: Der angekündigte Tod
SYRIEN Es gibt keine politische Lösung ohne eine stärkere Bewaffnung der gemäßigten Opposition. Die Konferenzen in Genf haben das gezeigt
■ arbeitet in der arabischen Redaktion der Deutschen Welle. In Syrien wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten inhaftiert und lebte mehrere Jahre im Untergrund. Er ist Mitgründer des Syrischen Journalistenverbands.
Kaum hatte Lakhdar Brahimi das Scheitern der zweiten Runde von Genf II verkündet, setzte das syrische Regime die Mitglieder der Oppositionsdelegation, mit denen es gerade noch verhandelt hatte, auf seine Terrorliste. Die etwa 1.500 auf dieser Liste aufgeführten Personen werden ihres Besitzes in Syrien beraubt werden.
Was also spricht dafür, dass das syrische Regime je akzeptieren wird, die Macht mit diesen „Terroristen“ zu teilen und eine Übergangsregierung hinzunehmen, deren Aufgabe es wäre, Syrien in eine neues, pluralistisches System zu führen? Das soll wohl ein Scherz sein! War der Kerngruppe der „Freunde Syriens“ und besonders den USA, Schirmherr der Genf-II-Verhandlungen, das nicht bewusst?
Wie unwissend sind die USA?
Doch, sie wussten um die Politik des Regimes, und sie wussten auch, dass Assad durch Dialog keine Zugeständnisse abgerungen werden können. Die Erfahrung mit dem Chemiewaffendeal hat das nur allzu deutlich werden lassen. Erst als die USA nach dem Massaker von Ghuta mit einem begrenzten Militärschlag drohten, war das syrische Regime bereit, sein Chemiewaffenarsenal unter internationale Kontrolle zu stellen.
Und wie steht es um Ban Ki Moon? Wusste er nicht auch, dass Assad die Macht nicht freiwillig abgibt und durch Dialog nicht dazu zu bringen ist, einer Übergangsregierung zuzustimmen, selbst wenn die Opposition seinen Verbleib akzeptieren würde? Warum bezeichnete der UN-Generalsekretär in seinem Einladungsschreiben an die beiden Konfliktparteien dann die Bildung einer Übergangsregierung als Hauptziel der Konferenz? Und warum wurde überhaupt zu dieser absurden Konferenz eingeladen? Nur um der Verhandlungen willen?
Nun wird Brahimi möglicherweise zu einer dritten Runde aufrufen. Es wäre besser gewesen, Brahimi hätte die für das Scheitern der Verhandlungen Verantwortlichen deutlich benannt und dem syrischen Volk, statt sich bei ihm zu entschuldigen, klipp und klar gesagt, dass das syrische Regime keineswegs nach Genf gekommen sei, um eine Lösung zu finden, sondern nur, um Zeit zu gewinnen.
Das alles erinnert an den Roman „Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez: Obwohl ein ganze Dorf weiß, dass die beiden Brüder Vicario Santiago Nasar ermorden wollen, rührt niemand auch nur einen Finger, um das Verbrechen zu verhindern.
Genau das geschieht nun seit über drei Jahren in Syrien. Die oppositionelle syrische Koalition hat gut daran getan, sich im letzten Moment für eine Teilnahme in Genf zu entscheiden. Nun trägt sie keine Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Denn alle Seiten, die Druck auf die Opposition ausübten, sich an Genf II zu beteiligen, sind sich der Absurdität dieser Gespräche bewusst, solange Assad militärisch die Oberhand hat. Sie wissen auch, dass das Regime ausschließlich an eine militärische Lösung glaubt und überzeugt ist, die Gebiete, die es trotz der Unterstützung Russlands, Irans, der Hisbollah-Kämpfer und irakischer schiitischer Milizen verloren hat, zurückgewinnen zu können.
Russland hat einen klaren Plan
Während die Regierungsdelegation in Genf über die Tagesordnung stritt und die Bekämpfung des Terrorismus allen anderen Paragrafen des Genf-I-Dokuments aus dem Jahr 2012, zu denen auch die Machtteilung gehört, vorziehen wollte, warf die syrische Armee unter anderem in Aleppo und Daraya mit Sprengstoff, Nägeln oder Öl gefüllte Fassbomben über der Zivibevölkerung ab, ohne dass auf internationaler Ebene dagegen protestiert worden wäre.
Ganz im Gegensatz zu Russland, das den Sieg Assads mit allen Mitteln will, verfügt die Kerngruppe der „Freunde Syriens“ unter der Führung der USA über keinerlei klare Strategie für Syrien. Washington gaukelte der Welt vor, sich mit Russland über Genf II verständigt zu haben. Doch nachdem zwei Wochen verhandelt wurde, stellte sich heraus, dass Moskau weiterhin ganz auf der Seite des syrischen Regimes steht und gleichfalls der Bekämpfung des Terrorismus absolute Priorität zuweist.
Grünes Licht für die Golfstaaten
Das Assad-Regime soll also erneut rehabilitiert und ihm die Aufgabe zugewiesen werden, al-Qaida in Syrien zu bekämpfen, als wäre nichts gewesen. Wenn der Westen unter Führung der USA diese Politik beibehält, dann wird das syrische Regime die Politik der verbrannten Erde fortsetzen. Und die radikalen Elemente innerhalb der bewaffneten Opposition werden auf Kosten der Gemäßigten triumphieren.
Nach dem offiziellen Scheitern von Genf II deuteten die US-Administration und sogar der Präsident sowie sein Außenminister an, nach Alternativen suchen zu wollen, um Assad zu Zugeständnissen zu zwingen. Welche Alternativen? Wenn es Alternativen gibt, warum hat Washington so lange gewartet, bis Syrien nahezu vollkommen zerstört und zu einem Sammelbecken für Islamisten geworden ist?
Es gibt Spekulationen, dass die Obama-Administration den Golfstaaten erlauben wolle, einige oppositionelle Gruppierungen in der Provinz Deraa in der Nähe der jordanischen Grenze, wo keine radikalen Islamisten das Sagen haben, mit schweren Waffen auszurüsten. Wenn Washington und die westliche Staatengemeinschaft es ernst meinen mit der Suche nach einer politischen Lösung in Syrien, einer Lösung, die diesen Krieg beendet, ohne dass der letzte Rest der funktionierenden staatlichen Institutionen zerstört wird oder in die Hände der Radikalen fällt, dann müssen sie die gemäßigte Opposition bewaffnen.
Hätte Washington dies bereits Ende 2012, Anfang 2013 getan, dann sähe die Situation vor Ort heute anders aus. Dann hätten die terroristischen Gruppierungen nicht in einigen Regionen die Oberhand gewonnen. Und dann wären die Verhandlungen in Genf nicht ergebnislos verlaufen. Denn das syrische Regime wird keine Zugeständnisse machen, solange sich das Kräfteverhältnis nicht zu seinen Ungunsten verändert und es mit Unterstützung der Hisbollah in der Lage ist, die Ortschaften im Kalamun-Gebirge und entlang der libanesischen Grenze zurückzuerobern. AHMAD HISSOU