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Archiv-Artikel

DIE STOLPERSTEINE SOLLEN AN DIE OPFER DER NAZIS ERINNERN. ES GIBT EINIGES AN DIESER ART DER ERINNERUNG ZU KRITISIEREN, ABER DENNOCH FUNKTIONIERT SIE Das Problem mit dem Symbolischen

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

In Göttingen gibt es Uneinigkeit wegen der Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig. Die Steine sollen jetzt endlich auch hier an die größtenteils jüdischen Opfer der Nazis erinnern. Etwa 50.000 Steine verlegte Gunter Demnig in den vergangenen Jahren in Deutschland und anderen europäischen Städten. Mittlerweile handelt es sich um ein riesiges, länderübergreifendes Denkmal. Dass Kritik an diesem Projekt ausgerechnet auch von jüdischer Seite kommt, finde ich nicht erstaunlich.

Wer, wenn nicht die Juden, sollte sich hier nicht besonders betroffen fühlen? Immerhin arbeitet ein deutscher Nichtjude mit jüdischer Geschichte und verdient damit sogar sein Geld. Ob er damit reich geworden ist, weiß ich nicht und ich finde es auch irrelevant. Aber das ist schon eine Sache, die zum Beispiel der Sprecher der jüdischen Gemeinde in Hamburg, Daniel Killy, kritisierte. Immerhin stimme ich ihm in dem Punkt zu, dass das Erinnern nicht monopolisiert werden sollte.

Vielleicht ein entscheidender Punkt, der auch all die anderen Kritikpunkte streift. So gibt es etwa „Nachahmer“ der Stolpersteine, die von Demnig des Plagiats beschuldigt werden. Aber darf er er beschuldigen? Dazu müsste man entscheiden, ob er die Steine als Künstler verlegt oder als jemand, der verhindern möchte, dass die Toten vergessen werden.

Denn dem Künstler steht so ein Plagiatsvorwurf zu. Dem Botschafter gegen das Vergessen vielleicht nicht, dem sollte jedes „Plagiat“ wider das Vergessen recht, dem sollte jeder „Plagiator“ ein Freund im Geiste sein.

Eva Tichauer Moritz von der konservativen Jüdischen Kultusgemeinde in Göttingen, eine der größten Kritikerin der Stolpersteine, ist, wie die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, vor allem deshalb gegen die Stolpersteine, weil ihrer Meinung nach hier symbolisch auf den ermordeten Menschen, weil hier sogar auf dem Namen Gottes, der in vielen jüdischen Namen enthalten ist, herumgetrampelt würde.

Einige Kommentatoren äußerten sich in der Regionalpresse dahingehend, dass Hundescheiße auf den Steinen liegen würde, das bliebe natürlich nicht aus. Und das ist das Problem mit dem Symbolischen. Dass das auch seine Grenzen hat. Und die Schwäche insbesondere des Stolpersteines ist die, dass wir da drüberlatschen und gar nicht unbedingt drüber stolpern.

Dieses Stolpern ist aber auch symbolisch gemeint, sagt Demnig. Wir sollen gedanklich stolpern. Funktioniert das? Ich würde sagen, ja. Ich bin gegen Plattheit und gegen Wiederholung, aber in diesem Falle würde ich sagen, trotz aller berechtigter Kritik, irgendwie funktioniert es tatsächlich.

Das liegt an den Daten und an dem Namen und wenn man zum Beispiel selbst in dem Haus wohnt, wo mal einer gewohnt hat, der ermordet wurde, dann fühlt man sich verbunden. Wenn mal einer durch die eigene Tür gegangen ist, dann ist er ein historischer Nachbar. Andererseits würde vielleicht eine andere Form von Erinnerung auch funktionieren. Eine Gedenkplatte am Haus, ein Aufsteller davor, auf den niemand rauftreten könnte.

Aber die Einheitlichkeit des Projektes, und ich denke, wenn es überhaupt etwas zur Kunst macht, dann die Konsequenz und die Größe, die Kompromisslosigkeit auch in der Form, ist vielleicht doch entscheidend. Ob aber Herr Demnig wirklich so weit gehen muss, auf den Steinen auch Nazi-Bezeichnungen, wie „Gewohnheitsverbrecher“, einzutragen?

In Göttingen ist man jetzt den Weg gegangen, die Angehörigen, sofern sie vorhanden sind, um ihre Erlaubnis zu bitten, und nur mit ausdrücklicher Erteilung Steine zu verlegen, was ich richtig und eine Voraussetzung dafür finde. Deutsche Nichtjuden können nicht gut über Juden, auch nicht nach deren Tod und deren Erinnerung betreffend, Entscheidungen treffen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.