– An der Küste plant China Entsalzungsanlagen, die unter hohem Einsatz von Energie Meer- in Trinkwasser umwandeln sollen. China leidet jedoch nicht nur unter Wasser-, sondern auch unter Energiemangel. Noch mehr Strom müsste erzeugt werden, zumeist aus Kohlekraftwerken, die die Luft zusätzlich verschmutzen.

– Das derzeit größte Vorhaben stellt ein Kanal dar, der den wasserreichen Jangtse im Süden des Landes mit dem Gelben Fluss im Norden verbinden soll. Pumpstationen sollen auf einer Länge von 3.000 Kilometern jährlich über 45 Milliarden Kubikmeter Wasser zum Teil über hohe Berge in den Norden pumpen. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht absehbar. Mit dem Bau des ersten Abschnitts hat die chinesische Führung dennoch in diesem Jahr begonnen.

Dabei gibt es Alternativen: „Die Maßnahmen sollten sich auf das Wiederaufbereiten und Sparen der kostbaren Ressource Wasser konzentrieren“, fordert Ma Jun, Chinas bekanntester Umweltaktivist .